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Wenn der Bassbariton Gerald Finley in der Philharmonie Berlin Schubertlieder  vorträgt, sieht sein Gesicht immer etwas zerknautscht aus. Getreu spiegelt es Lust und Mühen der Interpretation, so wie seine Stimme zwischen Ausdeutungsfuror und Schönklang changiert.

Berliner Philharmoniker Daniel Harding Gerald Finley Schubert AlpensinfonieDass Finley eher dramatische Lieder vorträgt, verwundert anfangs. Nach Temperament und Stimme ist Finley kein Sänger des deklamatorischen Pathos, ist ein lyrischer Sänger.

Doch wer in Finleys Terminkalender zu Rate zieht merkt schnell, dass Finley sowohl Wagners bleichen Schmerzensmann Amfortas als auch Puccinis bösekalten Scarpia singt (und beides demnächst in Berlin). Dennoch, Finley kämpft als Liedinterpret in jedem Augenblick um Wohlklang, und stets überwiegt der Klang, der bei Finley betörend schön sein kann, den Ausdruck, der von beseelter Heftigkeit sein kann. Das merkt und hört man bei Prometheus. Hier zielt Finleys Singen zwar auch auf Ausdeutung, auf Deklamation. Doch Bedeutungsakzente bindet Finley sorgfältig in die Linie ein. Er ist ein Schönsinger in des Wortes reichster Bedeutung. Es folgen An die Musik (wie Prometheus für Orchester gesetzt von Max Reger), Erlkönig (Orchestrierung durch Berlioz), Memnon und An Schwager Kronos (beide orchestriert von Brahms).

Zur Stimmfarbe – feinkörnig, nobel, samtweich – gesellt sich Gerald Finleys schnelles Vibrato. Aus beidem – Farbe und engmaschigem Pulsieren – entsteht die kontinuierliche expressive Spannung. Die edeltimbrierte Singstimme entzückt da besonders, wo sie, von Vokalen und Konsonanten nur unwesentlich gehindert, strömen darf – wie bei der fast hypnotischen Zugabe (hm, wer war noch mal der Komponist?). Freilich erreicht der Kanadier nicht den Ausdrucksreichtum eines Matthias Goerne. Finleys Ausdeutungsfuror wird also von Finleys warmer Noblesse „entschärft“.

Für die Arie aus Schuberts Lazarus-Fragment (Wo bin ich? – O könnt‘ ich, Allgewaltiger) findet Finley dann den Idealweg zwischen Deklamation und Kantabilität, und zugleich lässt sich erahnen, wie liedhaft Finley den Sachs zu singen vermag.

Einige Einschränkungen. Tendenziell höre ich mehr Finley als Schubert. Und ab und an badet der kühne Sänger zu ungeniert im eigenen Wohlklang. Und er ist leise. Ein Wort noch zur Orchestrierung. Regers Orchestrierung (Prometheus, An die Musik) klingt neben der von Berlioz (Erlkönig) pompös – und grau. Bei Brahms dominieren die Bläser (Memnon, Kronos).

Die Berliner Philharmoniker agieren als Liedbegleitorchester am oberen Limit. Nur der etwas bräsigen Breite der Regerorchestrierungen hätte man mit feinerer, sprich kammermusikalischerer Klinge begegnen können. Herr Harding?

Kluge Introspektion mit einem Schuss Selbstgefälligkeit also bei Finley, Landschaftsmalerei mit einem Schuss Größenwahn beim folgenden Strauss.

Die Alpensinfonie beginnt rasch, steigert sich schnell zu nervöser Hektik, klingt in den lebhaften Teilen des Aufstiegs unübersichtlich, fällt vor Aufwärtsdrängen fast auseinander. Vielleicht waren die Musiker aber auch immer zusammen. Ich bin kein Alpensinfonieexperte. Und doch rettet Daniel Harding so das Werk. Dann hört man, wie exaltiert diese 22 Alpenbilder sind, wie klirrend sich die Stimmen schichten. Wie trotz des b-moll-B-Dur-Beginns und wie trotz des brucknerhaft aufgedonnerten, reprisenhaft wirkenden F-C-Dur-Höhepunkts (Auf dem Gipfel) die Harmonik schwimmt (zu den Korrekturen siehe Kommentar). So klingt diese Alpensinfonie in den besten Momenten wie eine in die Luft fliegende Feuerwerksfabrik. Die blendende Helligkeit der Gipfelszene scheint erst in Hardings nervöser Überbelichtung zu sich zu kommen. Im Rückblick, bei Elegie und Sonnenuntergang, erkennt man, wie sehr die Dramaturgie dem Lohengrinvorspiel gleicht: zum Höhepunkt kontinuierlich aufsteigend und nach dem Höhepunkt kontinuierlich absteigend.

Die Berliner Philharmoniker folgen Daniel Harding konsequent.