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Das große Opernsterben an der Deutschen Oper Berlin. Was wird und wurde nicht alles abgesetzt! Der Troubadour: das Aus im Mai. Lady Macbeth von Mzensk: im Oktober ersoffen in Sibirien. Die Sache Makropulos: das Aus im November. Andrea Chénier: Die letzten drei Vorstellungen (Regie: John Dew) laufen.

Was ist da los? Dabei ist der Chénier (Komponist: der ewig unterlegene Puccini-Konkurrent Umberto Giordano) mit der grellbunten Kostümschau im ersten Akt ein Augenschmaus, ist die einprägsame Abfolge turbulenter Massenszenen und eindringlicher Duette in den folgenden Akten ungemein schlagkräftig. Die Vorstellungen sind gut verkauft. Hier und da ein paar leere Plätze. Die vielleicht dem Umstand zu schulden sind, dass der Altmeister des hohen C, Roberto Alagna, abgesagt hat.

Andrea Chenier Deutsche Oper Berlin 2018

Und damit zu Martin Muehle, diesem deutsch-brasilianischen Chénier, aus dem man nicht recht klug wird, so männlich-markant tönt das Timbre, so vierschrötig trompetet er aber auch das Pathos heraus. Der Dichter als röhrender Hirsch, das hat sich Umberto Giordano sicherlich anders vorgestellt, zumal Muehle auch szenisch wenig feinfühlig agiert, ein besonderer Hingucker ist stets, wie Herr Muehle sich breitbeinig aufpflanzt, wie man’s von Christiano Ronaldo vor dem Freistoß kennt. Während Roman Burdenko, behutsam im Petersburger Mariinki-Theater großgezogen, den Gérard im Dreieck aus Revoluzzertum, übler Machoallüre und beißender Gewissensnot durchaus sensibel ausleuchtet und erkennt, wie schal die Macht ist. Ein junger, klangsatter, typisch russisch schwarztimbrierter Bariton, dem die Welt offensteht, wenn er noch strenger an der vokalen Linie arbeitet.

María José Siri wiederholt die Madeleine von vorigem Jahr und zeigt spannend, wie dieses anrührend kokette Mädchen (Akt 1) zur Frau wird, die für ihre Liebe in den Tod geht. Brillanz, sauber gerundeter Ton, das fehlt etwas, dafür fesselt Siri mit dem intensiven Klang einer Verismo-Sängerin und lässt in ihrer Arie La mamma morta opake leise Töne einfließen. Fast noch klangstärker gibt sich die tragisch-lebenslustige Bersi von Wasilisa Berschanskaja als mezzo-starke figlia autentica della Rivoluzione. Heftig im Registerwechsel, aber doch ein Ereignis ist der kurze Auftritt der blinden Madelon von Elena Zilio (Bühnendebüt angeblich 1963). Ansonsten singen mit Annika Schlicht (Gräfin, boshaft kess), Ievgen Orlov (Roucher, saftigsonor), Philipp Jekal (Fléville, Commosso, lusingato), Ya-Chung Huang (Abate), Samuel Dale Johnson (Matthieu), Burkhard Ulrich (Incroyable, kaltblütig-gleichgültig) die üblichen Verdächtigen.

Giampaolo Bisanti lässt mit Lust und Laune die Funken sprühen, treibt mit großem Herzen für Giordano an, bleibt angenehm weich im Duktus, erlaubt sich mitten in Un dì all’azzuro spazio ein überraschendes Rubato, macht das Orchester der Deutschen Oper Verismo-locker. Es ist ein Theater-verliebtes Dirigat mit Sinn für sinnliche Wirkungen und heißblütige Effekte. Nur mit der Düsterkeit klappt’s noch nicht so, und die köstliche Konversation auf dem poppigen Aristokratensofa (Necker? – Non ne parliamo! – Quel Necker! Noi moriamo della curiosità! – Abbiamo il terzo stato! – Ah! Ah!) hat man auch schon weniger verwaschen gehört.

Foto: Bettina Stöß