Die Zarenbraut von Rimsky-Korsakow. Uraufführung Moskau 1899.

Schillertheater.

Боже мой, как много русских.

Der erste Akt zieht sich etwas. Feiern, Trinken, die eine Geliebte abservieren, für die andere ein Aphrodisiakum besorgen, das kann Zeit in Anspruch nehmen. Im vierten Akt hingegen fliegen die Fetzen. Es wütet der Tod. Das ist kurzweilig. Tschernjakows beziehungsreiche Inszenierung deutet die tragische Handlung des 16. Jahrhunderts als Traum eines durchmedialisierten Russlands der Gegenwart. Die Volte Tschernjakows: Der Folklore-Traum wird zum Alptraum der Gegenwart. Gut.

Es singen почти исключительно russischsprachige Sänger. Sehr gut.

2013 waren noch Olga Peretyatko und Anita Ravelishvili am Werk.

Heute Abend singt Elena Tsallagova die Marfa. Ihr droht in auch für Opern unüblicher Zuspitzung dreifaches Unglück: durch Grjasnoi (Liebestrank), durch Ljubascha (Gift) und durch Zar Iwan (als Zarenbraut). Unter diesen Umständen ist es ein Wunder, dass sie es lebend bis in den vierten Akt schafft. Alles andere wäre auch schade, denn Elena Tsallagova füllt die Rolle mit Anmut und Leidenschaft, singt berührende Pianissimi, und ihre Stimme ist ein gut geführter Sopran mittlerer Größe von anrührendem Klang und leuchtend warmem, leicht belegtem Timbre.

Der Grjansoj von Evez Abdulla  ist ein kleingewachsener Bösewicht mit energischer, enger Stimme, der man dunkle Leidenschaft und rücksichtsloses Intrigantentum voll und ganz abnimmt.

Marina Prudenskaya singt die feurige Ljubascha mit einem Mezzosopran, der klangvoll in der Tiefe und scharf auflodernd in der schallkräftigen Höhe ist. Prudenskaya gibt ein fast (hoch-)dramatisches Porträt.

Anatoli Kotscherga ist der Kaufmann Sobakin, eine gute Seele, der onkelhaft singplaudernd sich die Sympathien der Zuhörer ersingt. Kotscherga ist ja fast schon eine Legende, Kotschergas Pfund, mit dem er ordentlich wuchert, ist eine großzügige Phrasierung in Verbindung mit immer noch machtvollen Volumen.

In Sachen Souveränität steht Irina Rubtsova als Saburowa, der Mutter Dunyaschas, Anatoli Kotscherga wenig nach. Ihr Sopran zeigt wie Kotschergas Bass diverse Altersspuren, füllt aber dank Kraft und Temperament umstandslos den Zuschauerraum des Schillertheater.

Pavel Černoch ist der junge Pechvogel Lykow, eine selten treue Seele. Eine eiserne Regel in der Oper besagt, dass jemand, der im zweiten Akt glücklich, im letzten tot ist. So auch heute. Černochs Tenor ist von angenehmer Festigkeit, klanglich sehr gut fokussiert, nicht zu groß, doch nach allen Seiten beweglich, enorm hellklingend, ohne doch brillant zu sein, aber schallstark. Eine großartige Tenorstimme, die für slawische Opern unverzichtbar scheint.

Stephan Rügamer singt den Leibarzt des Zaren namens Bomelius, der aalglatten Geschäftssinn und Verliebtsein erfolglos unter einen Hut zu bringen versucht. Anna Lapkovskaja singt die sanfte Dunjascha. Tobias Schabel, ein hochaufgeschossener Maljuta-Skuratow, und Natalia Skrycka, eine blitzsaubere Petrowna, vervollständigen die gute Besetzung.

Letztgenannte Solisten erreichen das Ende der Oper lebend. Aber für’s Hauptpersonal ist zum Schluss so ziemlich alles dumm gelaufen, was dumm laufen konnte.

Die Leitung liegt bei Alexander Vitlin, der Unter den Linden einst einen fabelhaft feurigen Spieler (Prokofjew) dirigierte. Vitlins Dirigat der Zarenbraut erreicht nicht Barenboims Glut und Blut, zeigt dafür eine Art liebenswürdigen Schmiss. Auch die Staatskapelle schaltet einen Gang zurück, spielt indes aufmerksam und lebhaft.

Es fällt auf, wie stark Rimsky-Korsakow sich in Arien, Ensembles und Chören – der in russische Zottelkostüme gesteckte Staatsopernchor singt lebendig – an Melos und Textur Tschaikowskys anlehnt.