Schlagwörter
Das Musikfest Berlin pflegt eine unbekümmerte Kommerzferne. Heuer, 2016, da Manoury und Nono, Langgard und Henze, Pintscher und Rihm, Ligeti und Neuwirth oder eben Ustwolskaja und Schostakowitsch ihre Klingen kreuzen dürfen, ist diese Ferne noch unbekümmerter. Zeugnis dessen ist nicht nur, aber auch das Konzert der Münchner Philharmoniker mit einem Ustwolskaja-Schostakowitsch-Programm. Das ist zum Wohl des interessierten Zuhörers. Freilich nehmen die Veranstalter eine gewisse Leere der Veranstaltungsorte in Kauf.
Es gibt mondänere Orchesterwerke als Galina Ustwolskajas Sinfonie Nr. 3. Aber so asketisch timbriert ist keines. So unerbittlich im Zuschnitt.
Ustwolskajas einsätzige Dritte ist eine Kurzform in mehrerlei Hinsicht – zeitlich und besetzungstechnisch. Das Werk beschäftigt 14 Blechbläser, 3 Kontrabassspieler, Schlagzeuger und einen Sprecher. Der symphonische Stil ist vorhanden. Doch, doch. Und es ist ja nicht so, dass die Sinfonie nicht größer als die Summe der Noten wäre. Ihre scheue Beredtheit wächst ins Religiös-Überreligiöse. Die ostinate Schlagzeugorgie indes finde ich recht verwegen… ach, egal. Die formidablen Orchestersolisten umgeben die für abgehärtete Berliner Ohren ungewöhnlich bekenntnishafte Rezitation Alexei Petrenkos mit harten Klangaktionen. Wiederholtes Hören dürfte klären, ob der Simplizität der Faktur zu trauen ist.
Das Stück errang einen verdienten Erfolg.
Es gibt Berliner Orchester, die den Münchner Philharmonikern technisch überlegen sind. Doch die Wirkung, die die Münchner hervorrufen, ist stark.
Die sturmgepeitschte Sinfonie Nr. 4 von Dmitri Schostakowitsch gehört zu den sinfonischen Riesenpythons. Es ist keine Schande, dem Werk auch nach dem dritten Hören verwirrt gegenüberzustehen. Die Sinfonie dürfte u.a. durch zwei Aufführungen der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle bekannt sein. Wo der Liverpooler Rattle expressiven Überdruck und pointierte Schärfe suchte und fand, gibt der Russe Valeri Gergiew Wärme und Humanität. Die Interpretation der Münchner Philharmoniker entfaltet die von einer Überfülle von Themen durchtummelten Ecksätze authentisch und besitzt gerade darin dramatische Wahrheit, Strenge, Genauigkeit und das Potenzial, zu rühren.
Gergiew dirigiert poetisch und exakt. Der Dirigent zeigt das Gesicht eines wettergegerbten Kapitäns. Ein Markenzeichen Gergiews sind die auf Schulterhöhe erhobenen Hände. Die Rechte beschwört mit charismatisch lebhaftem Fingerfächer (inklusive abstehendem kleinen Finger) Mikroeinsätze. Kurios das kaum mehr als stecknadelgroße Dirigierstäbchen zwischen Daumen und Zeigefinger.
Ein verdienstvoller Abend der Münchner Philharmoniker mit echtem Musikfest-Charisma.
Bei den Proms servierte MPhil+Gergiev jüngst Ustwolskaja plus Bolero, Rachmaninow und Rosenkavalier-Suite.
Ein Programm für die Müllabfuhr.
Da lobe ich mir den großen Dimitri
http://www.bbc.co.uk/events/ejw2mb#p03zzw3d
LikeGefällt 1 Person
Da ist der Kelch des Bolero knapp an Berlin vorbeigegangen. Gegen d-Moll-Konzert und Rosenkavalier hätte ich eigentlich nichts einzuwenden, nur zusammen mit Ustwolskaja nicht.
Grüße
LikeLike
Ich hatte schon befürchtet, Ihre sommerliche Überdosis Wagner hätte Sie zur Strecke gebracht.
War auch sehr angetan von dem Konzert.
LikeGefällt 1 Person
„Wärme und Humanität“ habe ich allerdings nicht so gehört…
LikeGefällt 1 Person
Doch. Ich auf jeden Fall. Da war etwas im Sinne von atmend phrasierten romantischen zweiten Themen.
Die Vierte kannte ich bislang nur durch das glasklare BPO und Rattle.
LikeLike
Von den Bayreuthübertragungen habe ich mich mit viel Mühe erholt, der folgende Urlaub war dringend nötig.
LikeLike
WTF… komplett unnötig das Buhen vorher.
LikeGefällt 2 Personen
Kann man wohl sagen. Eine kurze Ansage ans Publikum hätte es aber verhindert.
LikeGefällt 1 Person
Just in love with this wonderful masterpiece by Ustwolkskaya
LikeGefällt 2 Personen
Sehr cooles Konzert.
Gergyev ist mir manchmal zu sentimental, aber für die 4. von Schostakowitsch war es OK. Von daher klangen die im Übrigen bravourösen Münchener Philharmoniker ziemlich russisch. In der Tat passt dieser Ansatz zu dem Bild, das man von den Münchnern seit jeher hat (Klang, Artikulation, Mindset): viel Bruckner, wenig Ligeti.
Um Ustwolskaja wird IMHO zu viel Aufhebens gemacht. Niemand weiß, ob der Reiz ihrer Musik aus der Tiefe oder nicht doch von der Oberflächlichkeit herkommt.
Sehr schönes Festival-Programm des Musikfestes, da hat man in den vergangenen Jahren schon weniger ehrgeizige gesehen.
Hinzu kommt, dass das Publikum zwar nicht allzu zahlreich, aber eher ein 30-Euro-Publikum als ein 150-Euro-Publikum ist, was unbezweifelbar seine Vorteile hat. :-)
In Sachen der angesprochenen Kommerzferne gibt es wie immer einige Ausrutscher. Nelsons mit der nun wahrlich oft genug gehörten Symphonie fantastique, Jonathan Nott mit der nicht gerade unbekannten Eroica und der ewige Wagner-Runnicles mit 1. Akt Walküre.
LikeGefällt 2 Personen