Das ging schnell. Schon ist es da, das erste Ring-Wochenende Unter den Linden. Die Staatsoper glüht in friderizianischem Schweinchenrosa in der Abendsonne und der lustig gekleidete Teil der Besucher spricht Englisch.
Und drinnen? Versammeln sich Licht- und Nachtalben, Riesen und Rheintöchter zu Spuk und Raub, zu Hybris und Laster.
Los geht es also mit „Vorabend“ und „Erstem Tag“. Zuerst das quecksilbrig changierende, kammermusikalisch fein gewobene Konversationsstück Rheingold, dann die melodramatische Walküre. Am Samstag ist Stephan Rügamer das geheime Zentrum des Abends (der den Loge parlandofroh und wunderbar hellstimmig singt), am Sonntag ist es Michael Volle (als herrischer Wotan mit gestochen scharfer, hochdramatischer Diktion). In Rheingold und Walküre stecken wir noch tief in mythischer Zeit. Kein einziges Menschenkind bevölkert die Bühne.
Nun ist es ein Jammer, dass Guy Cassiers‚ Ring des Nibelungen-Inszenierung so hasenfüßig daherkommt. Diese Inszenierung ist schön anzusehen. Aber sie bleibt in ihrer Dauerschleife aus aparten Licht- und Video-Kompositionen penetrant nichtssagend.
Cassiers traut sich nichts. Cassiers traut Wagner nicht. Selten hatte ein Regisseur weniger Fortüne mit den Zaubertricks des alten Theaterfuchses Wagner. Weder der Raub des Rheingolds noch Alberichs Verwandlung in Wurm und Kröte darf das Publikum sehen. Stattdessen wird man mit Luftgesten und Tänzergewusel abgespeist. Die Personenregie ist fad. Cassiers – der Kleinmütige. Cassiers war und ist der derbste Fehlgriff – weil mit einem Schlag vier Abende betroffen sind – eines Berliner Opernhauses des letzten Jahrzehnts.
Rheingold
Von der Besetzung der ersten zyklischen Aufführung im Frühjahr 2013 sind noch entscheidende Namen vertreten, u.a. die Sängerinnen von Brünnhilde (Theorin), Fricka (Gubanowa), Erda (Larsson) und Freia (Samuil). Statt René Pape, dessen Wotan-Debüt ein, wenn auch sehr hörenswertes, Missverständnis war, singt nun der mit einer Heldenbaritonmetall-Vollausstattung gesegnete Michael Volle.
Neben Rügamers quirligem Loge gibt Jochen Schmeckenbecher den Alberich hart deklamierend, dem Gegenspieler Wotans so eine unverwechselbare Physiognomie verleihend. Tölpelhaft dräuend das Riesenpaar: Matti Salminen, immer noch ein Berg von einem Mann, singt einen dröhnend polternden Fasolt, dem Gefühle für Freia nicht fremd sind. Doch freilich: Gegenüber Groissböcks Bayreuther und Münchner Porträt des verliebten Riesen ist Salminens eher Stückwerk. Falk Struckmann als Brudermörder Fafner klingt weniger brachial, aber gefährlicher. Freia Anna Samuil klagt seelenvoll, und die göttlichen Geschwister Donner und Froh, beide nicht die hellste Kerze auf der Götter-Torte, werden von Roman Trekel (den ich immer gerne höre) und Simon O’Neill (mit sanfter Strahlkraft) gesungen. Als aufgeregt kreischender Mime treibt Wolfgang Ablinger-Sperrhacke sein Unwesen (siehe Kommentar unten). Die auf einem unsexy Gitter aus Plattenwegen planschenden Rheintöchter liegen in den Händen von Evelin Novak (Woglinde, die Stimme schlank und schön), Natalia Skrycka (Wellgunde, lebhaft vibrierend) und Anna Lapkowskaja (Flosshilde, mit engem, schnellem Vibrato und unruhigen Akzenten).

Die Walküre
Singt Michael Volle in Rheingold einen launischen, hell klingenden Wotan, bisweilen fast grob und ohne jedes Legato, dabei großartig in Gestik und (Sprech-)Gesang, so verkörpert er in Walküre (im schiefrig grauen Zweireiher mit schnuckeligem Fellüberwurf) einen Wotan voll herrischer Wut und gefährlicher Impulsivität. Das Timbre ist herrlich trocken, die Diktion wasserklar, jede Silbe hat dramatischen Kern. Typisch die abgehackten Wort-Pointierungen, meisterhaft der Sinn für die äußere und innere Architektur jenes 80-taktigen, bitter klagenden, dramatisch zerklüfteten Rezitativs So thatest du, was so gern zu thun ich begehrt, wo Barenboim den Sänger auf den Händen trägt. Unendlich lobenswert auch Volles Verzicht auf jedwede schablonenhafte Wotanswürde. Kaum ein Wotan nimmt Wagners Rolle so ernst. Wenn der Bariton das Leb‘ wohl, du kühnes herrliches Kind! anstimmt, so wird mit einem Schlag klar, dass auch Wotan zu diesem kühnen Geschlecht gehört. Ein großes Porträt.
Ekaterina Gubanowa gibt eine unbeugsame, stolz erzürnte, im Ehekampf keinen Millimeter weichende Göttergattin, dunkel guttural timbriert, mit intensivem, reichem Ton und leichtem Übergewicht des Klanges über die Textwiedergabe, doch auch in letzterer überzeugend. Ein Siegmund mit klarer Tenorstimme und makellosen Wälserufen ist Simon O’Neill. Höhensicher und in jeder Note verlässlich, ist O’Neill nun einmal kein charismatischer, aber doch ein sympathischer Darsteller. Anders die Sieglinde von Anja Kampe. Ihr Klang ist reicher und schöner als der O’Neills, besitzt in der Höhe leuchtenden Glanz und bezaubert durch Ausdrucksnuancen und lebhaftes Spiel. Schön: Weder O’Neill noch Kampe müssen forcieren. Und Falk Struckmann ist ein mächtiger, bedrohlich-rauer Hunding.

Bleibt noch das herrliche Wotanskind Brünnhilde von Iréne Theorin, die in einem unkleidsamen Kleiderkonvolut mit grotesker, buckelartiger Schultertasche steckt (Kostüme: Tim Van Steenbergen) und die Rolle bis auf die Hojotoho-Rufe in der Fricka-Szene (die am Rand des kultiviert Genießbaren liegen) höchst befriedigend zu Werke geht. Die Stimme hat klangliche Intensität und genuin hochdramatisches Gewicht, wenn sie sich über das Orchester erhebt, und substanzielles Piano, wenn Wagner Ausdruck verlangt. Mir kommt ihr Brünnhildenporträt reicher und souveräner vor als vor sechs Jahren.
Als Wotanstöchter und Walküren in Fantasy-kompatiblen Gewändern sind zu nennen Vida Miknevičiūtė (Helmwige), Julia Rutigliano (Siegrune, Nach Osten weithin dehnt sich ein Wald), Anja Schlosser (Waltraute, Nach dem Tann lenkt sie das taumelnde Ross), Natalia Skrycka (Schwertleite, Mit keinem Gruss grüsst sie die Schwestern!), Christiane Kohl (Gerhilde), Anna Samuil (Ortlinde Helft der Schwester vom Ross sich schwingen!), Anna Lapkowskaja (Grimgerde, Nicht geheu’r ist’s dort für ein hülflos‘ Weib) und Dshamilja Kaiser (Rossweisse). Allesamt singen sie mit durchdringenden Einzelstimmen. Mitreißend zu hören ist das vielstimmige, zuerst wild frenetische, dann heillos aufgeregte Ensemble im dritten Walküreakt.
Und was kommt aus dem Graben?
Die Staatskapelle Berlin stellt Leitmotive in all ihrer Tragik frei oder verwebt sie in das organisch wuchernde Motivgeflecht. Hier das gemessen fließende, von tiefem Blech intonierte Walhallmotiv. Anderes stürmt voran: das wie in Furcht vor der selbst ausgesprochenen Wahrheit in die Tiefe stürzende Vertragsmotiv. Der weite, über ganze Akte gespannte Atem, die unendlichen Bögen, die sich über kleinere, in ihrem Aufbäumen und Abschwellen oder durch kumulierende Motivvariationen reich gegliederte Sinn-Einheiten legen, das ist Daniel Barenboims Metier. Flexibel, die Dramatik der Partitur suggestiv auslotend, auch die Temponahme. Die zum Äußersten gesteigerten Ballungen des Orchesters sind stets auch Gravitationszentren, um die sich die Szenen erst aufbauen: die infernalische Abfahrt nach Nibelheim, der blechgepanzerte Es-Dur-Schluss in Rheingold, der Walkürenritt und die Höhepunkte der Schlussszene in Walküre. Triftig und reich gelingen aber auch die leisen Stellen: Auch dies Gravitationszentren, die Wagner erst zum Sprechen bringen.
Meine Kritik von Rheingold vom 21. September: Das Rheingold – leicht angeschickert.
Meine Kritik von Walküre vom 22. September: Die Staatskapelle ist ein Walküre-Orchester, oder?

„Als aufgeregt kreischender Mime singt sich Wolfgang Ablinger-Sperrhacke für Siegfried warm“
Nur doof, dass er den Siegfried-Mime in Berlin nicht singt…
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Das ist eben die Crux mit den allseits beliebten Koproduktionen: Sie sind Gift für ein innovatives Theater. Der Ring Cassier/Barenboim wurde von der Staatsoper Berlin, vom Toneelhuis Antwerpen und der Scala produziert. Der Dirigent kommt aus Berlin, Mailand bekommt die Premiere, und Antwerpen? Drei Mal darf man raten, wer den Belgier Cassier ins Spiel brachte. Kaum anders lief es bekanntermaßen bei dem kindischen Rigoletto. Koproduktion mit NY, die Inszenierung besorgt ein Regisseur vom Broadway. Von den Sängern war ich am Sonntag restlos begeistert. Chapeau auch für die Staatskapelle und Barenboim. Warten wir darauf, was Stefan Herheim an der Deutschen Oper machen wird.
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Ach,
so kann man sich auch vor der Forza drücken…
Wäre mir aber immer lieber, als Wagner in der Staatsoper
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Wollte eigentlich erst nächsten Juni in Macht des Schicksals, wegen dem Ring jetzt, aber auch wegen R. Thomas und dem ausgetauschten Dirigenten. Jetzt haben sie für Juni M. Álvarez auch schon wieder gestrichen. Ärgerlich… Aronica kenne ich nicht. Die aktuellen Bilder finde ich gar nicht schlecht. Vielleicht gehe ich kurzfristig noch mal. Ich liebe ja Forza.
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Aronica, vor zig Jahren mal gehört, küzlich in einer Freiluftaufführung Cavalleria aus diesem Höhlenort, gräßlich… dann lieber noch kurzfristig. Ich gehe am 28. Volles Programm, Maskenball, Cavalleria, Traviata 2x Beczala und einmal Ehepaar Alagna
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Habe Karten morgen für Alagna, sogar mit Frau, bin aber kurzfristig nicht in Berlin. Der Italien-Monat an der DO ist eine schöne Sache. Beczala natürlich toll, weiß nur nicht wie diese Churilova singt. Bei Sängern vom Mariinsky weiß man nie recht. Das ist wie eine Wundertüte. Die Tatjana an der KO letztens war mittelmäßig.
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Ich geh am Montag mit meinem Sohn hin. Mal sehn, wie er die Gschicht jetzo sieht…
Ich habe für April 2 Karten für den Barbiere in der Staatsoper gebucht, weil er das sehen wollte. Für die Zauberflöte hatte er nichts übrig. Jetzo also 2mal Gyla Orendt im 1. Rang Seite. Der kann auf jeden Fall singen.
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wer meines Speeres Spitze fürchtet
durchschreite das Feuer nie
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Michael Volle wohnt nun zu unser allem Glück in Kleinmachnow und singt regelmäßig an den dort benachbarten Opernhäusern
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vorerst müssen wir mit dem Ford vom Abbado vorlieb nehmen
Lucio Gallo
war damals echt gut, aber ein mäßiger Jago jetz
Barenboim wird ihm hoffentlich was beibringen
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der ist außerhalb jeder Konkurrenz
vielleicht wie meine Musiklehrerin sagte :Alfredo Kraus
sowas kann der
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Es war furchtbar, als ich Alfredo Kraus zum letzten Mal neben Lucia Aliberti in der Deutschen Oper erleben durfte.Das Publikum hustete und gab allen zu verstehn : Ihr seid uns völlig ejal.
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So, wie die ekelhaften Preussen eben sind.
Jeder weiß es.
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Ich vermisse noch Ihr Resümée zu Siegfried und Dämmerung. Ich gehe ab heute zum zweiten Durchlauf.
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Selbst schuld, wenn Sie da hingehen, dann noch Siegfried, grrrrrrrrrrrrr.
Wären Sie mal lieber gestern in die Cavalleria gegangen, da ist Ihnen wirklich was entgangen
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Herr Mohrmann, das müssten Sie eigentlich wissen, Herr Selge geht doch nicht in einen Verismo-Schinken :-)
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Hihi,
aber nen bisschen abartig sind Sie beiden schon, grenzt ja schon an Masochismus :-)
Ich gehe Samstag in die Forza…..
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Ich gehe wohl auch noch, entweder morgen oder Samstag. Ihr Lieblingskritiker findet den Castorf übrigens ganz gut. Ich habe so eine Ahnung, dass mir die Chose auch zusagt.
https://www.rbb-online.de/rbbkultur/themen/musik/rezensionen/buehne/2019/09/Deutsche-Oper-Berlin-La-forza-del-destino.html
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Das ist ja das Schlimme :-((( Aber es gibt einige davon.
Ich befürchte mir gehts auch so :-)). Allerdings diese Szene mit dem Aufsagen finde ich wahrscheinlich auch doof, da ich es eh nicht verstehe. Denke auch immer noch an die Neuenfels Inszenierung, da war es jahrelang auch so. Proteste gibts wohl in allen Aufführungen bisher, musikalisch soll es wohl sehr gut geworden sein…..
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Jetze sin wa wohl alle Masochisten hia ??
nur da Bruder Uwe nich ??
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Mache auch den zweiten Zyklus mit. SF und GD kommen dann diese Woche.
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