Es ist eine der rätselhaftesten Opern (offiziell: Ein Vorabend): Das Rheingold. Gut zweieinhalb Stunden Plauderei,
das Personal ist zu 100% mythologisch, von den sieben Todsünden fehlt nur Völlerei. Und es gibt ziemlich viele Leitmotive, die einen sagen 33, die anderen 35, die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen.
Wenn einer den Außenseiter Loge, diesen Causeur und halbwegs ehrlichen Makler, so gewieft singen kann, dann Stephan Rügamer, und er macht das wortgenau pointiert und erstaunlich kantabel, mit geschmeidigem Gesangston.
Jochen Schmeckenbecher bietet eine energische Verkörperung von Alberichs böser Gravitas. Die Riesen (Matti Salminen und Falk Struckmann) wirken wie ungeschickte Vorstadt-Ganoven in voluminösen schwarzen Anzügen – dies ist der einzige Anflug von Ironie in 15 Stunden saurer Regiearbeit. Salminen wuchtet den Fasolt mit rostiger Bassposaunenkraft auf die Bühne, die der Finne körperlich und auch stimmlich immer noch beherrscht. Das muss man auch erst mal können: Salminen wirkt wie ein jovialer, leicht angeschickerter Rentner auf großer Reise. Struckmann wirkt weniger brachial, aber gefährlicher.
Es ist ja ein Jammer, dass die Inszenierung von Guy Cassiers statt einer Deutung nur die Bebilderung des Textes bietet. Dem Zuschauer bleiben verrätselte Tanzbilder und suggestive Video-Artistik. Und es ist ein Jammer, wenn ein Sängerschauspieler vom Kaliber eines Volle auf der Bühne steht und die Inszenierung dessen schlechtgelaunte Ranzigkeit (sein grandioser Falstaff) ungenutzt lässt.

Die göttlichsten Götter (Loge) agieren sämtlich sangesfroh, so auch die Brüder Donner und Froh – Roman Trekel singt mustergültig klar und mit überzeugender Kraft der Artikulation im Gewitterzauber Heda! Heda! Hedo!, Simon O’Neill leuchtkräftig und mit schwereloser Höhe. Textverständlich und vorbildlich kantabel bewältigt Charaktertenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Mime) seinen kurzen Auftritt, und als jugendspendende Freia bringt Anna Samuil ihre reiche Stimme und ein zu Herzen gehendes Spiel ein. Dass früher auch nicht alles besser war, zeigt sich bei jeder Ring-Aufführung aufs Neue, wenn die koketten Rheintöchter sich in Gegenwart Alberichs sträflich verplaudern und die ganze Chose erst in Gang bringen. Evelin Novak (Woglinde, weich schwebende Spitzentöne), Natalia Skrycka (Wellgunde, klangvoll kichernd) und Anna Lapkowskaja (Flosshilde, schöne Stimme, doch am undeutlichsten artikulierend) singen gutaufgelegt.
Dann ist da noch der schon erwähnte Michael Volle, der den Wotan als verschlagenen und überheblichen, hart aufbrausenden Siegertypen gibt. An diesem Wotan ist rein gar nichts göttlich. Dafür ist jede Phrase liedhaft eindringlich und voll dramatisch-rhetorischen Ausdrucks. So viel virile Vehemenz, ja, rotzige Verve lässt selten ein Sänger dem herumstreunenden Schwerenöter angedeihen. Das Sängerensemble vervollständigen Anna Larsson, stimmlich nicht in allen Lagen perfekt, aber mit all ihrer Erfahrung phrasierend (Erda), und Ekaterina Gubanowa als erzürnte, aber auch noble Fricka.
Zur Staatskapelle Berlin und Daniel Barenboim morgen mehr in der Kritik von Die Walküre.
Der Applaus ist bei Walküre am längsten, bei Siegfried am kürzesten, bei Rheingold mittellang.
Meine Kritik von Rheingold und Walküre von Anfang September: Selbst ausgesprochene Wahrheit. Im Laufe des Tages erscheint bei Hundert11 eine aktuelle Kritik zu Rheingold und Walküre.
Diese unreflektierte Schelte hat die Berliner Inszenierung nicht verdient. Nicht jeder „Ring“ braucht eine revolutionäre Neudeutung. Es kann auch eine gut gemachte und stimmige Inszenierung wie die von Guy Cassiers sein, in der die Sänger sich entfalten können. ohne sich in Rollen zwängen zu müssen, die ihnen von einem profilierungssüchtigen Regisseur aufgezwungen werden. Solche eine Inszenierung erhält dann schnell „Kultstatus“ wird vom Großteil des Publikums wegen der Geschmacklosigkeiten aber oft wenig goutiert. Ich denke an Castorfs kruden Bayreuther Ring oder an den Frankfurter Ring von Vera Nemirova, wo Freia von den Riesen abtransportiert wird, um schließlich gruppenvergewaltigt zurückzukehren. Nein danke so was brauche ich nicht auf der Bühne zu sehen.
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Ich stimme Ihnen aus vollem Herzen zu, Herr Meier!
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Das sehe ich anders: Zu Castorf ging man sicherlich nicht wegen der gigantischen Ideenflut….; man kann sich aber auch an schlüssigen Ring- Inszenierungen richtig erfreuen (und das zu unterirdischen Preisen!), nehmen wir nur Götz Friedrich hier in Berlin (Weltenunterschiede zu Cassiers), aber auch Dessau, Sofia, Karlsruhe; und dieser albern tanzende Waldvogel; ich halte diese Inszenierung für eine echte Nichtinszenierung, mit zugegebenermaßen kleinen aufblitzenden ästethischen Momenten, meistens jedoch leider eher ein diffuses Videogewimmel und wunderbaren Wärmelampen für Brünnhildes Schlaf…..für 16 Stunden einfach viel zu wenig. Und ein albern tanzender Waldvogel, nun ja…. mir erschließt sich auch nach mehrfachem Besuch dieser Inszenierung hier nichts, dann besser ganz ohne Bühne. Die arme Brünnhilde muss sich im 3. Siegfried Akt mehr mit ihrer Schleppe beschäftigen als zu singen…. tolle Sänger, ein sehr gutes Orchester
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Wenn ich was dazu anmerken darf : für mich war das Rheingold die einzige erträgliche und verständliche Oper aus dem Ring. Das ist nette Oper, klar, kurz, verständlich, und jeder sieht, wohin alles führt.
Ich gebe zu, daß ich den ganzen Ring nur einmal gesehn hab, nämlich hier in Berlin im Zeittunnel des Götz Friedrich.
Damals bin ich zum ersten Mal in der Oper eingeschlafen, nämlich im 2. Akt der Götterdämmerung. Das langwierige Gequatsche von Hagen mit seinem Counterpart hat mich irgendwie ermüdet.
Interessanterweise saß ich 15 Jahre später in Chicago in einer Götterdämmerung. Dirigent war Mehta, Brünnhilde : Marton, Siegfried : Jerusalem und der Regisseur hieß August Everding. Ich bin wieder an derselben Stelle eingeschlafen. Seither gehe ich da nicht mehr hin.
Frage : kann man was dazulernen, wenn man sich der Götterdämmerung oder dem ganzen Ring unter einem anderen Blickwinkel nähert ? Der nicht der Verdianische ist ? aber Emotion beibehält und nicht allzu rational wird ?
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