Anna Samuils Recital im Apollosaal bringt Lieder von Schubert, Wagner, Liszt und Schostakowitsch. Neben Allbekanntem (Schubert, Wagner) steht seltener Gehörtes, doch mitnichten Minderbedeutendes (Liszt, Schostakowitsch).

Anna Samuil Liederabend Apollosaal Staatsoper Unter den LindenFür Franz Schuberts Liedkunst findet Samuil den seelenvollen Ton, etwa in Gretchen am Spinnrade oder Lied der Mignon. Es verwundert nicht, in Rezitativ und Arie Vedi quanto adoro die erfahrene Opernsängerin herauszuhören. Zugriff und Gusto passen. Obwohl der feurige, ebenso expansionsfähige wie detailgenauer Zeichnung fähige Klang der Gesangsstimme stets die erste Geige spielt, kommen Deutungswillen und Wortakzentuierung nicht zu kurz.

Das gilt besonders für Wagners Wesendonck-Lieder. Sie sind Gelegenheitsarbeit (Wagner arbeitete an Tristan und Isolde), Liebesbeweis (für Mathilde Wesendonck) und Versuchslabor (als Studie zu Tristan) in einem. Anna Samuil zeichnet die Entwicklungslinie jedes Liedes nach: Aufstieg, Klimax, Ausklang und Verlöschen. Schön, wie in Der Engel mit feinem Sinn für Dramaturgie durch den zögernden Akzent auf Geist das Vorangegangene zusammengefasst und gleichzeitig zum Abschluss gebracht wird.

Ihr Sopran, Verdi- und Puccini-bewährt, Tschaikowsky- und Wagner-erprobt, – es ist unmöglich ihn nicht zu kennen, besucht man wenigstens hin und wieder die Staatsoper Unter den Linden – ist von dramatisch vibrierendem, vollem Klang, dabei dunkel und facettenreich koloriert. Der Vortrag ist dynamisch weit gefächert. Das Vibrato sorgt für Prägnanz des Klangs. Dramatisches Temperament und Fähigkeit zu wehmütiger Schattierung verbinden sich in ihm. Lehrreich zu hören, wie die Sängerin Vokal, Wort und Liedzeile durch dynamische Kontrolle ins Feinrelief treibt.

Die vorgetragenen Lieder Liszts wagen fast opernhafte Aufschwünge. Über allen Gipfeln ist Ruh überrascht durch die plötzliche tragische Steigerung, bevor es in den leisen Schluss zurücksinkt. Genau dafür hat Samuil Sinn: für den Auf- wie Rückbau dramatischer Spannung. Freundvoll und leidvoll (nach dem Lied aus Goethes Egmont) entwickelt die Sopranistin aus einem Impuls. Liszts Die Loreley lässt sie mit ausladender, gespannter Tongebung bis zur Fortissimo-Woge anschwellen (Das hat eine wundersame / Gewaltige Melodei), um es alsdann ins fahle Piano der beiden Schlusszeilen zu entlassen, in dem die Stimme leicht belegt klingt.

Nicht von ungefähr heißt Dmitri Schostakowitschs Liederzyklus op. 109 Satiren (Bilder der Vergangenheit)Die fünf Lieder (nach Texten von Sascha Tschorny) wirken wie ätzende Glossen. Es sind Lieder in leichter Schräglage, deftig und schillernd, nie ganz ernst, nie bloß witzig.

Prächtig ungestüm der Vortrag in Das Erwachen des Frühlings (Пробуждение весны), das in treffenden Miniaturszenen Arm und Reich gegenüberstellt. Samuils Gesangsvortrag wirkt da besonders lebendig und sprechend wo, wie im witzig-derben Missverständnis (недоразумение), die wechselnden Erzählperspektiven durch Änderung des Stimmklangs unmittelbar nachvollziehbar werden. Die beißende Milieustudie Kreutzer-Sonate (Крейцерова соната), in der das Schicksal des Untermieters Iwan durch die Waden von Putzfrau Fjodja besiegelt wird, lebt von Charme und Spontaneität der Interpretation. Puls und Tempo stimmen. Hinreißend besonders das Accelerando der zweiten Strophe.

Matthias Samuil spielt kurze Soloklavierstücke von Wagner sowie Christian Sindings berühmt-berüchtigtes Frühlingsrauschen. Die Zugaben bringen Lieder von Rachmaninow und Dvořák.