Castorfs wohlkomponierte Götterdämmerung schlawinert sich vom Kreuzberger Juste Milieu bis an die New Yorker Börse.
Ich höre Castorfs genialen Budenzauber auf BR-Klassik. Man wird diesen derb aufgetakelten Realismus noch bitter vermissen.
Dirigent Marek Janowski stellt das Niveau des hervorragenden Siegfried nicht flächendeckend wieder her. Zuerst die Auffälligkeiten: Da strahlt die Rheinfahrt Siegfrieds in muskulösem Blech. Es begeistert die trockene Glut des Orchesters. Und das Festspielorchester der Bayreuther Festspiele strickt betörend dichte Stimmgewebe – ich mag Janowskis abgedämpftes Streicherideal. Die Mannenchöre des zweiten Aktes entfalten dralle Schallkraft und steigern sich zuletzt zu schier prügelfugenähnlichem Tohuwabohu.
Schade, dass die Leitmotive bisweilen allzu fröhlich aus den Schalltrichtern purzeln. Anders als im fastperfekten Siegfried klingt so was heute eine Spur zu wichtigtuerisch, so etwa beim demonstrativ markanten Siegfriedmotiv im Trauermarsch. Janowski macht Wagner comichafter als dieser ist – und das bei Götterdämmerung, dem leitmotivisch feinstverzahnten Abschluss der Bayreuther Tetralogie. Doch Janowski kann auch anders. Das präzise nuancierte Vorspiel zur Waltrautenszene des ersten Aktes erklimmt hehrste Wagnergipfel. Und Janowskis Wagner-Tempo sorgt ungezählte Male für unbestechlichen Klarblick. So gewinnt die Partitur Stringenz und Durchschlagskraft bis in die packenden Schlusstakte hinein. Das ist selten.
Die Brünnhilde Catherine Fosters gelingt nicht besser als in den vorangegangenen Teilen des „Rings“. „Zu neuen Taten, teurer Helde“ wabert als wilde Vokal- und Konsonantensuppe über der Bühne. Die Waltrautenszene missrät kurzatmig, stummelphrasig und vokalverdellt. „Altgewohntes Geräusch raunt meinem Ohr die Ferne“ gerät zu einer Lehrstunde anglophiler Wagner-Aussprache. Catherine Fosters Spitzentöne, ihre sorgfältige Dynamik bleiben der Sängerin unbenommen. Die besten Momente gelingen der britischen Sopranistin in „Helle Wehr! Heilige Waffe!“
Siegfried Stefan Vinke schnitzt im Brünnhildenduett des Vorspiels gewohnt grobe Tenorschnitzer und haut auch sonst vokal auf den Putz. Zum ersten Akt, der vor der berüchtigten Döner-Box der Gibichungen spielt, passt Vinkes Draufgängertum wie der Topf auf den Deckel. Doch die offene Tongebung, die burschikose Phrasierung veredeln die Szene von Siegfrieds Tod nur bedingt und bereiten auch sonst allerhand Stirnrunzeln.
Der Döner-futternde Markus Eiche zeigt einen facettenreichen Gunther. Eiche singt tadellos, zu Beginn prahlerisch, im zweiten Akt jammerlappig-verzagt. Stimmlich bleibt Eiche ohne die hypergroße Ausladung, singt klar, edelbitter und helltönig. Ein Plus.
Springerstiefel-Hagen Albert Pesendorfer springt für Stephen Milling ein. Pesendorfer ist ein wortgenauer Hagen, der seine Gefühlskälte hinter kantablem Schönsingen verbirgt. Es gab schon dräuendere Hagenfiguren in Bayreuth zu hören, Pesendorfer bietet einen ruhig-tadellosen Fiesling. Den Siegfried-Totschlag vollbringt Albert Pesendorfer affektböse mit dem Baseballschläger.
Die Gutrune von Allison Oakes gefällt mit intensivem, doch wenig charakteristischem Klang. So viel Stabreime Oakes auch singt, so sehr höre ich die englische Diktion durchschimmern, und das verzieht schlussendlich Vokale und schleift Konsonanten ab. Immer wieder schön aber ist, wie Oakes mit Brünnhildes Mantelzipfel die Frontscheibe des Isetta wienert.
Als Waltraute feuert Marina Prudenskaya gefiederte Mezzospitzen auf Brünnhilde ab. Prudenskaya nehme ich jedes Wort ihres „Höre mit Sinn, was ich dir sage!“-Monologes ab. In ihm zittert genug Empörungsanklage für zwei weitere Götterdämmerungen – absolut verständlich, denn Frau Prudenskaya will schließlich Walhall retten und muss dazu Brünnhilde vom Lotterleben abhalten. Gerade im Vergleich mit Prudenskayas dramaturgisch sinnvoll aufgebauter, von Innigkeitsoasen durchsetzter Darstellungskunst sticht die in vielen Aspekten – Phrasierung, fehlende Stetigkeit des Tons, mangelnder dramatischer Instinkt, Aussprache, Probleme bei der Tonhöhenfindung – ungenügende Leistung Catherine Fosters ab. Es ist in einem „Wehe!“ der Waltraute mehr Zunder als in Fosters gesamtem Abend.
Alberich Albert Dohmen sichert dem Abend die finstere Komponente, während Castorfs keckestes Trio infernale, die Rheintöchter Woglinde Alexandra Steiner, Wellgunde Stephanie Houtzeel und Flosshilde Wiebke Lehmkuhl sowohl Siegfried wie Gunther an’s Leder gehen. Die Nornen zeigen mit Wiebke Lehmkuhl Alt-Tiefe, mit Stephanie Houtzeel Temperament und mit Christiane Kohl sopranige Höhe.
Beim Schlussapplaus Buhs für Janowski. Hätte man bei Walküre gebuht, hätte ich’s zwar nicht akzeptiert, aber verstanden.
Weitere Kritiken der Götterdämmerung der Bayreuther Festspiele 2016:
Johann Jahn: „Eilige Götterdämmerung auf dem Grünen Hügel“ (br-klassik.de)
Peter P. Pachl: „Neue Besetzungen und noch mehr Krokodile“ (nmz.de)
N.N.: „Gemischte Reaktionen auf die Götterdämmerung“ (fr-online.de)
Stefan Petraschewsky: „Kreuzberg ist Siegfrieds Tod“ (mdr.de)
Ich verabscheue die Inszenierung zutiefst. Die Castorfsche Regie will in ihrer verkopften Omnipotenz allem un jedem die Welt erklären – auch denen, die das gar nicht wollen. Soll er in Berlin bleiben und Wagner in Ruhe lassen. Castorf sollte den Zuschauern mehr zutrauen und diese nicht von oben herab wie Schulkinder behandeln. Ich habe sicherlich schon mehr Ringvorstellungen gesehen als Herr Castorf. Es würde mich wenig wundern, wenn sich Castrof vor seinem Engagement in Bayreuth für Richard Wagner und sein Werk überhaupt nicht interessiert hat.
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Wie schön, dass es Götterdämmerung auch noch dann geben wird, wenn Castorfs Machwerk längst Geschichte sein wird. Catherine Foster sang sehr gut und Stefan Vinke brachte für den Siegfried nicht nur die Stimme mit, sondern auch die Physis.
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An Catherine Foster scheinen sich die Geister zu scheiden. So haben mehrere Bekannte sie in höchsten Tönen gelobt. Im Prinzip hege ich ähnliche Zweifel wie die in Ihrer Kritik geäußerten. Ich hatte mich schon gewundert, warum die Kritiken mehrheitlich so positiv waren. Ich weiß auch nicht, wie man in der Frankfurter Allgemeinen den Ausspruch von Büning deuten soll:
„leider singt die strahlende Catherine Foster immer wieder eine Spur zu tief“. Heißt das nun: eine sehr schlechte Interpretation von C. Foster, auch wenn sie tolle Spitzentöne singt, oder heißt das: gute Interpretation von C. Foster, obwohl sie gelegentlich zu tief singt.
Stefan Vinke hingegen hat mir gut gefallen. Ein robuster Tenor ist beim Siegfried das A und O, da kann ich einige fehlende Feinheiten verschmerzen.
Albert Pesendorfers Hagen kann man nicht hoch genug loben. So viel „Singkunst“, so viel Verständnis für die Rolle!
LG
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Ich liebe Castorfs Regie mit jedem Jahr mehr, weil sie der ‚großen Welterklärung‘ Wagners misstraut und seine verquasten Texte nicht zu ernst nimmt. Es kann meines Erachtens gar nicht von Schaden sein, wenn man ihnen einigermaßen respektlos begegnet.
Catherine Foster ist sicher keine ideale Brünnhilde, es fehlt ein wenig an allem: Sprache (ich will auch schlechte Texte verstehen!), Musikalität, Focus in der Höhe. Und dennoch: Was für eine unglaubliche Steigerung über die 4 Jahre:
Von einer schüchternen ‚Rumsteherin‘, bei der man dachte, sie ist nur damit beschäftigt, eine lange, mühsam memorierte Partie aufzusagen, zu der wirklichen Protagonistin des Abends.
Zum Dirigat nur soviel: Es gibt wunderbar berührende Momente und ziemliche Wackler.
Ein Münchner würde sagen: ‚Es ist schon gut, aber es ist halt kein Petrenko‘
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Eine vollkommen überzogene und unqualifizierte Darstellung der Protagonisten
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Wenn das nicht mal eine exzellente Nornenszene mit Wiebke Lehmkuhl, Stephanie Houtzeel und Christiane Kohl war! Bravo die Damen. Richtiggehend fulminant kommt mir Catherine Foster in der Schlussszene vor, Foster ist das Zentrum der Götterdämmerung. Schön auch das Interview mit Waltraute Marina Prudenskaja auf BR, die Vertextung auf https://www.br-klassik.de/themen/bayreuther-festspiele/aktuell/bayreuth-2016-interview-marina-prudenskaja-100.html ist viel steifer als das lebhafte Original nach dem 1. Akt: https://www.br-klassik.de/audio/interview-marina-prudenskaja-100.html
Genial finde ich immer wieder, wie spannend die Götterdämmerung doch ist, obwohl die göttliche Sphäre vollständig fehlt und Brünnhilde ihr herrlich störrisches Wesen aus Walküre verloren hat und eine verbitterte, verblendete und rachsüchtige Frau geworden ist. Gunther und Gutrune sind bekanntlich richtige Langweiler, nur Hagen vermag zu verstehen, was und wer Siegfried ist.
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