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Tristan. Und Isolde.
Ich habe über Ostern mehr Parsifals als Osterhasen gesehen. Und jetzt auch noch Tristan. Der kommt auch nicht aus der Lustige-Unterhaltung-Branche.
Diese Isolde. Mit den Aphrodisiaka rumgetrickst, den Brautwerber zum Küssen verführt und ins Bett umgelenkt. Ehebruch, ewige Liebe. Wie so etwas ausgeht, davon scheint schon das Mittelalter eine Ahnung zu haben, nicht erst der zu weltanschaulichen Überdrehtheiten neigende Schopenhauer-Wagner-Komplex.
Eva-Maria Westbroek (Isolde). Das schwarze Kleid sitzt gut. Ihr Smalltalk in Akt 1 („Da du so sittsam, mein Herr Tristan“, eine Quarte, zwei Quinten) könnte eine Spur tückischer klingen. Ihr Sopran ist üppig in Klang und Umfang. Ihr Piano ist so klangvoll wie das Forte anderer Soprane. Westbroeks Spitzentöne – vornehmlich A’s und As’s – kann man hören, ohne nervös zu werden. Je höher ihr Sopran steigt, desto schärfer lodert er. Das Vibrato in der Höhe erschwert die präzise Wortdeutung. Im Zusammenspiel mit dem zu Exzessen aufgelegten Orchester klingen ihre kolossalen vokalen Ausbrüche wie wilde illegale Partys. „Mild und leise“ singt Westbroek ohne allzu große expressive Finessen. Bei Westbroek fällt mir immer ein: „45 Jahr‘, blondes Haar.“ Sieht sie nicht aus wie gerade 30 geworden?
Und dann sage noch jemand, es gebe ein classical elitism topic.
Sarah Connolly (Brangäne). Connolly steht auf 4cm-Absatz-Pumps. Distinktes Vibrato, bissl herbes Timbre. Kein Klangwunder. Connolly gebraucht beim Singen Verstand und Gefühl, und immer etwas mehr von ersterem. Aber noch im kleinsten Vibrieren ihrer Stimme sitzt ein Stück Drama. Connolly begeht kein einziges Verbrechen gegen Geschmack und Stil. Ihre Brangänerufe in Akt II sind gutgemeinte Erinnerungen („Habet Acht!“) mit viel Verständnis für das, was Westbroek und Skelton gerade machen, keine verzweifelten Mahnrufe.
Stuart Skelton (Tristan). Skelton ist auch kein Stage animal. Dass seine Bühnenpräsenz doch ein gewisses, wenn auch träges Pathos besitzt, hat sich Skelton womöglich hart erarbeitet. Ich hatte Stuart Skelton als Kreuzung aus Simon O’Neills Blässe und Stephen Goulds Verlässlichkeit in Erinnerung. Ich lag falsch. Die Phrasierung ist exzellent. Er hat Farben. Emotion und Affekt kommen stets aus dem Singen und werden nicht dem Singen aufgepropft. In den hocherregten Passagen von Akt III ist jede Note hörbar. Er singt jede Note, er schreit nicht. Nie. Technisch ist er womöglich besser als jeder andere derzeitige Heldentenor von Rang. Kurz, Stuart Skelton ist der befriedigendste konzertante Tristan, den ich in den letzten 15 Jahren gehört habe.
Michael Nagy (Kurwenal). Prächtiges Material, kerngesunde Stimme. Sehr frisch und frei gesungen. Nur dass Nagy sein Material mitunter noch etwas krawallig eingesetzt. Unweit meines Platzes fühlte sich ein Musikfreund zu einem matten Buh bemüßigt.
Stephen Milling (König Marke). Milling… Eine Enttäuschung von vorne bis hinten ist Milling im zweiten Akt. Er ist nur gut, wenn er laut ist, und das ist er eher in Akt 3. Ansonsten fallen die fehlende Prägnanz der Phrasierung nicht minder auf wie der bedauerliche Umstand, dass seinen vokalen Pathos-Gesten genuines Pathos fehlt. Von Millings „keen way of words and a gift for expressive colouration“ (seine Homepage) höre ich nur homöopathische Dosen. Milling wird ja überall angesetzt: Hagen Bayreuth, Gurnemanz Salzburg, Marke London, Landgraf London. Es ist ja nicht so, dass man in Berlin nicht wüsste, wie ein Marke klingt. Ich will nicht ins Detail gehen und nur an einen Finnen erinnern, dessen Statur eine Kreuzung aus Eisbär und Schrank ist, oder an einen Dresdner, der eine knubbelige Stupsnase sein eigen nennt.
Verlässliche Kräfte sind Thomas Ebenstein (Hirte, Seemann), Roman Sadnik (Melot) und Simon Stricker (Steuermann). Simon Stricker ist ein guter Steuermann. Roman Sadnik kämpft mit einer lauten Stimme, die er ohne Gefühl einsetzt. Thomas Ebenstein ist ein guter Hirte. Die Herren des Rundfunkchors Berlin singen leidenschaftlich.
Simon Rattle dirigiert Tristan und Isolde mit britischer Gründlichkeit. Das erste f-Pizzicato in Takt 16 ließ Rattle konzertant vor eineinhalb Jahren lustvoller ploppen. Man gerät im – übrigens anfänglich sehr langsam genommenen – Vorspiel in den Sog von resoluten Crescendi, die so dramatisch wie komplex sind. Die großen Fortissimo-Steigerungen reißen mit wie ein ins Rutschen geratener Gletscher.
Die Berliner Philharmoniker agieren wie ein perfekt durchtrainierter Muskel. Heftige An- und Entspannung. Und dann der orgiastische Flash. Da ist wieder dieses Nachbohren Rattles im Expressiven. Wie einen Socken zieht Rattle jeden Klang auf links, nur um in ihn reingucken zu können. Es ist vielleicht kein Abend für die Ewigkeit (immer wenn man denkt, es sei einer, liegt man sowieso daneben). Der Fortissimo-Schlussakkord von Akt eins wirkt wie ein müder Bumms. Die Schluss-Fermate von Akt drei ist mir zu goldig. Doch jeder Takt lebt. Rattles Intensität triumphiert. Es ist Rattles Sinn dafür, dass im Tristan alles mit allem zusammenhängt, der den heutigen Abend exzeptionell macht. Für Dominik Wollenweber (Englischhorn) dürften die insgesamt sieben Tristan-Abende einer der Höhepunkte seiner Laufbahn sein.
War Rattle in Akt 1 nicht in etwa auf Thielemann-Tempo (2015 Bayreuth) – nur das Vorspiel dehnte Rattle ungleich stärker – und in Akt 3 deutlich rascher als Thielemann?
Ein grandioser Abend! Bravo Rattle, Bravo Philharmoniker, Bravo Solisten!
Wir saßen wenige Meter von den Sängern entfernt und es war faszinierend zu beobachten, wie ein jeder auf höchst unterschiedliche Art und Weise auf die enorme Anspannung reagiert. Während des Vorspiels zum zweiten Akt schien Eva-Maria Westbroek auf ihrem Stuhl fast zu hyperventilieren, ihr Mund schloss sich gar nicht mehr. Stuart Skelton hingegen saß auf seinem Stuhl fast wie in Trance.
Das Podium hatte sich im dritten Akt schon merklich geleert. ;-) Ist ja auch nicht einfach, wenn man als Berlinbesucher plötzlich in einen Tristan gerät.
Mir tut immer Harfenistin Marie Langlamet leid, weil sie muss so lange auf ihren Einsatz im 1. Akt warten
LG Ann Wilhelmsen
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zu viel efeckt zu wenig Herzblut leider
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Leider zu wenig Orthographie-, Interpunktions- und Syntaxkenntnisse.
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das ist ja wohl Blödsinn, Stephen Milling ist einer der besten Markes die gegenwärtig zu finden sind. Nicht umsonst ist er in diesem Jahr wieder als Bayreuther Hagen zu hören. Sie sollten bitte genauer hinhören.
Simon Rattle war noch nie ein Tristan-Dirigent der ersten Reihe
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Na, jeder so wie er hört
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Auch ich fand Milling (jedenfalls in Baden-Baden) tadellos. Aber es hängt hier wohl auch viel von den jeweiligen Hörgewohnheiten ab. Ein Partie wie Hagen (oder meinetwegen auch Hunding) verlangt doch etwas anderes als Marke. Und wenn ich die Wahl hätte, würde ich Milling auch lieber als Hagen besetzen….
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Richtig. Als Hagen gefiel er mir auch besser, wenngleich ich Milling auch damals nicht als Idealbesetzung ansah.
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Westbroek singing Isolde certainly makes the hair stand up on the back of my neck
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Wirklich ganz großartig.
Ich war am Donnerstag und Sonntag drin. Ich habe dann doch noch tatsäclich einen Podiumsplatz ergattert.
Witzig — gestern war das Vorspiel hörbar rascher als am Donnerstag. Das ist ja bekannterweise auch oft so, dass die Folgevorstellungen im Tempo etwas zulegen. Wahnsinn, auf welchem Level die Phillies die Details zum Vorschein brachten.
Ich weiß gar nicht, ob ich Donnerstag oder Sonntag besser finde. Donnerstag klang es hypnotischer, Sonntag aber einen Tick dramatischer.
Westbroek fand ich am Sonntag etwas angespannt im Vergleich zu vier Tage vorher. Nach insgesamt einem halben Dutzend Isolden sollte das aber nicht überraschen. Milling hat mir sehr gut gefallen. Ich kannte ihn noch gar nicht. Von Sarah Conolly war ich beides Mal sehr angetan. Sie ist nicht die typische Brangäne-Posaune, OK, aber sehr fein gesungen.
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Nein, Rattle ist kein Operndirigent! Es war vieles einfach zu laut. So musste gerade im 1. Akt die Westbroek mächtig auf die Tube drücken, um über das Orchster zu kommen. Von Differenziertheit konnte somit leider nicht die Rede sein. Auch den Liebestod verhunzte Rattle geradezu. Die wunderschönen Holzstimmen gingen im Streicherbad leider völlig unter.
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Rattle in der Oper? An der Staatsoper Berlin hat Rattle ganz ordentliche Sachen gemacht, z.B. einen sehr schönen Pelléas, Katja Kabanowa etc. Auch konzertant fand ich Rattles Salome mit den Berlinern außergewöhnlich gut. Etwas weniger überzeugend fand ich Rattles Ring in Wien, und sein Ring an der Deutschen Oper hatte Licht und Schatten, doch die Walküre war exzellent, wie ich finde.
Das Problem mit den Bläsern hatte ich nicht, oft finde ich (allerdings nicht beim Tristan), dass die Bläser beim BPO sogar ein, zwei dynamische Grade leiser sein könnten. Die Lautstärke von Westbroek war ja auch „selbstgemacht“. Aber Sie haben Recht, bei den zwei Höhepunkten beim Liebestod hat man v.a. die Geigen gehört.
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