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Es geht doch nichts über etwas Musik am Sonntagabend.

Live-Stream aus der Staatsoper Wien.

Ádám Fischer dirigiert. Es ist der Bechtolf-Ring, Premiere 2009.

Wotan Tomasz Konieczny wandelt im weißen Doktormantel über die Staatsopernbühne. Mit blauem Auge statt Augenklappe: ein Göttergate mit Schlägervergangenheit. Koniecznys Wiener Wotan ist egoistisch und verschlagen und nur selten von Nachdenklichkeit geprägt. Die Simme ist hell, hat ein kurzes Vibrato. Fülle der Diktion oder Dämonie gehören nicht zu Koniecznys Stärken. Statt selbstverständlicher Würde gebietet der Sänger über eine Würde, die er sich mit energischer Diktion in jeder Phrase neu erkämpft.

So gestaltet Konieczny die Höhepunkte unter großer Anspannung deklamatorisch-heroisch. Es gibt ein herrisch-energisches „Auf, Loge! hinab mit mir!“ In „Abendlich strahlt“ vermisst man die strömende Ruhe. Aber auch gut, stattdessen gefällt die nervöse Gespanntheit. Koniecznys forciertes „So grüß‘ ich die Burg“ sorgt für einen kurzen Stimmabriss. Die langsame Entfaltung „Von Nibelheims nächt’gem Land“ liegt ihm nicht. Konieczny war bei der Premiere Alberich, unter Rattle und Tate dann schon Wotan.

In der zweiten Szene stiehlt die Fricka von Michaela Schuster Konieczny vokal und darstellerisch die Schau. Schusters Fricka ist sehr präsent, ihr sprechendes Mienenspiel ein Hingucker (wenn’s auch nicht in Bechtolfs Magerästhetik passt). Bekanntlich ist Frau Schuster keine Musterbeispiel instrumentalen Singens. Weiches Abphrasieren ist nicht ihr Ding. Ein schweres Vibrato gehört bei ihr dazu. Doch ihr Stimme besitzt Durchsetzungs-und Strahlkraft. Ein gestisches Singen ist ihr zu eigen, in dem Kraft vor psychologischer Deutung geht. Kräftige Spitzentöne hören sich zersplittert an, das kennt man ja von ihr. Die Halbstimme bei „Um des Gatten Treue besorgt“ klingt schwach.
Caroline Wenborne ist als Freia ein wohlklingendes, blondes Dickerchen.

Fasolt und Fafner staksen in Gewändern über die Bühne, die mit Lavaknödeln behängt scheinen. Fasolt Ain Anger besitzt eine schöne Höhe und eine fahle Tiefe. Zur kernigen Bassstimme passt die klobige, muskelbepackte Phrasierung. Den elegischen Zauber, den Thomas J. Mayer „Das Weib zu missen, wisse, gemutet mich weh“ und „Freia, die schöne, schau‘ ich nicht mehr“ 2015 in München zu geben wusste, trifft Anger nicht. Der Fafner von Sorin Coliban hat eine schwärzere Färbung als Anger und singt ähnlich kraftvoll.

Boaz Daniel ist ein kantabler Donner, Jason Bridges ein lyrisch, wenn auch nicht elegant singender Froh. Anna Larsson fährt per Bühnenaufzug auf und ab (Mein Gott, wie langweilig) und produziert als Erda schöne leise Stellen.

Norbert Ernst macht den wunderbar gespielten Loge mit lyrischem Tenor, androgynem Rothaar und schöner Phrasierung zu einer der Hauptfiguren. Er hat die Leichtigkeit, die bei Loge dazugehört. Die Höhe leuchtet hell. Die Diktion ist angemessen. Ernst verzichtet auf karikierende Überdeutlichkeit. Eine sehr gute Leistung.
Jochen Schmeckenbecher, in der Rheintöchterszene ein schmerbäuchiger Alberich, in der Nibelheimszene dessen autoritäres Spiegelbild, macht durch intensives Singen auf sich aufmerksam. Bei aller verlebendigten Deklamation ist das Anschleifen von Tönen (hoch und runter) störend, was beispielsweise die Wirkung des wilden „Bin ich nun frei?“ beeinträchtigt. Der Verfluchung des Rings fehlt die eherne Wucht. Deklamatorisch verformte, hektische Akzenthöhepunkte („so verfluch‘ ich die Liebe“) trüben das Bild zudem. Außerdem fällt Schmeckenbecher bisweilen ins Rede-Singen.

Herwig Pecoraro ist ein wendiger Mime, der sehr zufrieden stellt.

Die Rheintöchter.

Die Woglinde Andrea Carroll, Besitzerin eines gertenschlanken, höhensicheren Soprans, ist bei der Wortprägung schwach. Rachel Frenkel als Wellgunde gebietet über eine spitze Aussprache, ein flackerndes Vibrato und einen anglophonen Akzent. An der Staatsoper Berlin bin ich nie richtig mit ihr warm geworden. Dafür deklamiert Frenkel lebhafter als Carroll. Flosshilde Zoryana Kushpler gefällt durch vorsichtiges Vibrato und klangvolle Höhe. Ein Minus: die gutturale Aussprache.

Und im Graben? Adam Fischer dirigiert mit sparsamer Gestik und rhythmisch genau. Das Orchester dankt es mit weichem und detailreichem Spiel. Fischer unterschlägt nichts. Der Kontur der Motive ist vorzüglich hörbar – Beispiel: das Rheintöchtersangmotiv bei „Heiajaheia! Heiajaheia!“ Sehr sorgsam entwickelt werden die zur zweiten Szene einleitenden Ring- und Walhallmotive im Blech. Zügig startet Fischer in die dritte Szene. Die honigglänzenden Geigen wetteifern mit satter Hornpracht (schön die Walhall- und Gewittermotive). Und schön, wie die Streicher beim Logemotiv flirren. Und prächtig die Schlussapotheose.

Sven-Eric Bechtolfs Regie ist ein Trauerspiel (anders als bei der Walküre). Bechtolf arrangiert für das Ring-Vorspiel einen kühlen Personen- und Szenenreigen. Die Lichtregie setzt auf blau-rot. Die Bühne zeigt Rückriem-Blöcke, erratisch verteilt. In Nibelheim werden scheinbar Menschen zusammengebaut. Wieso, weshalb, warum? Kurios, dass Bechtolf peinlich genau Wagners Anweisungen folgt. So kommt es, dass eine mit allen Wagner-Wassern gewaschene Lichttechnik die selten bis nie gezeigte Regenbogenbrücke der letzten Szene hinzaubert. Die Personenführung ist statisch bis wenig einfallsreich.

Es ist immer interessant, wie die Regie Alberichs Tarnhelmszene löst. Heuer sieht der Zuschauer einen bühnenhohen Videoeinspieler, der eine Schlange zeigt. Gähn. Lächerliches: Fafner prügelt Fasolt symbolisch mit einem Stöckchen tot. Damit bekäme man keine Katze tot. Und so was von out: Erda und Rheintöchter als stoffbehängte Damen. Das war schon in den Siebzigern unmöglich.

Loge, Alberich und Wotan bekommen am meisten Applaus. Für Ádám Fischer eine kurze, aber kräftige Bravo-Salve.