Altmeister Harry Kupfer inszeniert Verdis düsteren Macbeth als Kriegsfabel im Erdölland Schottland.

Die Hexen liegen als Kriegstote auf dem Schlachtfeld, am Horizont qualmen rußig brennende Ölfelder. Unter den Schlachtfeldern aber wohnen die Mächtigen. Macbeths Herrschersaal erhebt sich als unheilverheißende Unterwelt aus den Tiefen der Bühnenmaschinerie, und wenn er dann aufgetaucht ist aus der Nachtschwärze des Untergrunds,

ist Macbeths Burg ein klirrend kalter, in schwarzen Marmorglanz gefasster Machtraum. Eine zweiflüglige, bühnenweite Schranke trennt diesen Kerker der Macht, an dessen Marmorglätte alle Schuld abzuperlen scheint, vom Hintergrund. Auf der Bühne: nichts als Sofa und Sessel in strahlend weißem Chesterfield-Design.

So wie im Hintergrund im Wechsel mit Verbrannte-Erde-Schlachtfeldern mittelalterliche Ruinen schräg in die Bühnentiefe stürzen, trägt Macbeth vorne abwechselnd tressen- und kordelbesetzte Galauniform (die bei Domingo nach Operettenuniform ausschaut) oder Militärmantel und dazu Schirmmütze und Knobelbecherstiefel, während der Hofstaat sich in sinistren Wehrmacht-Look hüllt, die Boten (1. Akt) tragen gar Schutzstaffelschwarz (Kostüme Yan Tax). Macbeths Herrschaft ist eine des Krieges, und sie wird zu einer des Terrors und des Wahns. Und wenn zum x-ten Mal die kalte Pracht des Herrschersaals aus der Tiefe aufsteigt wie eine Vision, verwandelt sich das darüber liegende Schlachtfeld in den düstersten aller Himmel (Bühne Hans Schavernoch).

Macbeth_Anna Netrebko_Plácido Domingo_Staatsoper Unter den Linden Berlin

Harry Kupfer zeigt Macbeth als kalte Parabel der Öl-Macht. Der Mörderchor kleidet sich in Signalwesten und Bohrarbeiterhelmen. Über der Szene hängt menetekelhaft eine Baggerschaufel vom Bühnenhimmel. Die langhaarigen Hexen bleiben anders als von Verdi und Shakespeare gefordert bartlos. Macbeth ist Verdis einzige Oper ohne jede Liebeshandlung. Die entfesselte Machtgier des Herrscherpaares drängt selbst die Klage um die Toten und um das Vaterland (berührend der Staatsopernchor in Patria oppressa) an den Rand. An Nachdenklichkeit und dramaturgischer Härte bleibt Kupfer dieser illusionslosester aller Verdi-Opern allerdings das eine oder andere schuldig. Personenführung wie Gestenarsenal bleiben konventionell, und die theatralische Wucht, die Macbeth entwickeln kann, vermisst man doch.

Es ist die letzte große Premiere der ersten Spielzeit in der blattgoldglänzend renovierten Staatsoper Berlin, und sie lockt mit einem hochkarätigen Ensemble. Als Lady Macbeth ist Anna Netrebko zu hören. Mit gurgelndem Gluttimbre stürzt sie sich in ihre erste Arie (Cavatina Vieni, t’affretta) und lässt darüber hinaus ein kellertiefes Brustregister hören, mit feinen Pianissimi wartet ihre zweite Arie auf (das harmonisch irrlichternde La luce langue). Die zweite Strophe des Trinkliedes faucht Netrebko in unverhohlener Wut über den von blutigen Wahngebilden schachmatt gesetzten Gatten.

Das ist so gewagt wie gelungen und verrät bei aller Expressivität doch nie den Gesang. Und die berühmt-berüchtigte Schlafwandlerszene (Una macchia è qui tuttora) fächert die Sängerin zwischen ersterbend leisen Tönen und stählernen Ausbrüchen auf. Ihre Koloratur (Akte 1 und 2) ist, seitdem die Russin für sich die Kapitel Mozart und Belcanto geschlossen hat und sich den kräftezehrenden Paradedisziplinen Verismo und Spinto-Rollen widmet, nicht mehr exzellent. Ihre Piani sind bewunderungswürdig. Und einfach wunderschön ist, mit welch müheloser Verlässlichkeit ihr hochkonzentrierter, wie überbelichtet klingender Sopran sich aus dem Ensemble des ersten Finales erhebt.

Macbeth_Anna Netrebko_Lady Macbeth_Plácido Domingo

Auf der Bühne wirkt Anna Netrebko abgesehen von einigen Räkelposen aufreizend kühl und scheint mit Harry Kupfers marmorkalter Dritter-Reich-Finsternis bis zuletzt zu fremdeln.

Als schottischer Tyrann steht der Marathonmann des internationalen Gesangszirkus, Plácido Domingo, auf der erdölschwarzen Bühne. Ihn umweht die köstliche, fast schon museale Grandezza einer über fünfzigjährigen Bühnenkarriere. Beeindruckend ist immer noch die Intensität des Ausdrucks, überraschend auch Domingos Durchschlagskraft in den Ensembles. Indes lassen sich die morsche Kantilene, das ruinös ächzende Legato selbst mit dem verzeihenden Ohr eines liebenden Fans nicht überhören. Nicht nur einmal geht ein Ton auf dem langen Weg von Herrn Domingos Lunge auf die große, weite Bühne unversehens verloren. Bei verzierten Passagen sinkt die Trefferquote korrekt gebildeter Töne rapide, und wie Domingos liebenswürdig greise Bühnenpräsenz zum Bild eines gewalttätigen Tyrannen passen soll, bleibt mir ein Rätsel. Auch Domingos Affektgesten wirken ausgeleiert und konterkarieren ungut die so kühn verknappte Musik Verdis. Zwischenzeitlich sehnte ich mich geradezu nach einem Željko Lučić als Macbeth.

Als Macduff agiert der famos verlässliche Fabio Sartori mit bissfestem Al-Dente-Tenor und durch und durch italienischem Klang (die Registerunterschiede sind größer geworden, die larmoyanten Schluchzer weniger). Als Banquo bewährt sich Kwangchoul Youn mit Bassschwärze (und hörbar gewordenem Vibrato). Fesselnd sind Youns Instinkt für den großen Bogen und sein dynamisch anpassungsfähiges Volumen. Die Kammerdienerin singt mit klarem Sopran Evelin Novak, den Arzt mit Wärme und Kraft (und schön lockerem und doch sehnigem Vibrato) Dominic Barberi, den Malcolm etwas dünn Florian Hoffmann.

Premiere Macbeth Verdi Staatsoper Berlin

Am Pult der Staatskapelle Berlin leitet Daniel Barenboim mit Feuer und lässt die Verdi-Wogen hoch schlagen. Er sät eine dunkle Wucht der Akzente und erntet gefühlvoll abphrasierende leise Töne. Gespielt wird übrigens eine Mischung der Fassungen von 1847 und 1865. Von der zweiten Fassung stammt die zweite Arie der Lady, La luce langue, doch in der Schlussszene erklingt nicht wie meist der Vittoria-Chor von 1865, sondern der originale Monolog des sterbenden Königs.

Plácido Domingo, Anna Netrebko, Kwangchoul Youn, Fabio Sartori, Daniel Barenboim

Für die Arie der Netrebko im ersten Akt gibt es stürmischen Applaus. Für ihr La luce langue im 2. Akt gab es ein einziges Brava, viel Applaus dann wieder für ihre Darbietung der Schlafwandlerszene im 3. Akt. Applauskönig ist aber Plácido Domingo, auch wenn die Staatskapelle Berlin und Daniel Barenboim Bravi zuhauf ernten.

Fotos (ohne Applausbilder): Bernd Uhlig


Weitere Besprechungen der Premiere mit Netrebko und Domingo:

Frau Büning ist hin und weg von Domingo, Udo Badelt im Tagesspiegel ist ganz zufrieden, Manuel Brug sagt Nö zur Regie und Ja zu Trebs und Platschido.