Tag 3 bei Ultraschall Berlin ist da. Er bündelt aufregende Kammermusik, im Radialsystem geben sich das Notos Quartett und das ensemble recherche die Ehre.
Los geht’s mit dem Notos Quartett. Die Herren tragen Schwarz, die Damen Gelb und Blau.
Betont minimalistisch startet der Ultraschall-Tag Nr. 3 mit Morton Feldman und Four Instruments (entstanden 1975), das subtil und lakonisch vorgeht. Da ist Feldman ganz der Zen-Meister und sorgt für jede Menge puristischen Hörreiz. Gravity (2016) aus der Feder von David P. Graham initiiert einen Ablauf wiederkehrender Gesten. Pizzicati, intervallische Motive und Tremolo-Glissandi bilden aparte, durch Pausen getrennte Mini-Ereignisse. Gegen Ende, wo sich das Stück expressiv gibt, büßt es einen Teil seiner Faszination ein. Der US-Amerikaner Bryce Dessner wirft El Chan (2016) in den Ring. Das Werk organisiert sich als Folge kurzer, bildhafter, mitunter neoklassizistisch bewegter Sätze. Es hinterlässt bestenfalls gemischte Gefühle.
Auch Jesús Torres arbeitet in Cuarteto con piano (2017) mit der klassischen Satzeinteilung. Aber warum zum Teufel steckt die Komposition bis an den Rand voll mit Idiomen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? So gesehen und gehört freut man sich doppelt, dass das äußerst genau aufeinander hörende Notos Quartett wenigstens seine messerscharfen Präzision einbringt. Am stärksten fesselt Antonia Köster am Klavier dank kristalliner Härte, aber auch die anderen Musiker steuern ihr Quentlein bei, etwa Sindri Lederer mittels feinstem Geigenglanz.
Alte Neue-Musik-Hasen: ensemble recherche
Ab ins 2. Konzert mit dem ensemble recherche. Die Ensemble-Mitglieder sind ganz alte Neue-Musik-Hasen und beweisen sich auch dieses Jahr im harten Arbeitseinsatz.

Los geht es mit Ayre: Towed through plumes, thicket, asphalt, sawdust and hazardous air I shall not forget the sound of (2015) von Chaya Czernowin. Man kommt nicht umhin, die verglichen mit dem Titel auffällige Kürze des Stücks zu beachten. Doch Ayre ist ein bezwingendes Stück. Minimalistisch versiert, bindet es introvertierten Knirsch-Sound und intime Glissandi zu einem lauschigem Gesamtpaket von hohem Hörreiz. Klug erkundet es die Grauzone zwischen Klang und Geräusch, zielt auf Imagination und Assoziation und entlässt den Hörer zufrieden mit sich und der Neuen Musik.
Plektó von 1993, komponiert von Altmeister Iannis Xenakis, ist nach Neue-Musik-Kriterien uralt, ist aber alles andere als ein alter Hut. Klug wahrt das robuste Stück relativ gleichbleibende Dichte, listig werden Hörerwartungen an Ausdruck und Proportion unterlaufen. In der Verbindung von hohem Ernst und untergründiger Gewitztheit erinnert es an Ligeti. Das Ergebnis ist eine verführerisch sachliche Kontrapunktik mit hohem Verquertheitsquotienten, wie Glenn Gould es nennen würde.
Es folgt Wheat, not oats, dear. I’m afraid (2015) des Österreichers Johannes Maria Staud. Das ensemble recherche ist Widmungsträger des feinsinnigen Werks, das transparent gehalten ist und voller ohrenschmeichlerischer Ereignisse steckt. Meditativ wirken die wiederkehrenden Atemgeräusche der Interpreten. Melancholisch gedämpft ist die Stimmung, im zurückhaltenden Flow dominieren die leisen Töne.
Ganz anders Milica Djordjević und ihr Stück Pomen II (2018) für Bratsche solo. Hier dreht sich alles um die schartige Haptik des Bratschentons. Das wirkt zuerst einmal improvisatorisch, es geht um Subjekt, Temperament, Bogendruck. Wer genau hinhört, wird Zeuge, wie jeder Bogenstrich widerständiges Relief und – plötzlich auch – virtuoses Profil entwickelt. Paul Beckett an der Bratsche agiert genau und leidenschaftlich, in seiner immensen Konzentration wirkt er fast ironisch.
Kommt das Beste zuletzt? Irritierend und faszinierend dann das abschließende Zwischen den Sternen (2018) von Christian Mason, eine Uraufführung. Anfangs kommt mir das gut 35-minütige Stück spanisch vor, will sagen simpel und langweilig. Das sollte sich als Fehleinschätzung erweisen. Masons Arbeit ist geprägt von lichten Strukturen. Das Stück erzählt auch von Schönheit. In der zeitlichen Ausbreitung des Werks scheint zudem Symphonisches auf. Was Mason da treibt, ist oft provozierend einfach, ob es sich dabei um traditionelle Melodik oder „sphärische“ Klangbilder handelt. Ähnlich wie beim späten Ligeti führt die Skordatur zu einem entrückten Klangbild. Ob die Positionswechsel der Spieler der Musik Wesentliches hinzufügen? Viel Applaus.
Weitere Kritiken: sehr lesenswert die Berichte zu Ultraschall Berlin von Hundert11, dort auch die Besprechung der Donnerstag-Konzerte. Von mir die Kritik zum Eröffnungskonzert mit Werken von Seither, Boesmans und Wozny