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Gelungene Premiere an der Deutschen Oper Berlin. In Rossinis Spätwerk Viaggio a Reims zünden alle Beteiligten ein quirliges Opernspektakel, das von Beginn an nur auf eines zusteuert: auf köstliches Belcanto-Vergnügen.
Dabei ist es ja nicht so, dass das Unterfangen gänzlich risikolos wäre. Aus einem zarten Nichts an Handlung türmen sich Verwicklung auf Verwicklung, Szene auf Szene, Arie auf Arie, entrollt sich ein Belcanto-Tableau von dramaturgischem Superleichtgewicht, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Dabei ist alles außergewöhnlich an diesem dramma giocoso, das mehr selbstreferentielles Vokalspektakel ist als alle anderen Opern Rossinis: Nur ein Akt, nur zwei Bilder, dafür 26 Szenen und drei Stunden Spieldauer. Der Ort: das Hotel zur Goldenen Lilie im lothringischen Plombières. Die Zeit: 1825. Kaum Handlung also, dafür reines Stimmvergnügen. Und als wäre das alles nichts, zählt Il Viaggio a Reims auch noch zu den einfallsreichsten Rossini-Opern.
Rossinis letzte Oper auf Italienisch ist ein Opernirrsinn, in dem eine fidele Reisegesellschaft in einem Kurhotel in der Provinz hängen bleibt, weil die Pferde für die Weiterreise fehlen. Was sich dort in dem von der resoluten Madama Cortese geleiteten Kurhotel sammelt, ist ein Europa im Touri-Frust, aber auch im Vergnügungstaumel. Lustige Barone, misantrophe Lords, durchgeknallte Gräfinnen und reiselustige Dons umkreisen einander wie die Fliegen und der schrankenlose (Grenz-)Verkehr namens Schengen war, so scheint es, schon damals nationen- und geschlechterverbindende Realität.
Diese feierwütige Adelsgesellschaft allerdings ist nicht in bester Verfassung, erzählt uns Regisseur Jan Bosse, sie krankt, liegt siech darnieder. Die Bediensteten des tolldreisten Kurhotels sind Krankenpfleger, die illustren Adligen Anstaltsinsassen. Doch umso ungenierter sprießen libidinöse Verflechtungen und Intrigenwirrwarr. Jan Bosse, der für seinen Rigoletto an der Deutschen Oper (zu Unrecht) gescholten wurde, lässt die Handlung als turbulentes Nicht-Geschehen abrollen. Dabei gelingt es Bosse, Rossinis Oper zwischen all den pfiffigen Gags erstaunlich unbeschadet hindurchzulotsen. Da besänftigt Corinnas himmlische Harfenarie die Hotelgäste zu religiöser Kitschandacht, da entblößen die Sänger beim Nationen-Sing-Contest zuerst nationale Unterwäsche und zeigen schlussendlich ungeniert EU-Unterbuxen.
Bosses verspielter, bisweilen überdrehter Witz trägt Akteure und Zuschauer gleichermaßen durch erfrischend kurzweilige drei Stunden. Den verspiegelten Glaskasten, als den Stéphane Laimé (Bühne) das Hotel zur Goldenen Lilie deutet, positioniert die Sänger klug zwischen räumlicher Entfaltung und streng deutelnder Einengung. Auch die eingespielten Bilder und Drehs der Protagonisten störten endlich einmal nicht, weil sie das Bühnengeschehen nicht schnöde doppeln oder gar die Musik verunglimpfen, sondern spielerisch spiegeln (Video: Meika Dresenkamp). So zündet Bosse ein Opernfeuerwerk, das Rossinis sprühendem Buffa-Witz nie im Wege steht und obendrein dafür sorgt, dass das sanges- und spielfreudige Sängerensemble stets enge Tuchfühlung mit Rossinis dramma giocoso hält.
Zehn Hauptsänger (vier prime donne, sechs primi uomini), sechzehn Gesangssolisten insgesamt bringen die Partitur zum Leben und Glühen.
Die temperamentvolle Südtirolerin und Hotelchefin Madama Cortese (Hulkar Sabirova) agiert als kecke Oberärztin mit agilem Sopran- und Hüftschwung und prächtigem Stimmfarbenfächer und hat alle Mühe, die anspruchsvollen Gäste im Zaum zu halten. Da ist die mondäne Witwe Contessa di Folleville, der Siobhan Stagg ihren gefühlvollen, frischen Sopran leiht, wobei Stagg mit kapriziösen, auch klanggestisch wirksamen Koloraturen aufwartet (Caro! dal reo naufragio) und dabei von ihrer Zofe Modestina umschwirrt wird, einem migränegeplagten Kobold (Meechot Marrero) mit blitzblankem Sopran. Eine weitere Belcanto-Dame ist die rothaarige Marchesa Melibea (Vasilisa Berzhanskaya), ein stimmstarkes Strato-Geschöpf, das ein entzückendes rosa Täschchen schwingt und am laufenden Band feurige Mezzo-Spitzen abliefert. Und da ist last but not least die Dichterin Corinna (Elena Tsallagova), der die Schlussarie All’ombra amena besser gelingt als die Auftrittsarie Arpa gentil, che fida, die sie aus der Bühnentiefe in den riesigen Zuschauerraum der Deutschen Oper tragen muss. Beide Male singt sie mit besseltem Ausdruck und leuchtet den Text subtil aus und steckt dabei in einer raffiniert kupfergold plissierten Robe (Kostüme Kathrin Plath).
Dieser Viaggio di Reims ist ein Fest der Stimmen. Koloraturen werden als überzeichnete Charaktergesten lebendig, liedhafte Strophen-Arien wechseln mit hochvirtuosen Arien. Plötzliches Piano bedeutet scheue Herzensverzagtheit. Aufsässige Portamenti beglaubigen herbe Liebesnot. Sage und schreibe 14 Stimmen fügen sich zum ersten Finale (Ah! A tal colpo inaspettato).

Auch die Männer sind ein gran successo.
Der russische Graf Libenskof (David Portillo), der sich bevorzugt in Tigerdesigns hüllt, tut seine Liebe für die Marchesa mit leichtem, wunderbar nuancenreichem, nur in höchster Höhe engem Tenor kund. Sein Rivale bei der Marchesa ist der spanische Grande Don Alvaro (Dong-Hwan Lee), der einen sonoren Bass mit mächtiger Autorität ins Feld der Liebe führt. Davide Luciano gibt den virilen Literaten Don Profondo mit imponierender komödiantischer Verve und trägt die Baritonarie Medaglie incomparabili als buffonesk verplapperte Nationenwertung vor. Weniger lebenslustig geht es bei Mikheil Kiria zu, der den krankhaft schüchternen Lord Sidney verkörpert, der seinen selbstquälerischen Liebesgruß (Invan strappar dal core) effekt- und vor allem affektvoll ausziert – übrigens begleitet von einer zauberhaften Soloflöte (Anna Garzuly-Wahlgren). Der französische Cavaliere Belfiore im knallbunten Mantel (Gideon Poppe) verbreitet in Nel suo divin sembiante insistierenden Tenorglanz. Die Riege der adligen Mannsbilder wird vervollständigt vom deutschen Baron Trombonok (Philipp Jekal) mit Klaviertastenkragen und energischem Baritoneinsatz.
Zur Riege der Rossinisten zählen auch der zu magischen Heilmethoden greifende Hotelarzt Don Prudenzio (Sam Roberts-Smith), der Hausmeister Antonio (Byung Gil Kim), die patente Hausdame Maddalena (Alexandra Ionis) und der fixe, hellstimmige Zefirino von Juan De Dios Mateos sowie Delia, die Reisegefährtin Colonnas (mit hübscher Stimme Davia Bouley). Zauberhaft das Frauen-Quartett (oder wars ein Trio?) Come dal cielo über durchsichtigen Holzbläserlasuren.
Giacomo Sagripanti am Pult geht die Sache locker, leicht und flüssig an, bringt Rossinis abwechslungsreiche Partitur pointenreich und spritzig auf den Weg, hat aber auch das Händchen für gefühlvolle Schlenzer. Das Orchester der Deutschen Oper Berlin klingt, als hätte es die Spree für Arno oder Tiber eingetauscht. Die Musiker folgen Sagripanti als echte Rossinisti mit Witz und Temperament durch Holzbläsergirlanden, sehnsüchtige Hornrufe und Pizzicato-Tupfer.
Viel Applaus.
Weitere Premierenbesprechungen im Tagesspiegel (Ulrich Amling), in der NMZ (P. Pachl), im Kulturradio die Audiokritik (Harald Asel).
Tstststs. Herr Schlatz ich bin eingeschnappt, die Bemerkung zu Bosses doofen Rigoletto war gemein, :-((
Ich freu mich jedenfalls auf nächsten Sonntag, hatte den gleichen Eindruck auch schon nach der Probe….
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Ich fands auch klasse, angefangen von dem ausgewogenen Ensemble über die Regie bis zum Orchester, das einen großen Abend hatte. Sagripanti war echt erstaunlich, Rossini sehr gut zu dirigieren ist beileibe nicht einfach, das war richtig schön zu hören, auch die Soli – Hut ab. Es ist schwierig jemand besonders herauszustreichen. Die Berzhanskaja hat mir schon sehr gut gefallen, auch Stagg auch wenn sie nicht ganz so geschmeidig bei den Koloraturen war. Sabirova empfand ich bei der Auftrittsarie etwas nervös, hat sich dann aber toll gemacht. Bei Tsallagova kamen mir manche Spitzentöne dünn vor, doch sonst großartig. Kommt das nur mir so vor oder ist der Arzt in dem Promo Video jemand anders als der Langhaarige von gestern Abend? Das Angenehme an der Regie war, dass sie auf Witz und Spaß bedacht war den Bogen aber auch nicht überspannt hat. Saß übrigens 2. Rang ganz links. Ach ja die Zappelei von Meechot Marrero war mir persönlich etwas zu viel – der Vorwurf geht an die Regie und das Gewusel in den Anfangsszenen empfand ich öfters als ablenkend
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Claudio,
ich glaube, wenn man das am Anfang weiss, stellt man sich drauf ein. Hatte bei der Probe ein ähnliches Gefühl. Ja das mit Fr. Marrero was ein bisschen viel, na mall in der 3. Aufführung sehen.
Ich fand auch Sagripantis Troubador sehr gut hatte insgesamt drei von ihm gehört, im Februar und jetzt im Mai, wurde von Mal zu Mal besser
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Es sei allen Opernfans dringend angeraten sich diese Aufführung anzuschauen. Habe mich seit zig Jahren nicht mehr so gut unterhalten gefühlt Es war einfach großartig.
Kann mich nich mehr erinnern, wann ich zuletzt ein bice gehört habe, nach dem Schluss vor der Pause. War massiv, muss wohl eine Gruppe Italiener gewesen sein.Kann denen nur zustimmen.
Gepfiffen auf Domingo und Netrebko und den sonstigen Touri Veranstaltungen in der Staatsoper.
Habe mittlerweile die Hälfte des Macbeth ertragen, einfach peinlich und lächerlich ausser Fr. Netrebko.
Allerdings mit Einschränkungen, denn aus dem Zuschauerrraum sieht man sie ja nicht so, wie auf dem Bildschirm
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