In Don Carlo erwischt man Giuseppe Verdi ja fast auf dem Weg zum (Opern-)Kunstwerk der Zukunft. Solch stockende Grübel-Arien, solch messerscharf ausgeprägte Bühnencharaktere und vor allem so sprechtheateraffin hat Verdi nie wieder komponiert.
Und wie kaum ein anderer „Verdi“ ist Don Carlo Familienaufstellung pur.
Da ist der einsame Spanierkönig Philipp II., ein schwer an der Bürde der Macht Tragender, von René Pape mit weniger imposant strömender Basskraft als sonst gesungen (René Pape lässt sich als indisponiert entschuldigen).
Da ist Philipps jammerlappiger Sohn Don Carlo, von der italienischen Tenorröhre Fabio Sartori mit sentimentaler Vokalkraft auf die Bühne gestellt, während Flandernfreund Posa (Roman Trekel) brennend intensiv deklamiert und eine tadellose Vorstellung abliefert (immer noch ist kein Gramm Fett zu viel an ihm).
Da ist die am emotionalen Permafrost des spanischen Hofs wie eine Primel eingehende Elisabeth, die Ex-Braut des leidenschaftlichen Don Carlo und Jetzt-Ehefrau des eisigen Philipp, gesungen von der jungen Lianna Haroutounian, die der Elisabeth wenig Persönlichkeit mitgibt (teils liegt’s am wenig charakteristischen Timbre, teils an der handzahmen Deklamation), aber mit butterweich gefluteten Sopranspitzen brilliert, auf die jede Sopranistin der Welt stolz sein könnte.
Fehlen nur noch die zwei Kräfte, die das triste fine der königlich-spanischen Familientragödie herbeiführen helfen.
Als Verkörperung unbeugsamen Machtwillens verbreitet Grossinquisitor Mikhail Kazakov, auf der Bühne mehr Prinzip als Mensch, mit steinernem Bass die Autorität unfehlbarer Religion. Nur gut, dass die lebenslustige Intrigantin Eboli, die durch schnöden Liebeshunger zu Fall kommt, in Marina Prudenskaya eine um so aufregendere Verkörperung findet. Prudenskaya gibt der Eboli angeschärftes Profil, ihr Timbre brennt wie Pfeffer in der offenen Wunde. Und „O don fatale“ zeigt Prudenskaya als echten dramatischen Mezzo, der über die heiklen Nonen- und Septimsprünge in der Manier eines Weltklasseturnierpferdes setzt.
Als Mönch lässt sich Jan Martiník hören, der vokal agile Tebaldo ist bei Narine Yeghiyan in guten Händen. Die Stimme von oben kommt von Evelin Novak, Lerma und Herold singt Miloš Bulajić.
Apropos Familienaufstellung: Philipp Himmelmanns neonkalte Inszenierung der Schiller’schen Polittragödie, die Privates nur als Funktion des Politischen kennt, konzentriert sich voll und ganz auf tragisch misslungene Mitmenschlichkeit. Wer hilft, findet den Tod. Wer liebt, scheitert. So weit, so tutto bene. Die Statik der Personenführung findet in der Statik der Dramaturgie, die klinisch reines Bild auf klinisch reines Bild folgen lässt, ihren Gegenpart. Das ist das Hauptmanko. Und bei aller schneidender Kälte wirken Nacktheit und Brutalität beim Autodafé als billiger Effekt. Zudem erwischt Massimo Zanetti am Pult leider einen höchst mittelmäßigen Abend, während die Chöre an Probenarmut oder Sonntagspätnachmittagsphlegma leiden.
Weitere Kritiken von Don Carlo an der Staatsoper Berlin:
„Distanziert“ (hunder11 – Konzertgänger in Berlin)
„Küchentisch und Elfentanz“ (Besprechung der Premiere 2004 – Berliner Zeitung)
Ging mir ähnlich, was die Elisabeth angeht. Als Elisabetta singt Lianna Haroutounian sehr schön. Aber war nicht Anna Samuil angesetzt? Ich habe Samuils üppige Stimme doch vermisst. Elisabeth ist ja ohnehin nicht die spannendste Verdi FIgur, da hätte etwas klangliche Unterfütterung gut getan. Grins.
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Zuletzt hatte ich Tamar Iveri als Elisabeth gehört, mit schönem Ton und leuchtender Höhe. Ich hatte mich auch auf Samuil gefreut, hab sie zuletzt als Ariadne gehört.
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Pape war auch am Mittwoch ok, aber nicht so überwältigend wie früher. Der Tenor war mir zu laut, als würde er Schillertheater und Arena von Verona verwechseln. Ein Missverhältnis mit dem perfekt ausgewogenen Trekel. Zwischen Carlo und Posa knistert nix, auch wegen der blöden Inszenierung. Gleich am Anfang Aktenkoffer und Lesben mit Pistolen, da hak ich innerlich ab.
Ja, Elisabetta fehlte etwas das Charakteristische, von dem Prudenskaya so viel hat
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Ich kann mich erinnern, dass ich Papes König beim letzten Mal als regelrechte Weltklasse empfand, und die kommt an der Staatsoper auch nicht jeden Tag vor. Trekel war quasi die Gielen-Variante des Posa: null Klangzauber, 100% Gefühl für Struktur, Wahrheit und Text.
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