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Die Premiere an der Deutschen Oper ist ein spätgeborener Nachzügler. Laurent Pelly inszeniert zwar Les Contes d’Hoffmann, doch Premiere hatte diese Produktion schon 2003 im schweizerischen Lausanne. 15 Jahre sind eine lange Zeit, auch in der Welt der Oper, wo die Uhren mitunter noch anders ticken, und so fühlt sich der Offenbach-Abend in der Bismarckstraße an wie eine hochverspätete Wiederaufnahme. Dennoch, was man sieht, ist eine kluge, behutsam historisierende, handwerklich tadellose, in Bühne und Personenführung fast konservativ zu nennende und zugleich überzeugend klare Inszenierung zu Hoffmanns phantastischer Oper, die Laurent Pelly im Zwischenbereich von Silisierung und Realismus angesiedelt hat. Nur dass der heimelige Premierenzauber diese Mal schon leicht nach oller Kamelle duftet.

Les Contes d'Hoffmann Deutsche Oper Olympia 2018

Für den Olympia-Akt dachte sich Chantal Thomas (Bühnenbild) ein faszinierendes elektrisches Kabinett aus, für den Antonia-Akt (der in Berlin der mittlere der drei Frauen-Akte ist) ein ingeniös verschachteltes und doch luftiges Treppenhaus. Der Clou des Abends ist der räderbewegliche, von Bühnenarbeitern gesteuerte Hebearm, auf dem Olympia wunderbarerweise als Koloratur-Apparatschik durch die Lüfte schwebt. Gelungen auch, wie Olympia auf unsichtbaren Rollerskates wieselflink durch die walzenden Gäste gleitet.

Wände öffnen sich, Laternen fahren auf und ab, zur zärtlichen Barcarole schaukeln die Vorhänge im 6/8-Takt, Sitzmöbel schweben wie von Geisterhand. Gespenstische Beweglichkeit ist Trumpf, aber auch wo Pelly den Blick auf Details lenkt, bleibt er geschmackssicher: Antonias Zimmer ist als kleine Kammer mit Bett, Tür, Tapete und zwei Schränkchen präzis erfasst. Nur der Giulietta-Akt wirkt beliebiger und die oft vorgeschobene vordere Bühnenwand (in ledernem Grau) macht sich auf Dauer recht massiv. Inszenierungen altern eben auch und so wirkt an Pellys Hoffmann das eine gekonnt, anderes aber auch gekonnt-routiniert.

Cristina Pasaroiu gelingt das Kunststück, für Olympia, Antonia (im hochgeschlossenen höhere-Töchter-Kleid), Giulietta (als Edelkurtisane mit eiskalter Seele) und Stella (als hochmütige Diva) jeweils einen eigenen Klang zu finden. Am spektakulärsten sicherlich ihre glockenklaren Olympia-Koloraturen, treffsicher, leuchtend. Typisch auch Pasaroius kleines, schnelles Vibrato. Die Stimme ist nicht sehr groß, doch sie trägt, ist gut geführt und bestens kalibriert. Viel Applaus. Für die vier dämonischen Bösewichter ist Alex Esposito mit klarem, kantig geschnittenen, genau geführtem und dann auch noch klangschönem Bassbariton verantwortlich (Lindorf, Coppélius, Miracle, Dapertutto), der am bedrohlichsten als gebieterischer Lindorf wirkt, als unheilvoller Doktor Miracle wünschte ich mir ein paar Körnchen mehr dämonische Stimmwürze. Als Nicklausse und Muse liefert Irene Roberts (im nicht sehr einfallsreichen Hosenanzug) ein sympathisch lebendiges Porträt von Hoffmanns treuem Freund und Helfer. Mit farbenreicher, gelegentlich ins Spröde kippender Stimme und schöner Höhe agierte die Mezzosopranistin immer bewegend, wirkte aber in der Barcarole neben Pasaroiu vokal unruhig.

Nicht recht glücklich werde ich mit dem Hoffmann von Daniel Johansson. Dessen blendende Erscheinung passt zwar wie die Faust auf Pellys Inszenierungs-Auge, er klingt aber angestrengt im Piano und in der Höhe und hat bei allem, was nur entfernt mit Legato und Tonschönheit zu tun hat, viel Holz in der Stimme. Überhaupt ist da wenig Charme, und wenn Johansson leidenschaftlich wird, tönt er gleich larmoyant. Gut gelingt das Duett mit Antonia und in den letzten beiden Akten bekommt der junge Tenor noch halbwegs die vokale Kurve.

Gideon Poppe schlüpft in die Rolle der vier Diener (der abgebrüht feilschende Andrès, der sto-, sto-, stotternde Cochenille, der taube Frantz und Pitichinaccio), wobei ich Frantz‘ Lied schon sorgfältiger gesungen gehört habe. Des weiteren singen den Spalanzani Jörg Schörner, die leider elektronisch verhallte Stimme der Mutter Antonias Annika Schlicht (parallel zum spukhaften Video), den pausenlos über die Bühne eilenden Lutter Tobias Kehrer. James Platt singt Antonias Vater Crespel (gefällt mir ausnehmend gut, Beppo-Grillo-Mähne, weißer Ingenieursmantel), Byung Gil Kim Hoffmanns Rivalen Schlemil sowie Bryan Murray und Ya-Chung Huang die Studenten Hermann und Nathanael (beide gar nicht schlecht).

Enrique Mazzola lässt das Orchester feinfühlig federn und prickelnd pulsieren, aber auch das Lyrische wird gut getroffen. Das Dirigat hat Farbe, Gefühl, Brio und den richtigen Zugriff auf Offenbachs flüchtigen Esprit. Selbst Begleitfiguren werden lebendig, erhalten Charakter und spontanen Sinn, „klingen“. Mit findigem Karacho endet der zweite Akt (Giulietta), der unheimliche dritte (Antonia) hat düstere Aura. Es ist erfreulich, dass Enrique Mazzola ab dieser Saison vermehrt an der Deutschen Oper zu hören sein wird.

Foto: Bettina Stöß