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Adieu Ostsee, Adieu Brandenburger Seen. An diesem Wochenende gebe ich mir die Kante. Musikfest verpflichtet.

Heute Vormittag ist die Junge Deutschen Philharmonie dran.

Jonathan Nott leitet ein Rudel hochtrainierter junger Leute.

György Ligetis Violinkonzert hören ist wie eine Schlittenfahrt die Eigernordwand hinunter. Das Werk steht unter den Konzerten der vergangenen 30 Jahre als Meilenstein. Äußerst ereignisreiche Sätze – fünf – geringen bis mittleren Umfangs – Dauer bis zu acht Minuten – formen ein extraterrestrisches Universum. Verstörende harmonische und rhythmische Effekte auf der einen Seite und Klarheit bis zum Simplen der Motivbildung auf der anderen Seite setzen dem Stück die Lichter auf. Verstörend wirken insbesondere die Intonationsschwebungen, die am deutlichsten vernehmbar bei den verstimmten Okarinen und Lotosflöten in „Aria, Hoquetus, Choral“ sind. Kopfsatz („Praeludium“) sowie („Appassionata“) verwenden verstimmte Streicher. Hinzu kommen Naturhorn und Naturposaune. Nun ist die Aufgabe der Intonationsreinheit kein Patentrezept für eine Avantgarde, die wuppt. Doch mit so urtümlicher Wirkung setzt das wohl nur Ligeti ein. Die Junge Deutsche Philharmonie spielt mustergültig. Apropos Klarheit: Ligeti beschäftigte sich im Umfeld der Komposition seines Violinkonzerts mit Haydn: „From Haydn one can learn how to achieve the clearest effect with the simplest means.“ (Zitat hierher). Apropos Klarheit 2: Ligeti schien wie ein Verrückter auf der Suche nach dem einfachsten Einfall zu sein.

Pekka Kuusisto spielt den Solopart mit leidenschaftlicher Grundhaltung. Das Bekenntnis zu Ligeti in jedem Ton zu hören dürfte (berechtigtes) Kalkül sein. Jonathan Nott kennt Ligeti gut und leitet mit großer, doch unaufdringlicher Sorgfalt.

Zuvor erklingt in diesem Konzert des Musikfests Berlin Déserts – Uraufführung 1954 unter Scherchen – von Edgar Varèse, das die Junge Deutsche Philharmonie mit strenger Genauigkeit spielt. Man hört viel Unwiderstehliches, trotz der rückblickend geradezu possierlich anmutenden Bandzuspielungen. Die Eroica war quasi die Zugabe. Solide im Tempo, hell im Klang, entschlossenen Gestus‘ (mit einem Hang zum Eifrigen), federt sie das gelungene Programm, dessen Konzertperspektive der Gegenwart sich zuwendet, Richtung Repertoiremitte ab.

Man könnte anfügen, anstelle Beethovens hätten Nielsen oder später Sibelius vermutlich besser gepasst. Aber sei’s drum. Ein sehr hörenswertes Konzert.