Eine gute Premiere.
Philip Stölzl, dem an der Deutschen Oper Berlin jüngst ein subtil hyperrealistischer Parsifal gelang, legt jetzt 500 Meter weiter die Bismarckstraße runter einen aufregenden, kraftvollen Fliegenden Holländer hin. Aufregend, weil der Einheitsraum, ein düsterer Bibliothekssaal, sich in erstaunliche Phantasiezonen öffnet, die sich ihrerseits auf verhängnisvollste Weise in die Realräume rückfressen wie übelster seelischer Lochfraß. Kraftvoll, weil Personen klar und scharf gezeichnet sind. Und das alles detailgeil aufgemischt mit einer Art übertüttelter Altmeisterlichkeit der Bilder und Prospekte. Ein genialer Regiezug? Oder Regie-Hokuspokus? Ersteres. An diesem Abend kann man sich an Überraschungen laben. In diesem Holländer ist was los. Aber es gibt auch herzerreißende Erzromantik. Gute Mischung.
Daniel Harding, der Dirigent der Premiere, hat ein heißes Herz. Harding dirigiert unbarenboimisch, (fast hätt ich gesagt: wohltuend) hektisch, herrlich flüssig. Eine gute Leistung. Harding liebt die lässig-nervösen Steigerungen. Ganz dicke war das Blech der Staatskapelle – nie wartete ich angstvoller auf die nächste unkoschere Blech-Stelle – an diesem Abend noch nicht mit Herrn Harding, aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass sich das während der nächsten Vorstellungen ändern wird. Ein Manko: die etwas dünne und im Tutti oft klapprige Ouvertüre, in der (ganz nebenbei erwähnt) so viele Blechwackler passieren wie in 10 Barenboim-Parsifals nicht. Was soll’s.
Michael Volle: Ein Holländer wie ein Baum, mit tiefen Furchen im Gesicht, mit Intelligenz, Ehrlichkeit und Entschlossenheit in der Stimme. Knorrig deklamierend, ein Kunststück der verbitterte Monolog im 1. Akt. Michael Volles herrische Höhe ist ohne besondere Stimmschönheit, aber voll existenzialistischen Pathos, voll Rigoletto’schen Grimms, voll Amfortas’scher Bitterkeit. Kaum wahrscheinlich jedoch, dass ich mich in den verlieben würde, wenn ich 16, phantasiebegabt und weiblich wäre.
Tobias Schabel: Ein biegsamer, erfreulich jung und hell klingender Daland mit weichkörnigem Timbre. Ich wünsche mir Härte in der Stimme. Na, passt scho. Ein Genuss ist Schabels sehr gutes Timing.
Emma Vetter: Frau Vetter beweist, dass stille Wasser tief sind. Im 3. Akt greift sie desillusioniert zur Pulle und vollführt mit dem Krummsäbel ein Massker. Nicht schlecht. Nicht recht souverän in der Ballade, findet sie im anschließenden Duett („Wie aus der Ferne“/“Versank ich jetzt“) zu schönen Piano- und Forte-Spitzentönen. Ihr Sopran besitzt interessante Farbe und ein schnell schlagendes Vibrato, das nicht die Tonschönheit des oberen, wohl aber die des unteren Registers schmälert.
Stephan Rügamer: Ein Erik voll sängerischen Ernsts, genauer Linie, pointierten Ausdrucks. Agil, schmächtig, unsinnliches Timbre.
Die züchtigen Spinnradmädels machen auf Putzkolonne. OK. Im 3. Akt singen sie allerdings ein exzellentes, neckendes Kicher-Ensemble, hierin unterstützt vom locker-flockigen Daniel Harding.
Nach pausenlosen 2 Stunden und 16 Minuten war der Spuk vorbei. Die meisten Bravos für Michael Volle, dann für Stephan Rügamer, Emma Vetter und Tobias Schabel. Daniel Harding hätte mehr Applaus verdient als das unentschlossene Klatschen heute Abend. Aber selbst Simon Rattle wurde beim ersten Rosenkavalier nur sehr lauwarm beklatscht. So sindse, die Berliner.
Eine mitreißende Inszenierung des Fliegenden Holländers. Auch sängerisch sehr stark. Die Staatsoper kann also doch noch Wagner. Der von Ihnen erwähnte Parsifal der DOB ist übrigens hirnloser Quark.
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Wir waren unzufrieden mit Daniel Harding, da wir viele Unstimmigkeiten und Unsauberkeiten hörten. Zudem vermisste ich den warmen Klang, der mir bei Wagner geboten scheint und den man von der Staatskapelle Berlin erwarten darf. Und auch der Inszenierung fehlte eine stringente Linie. Hat Wagner etwa daran gedacht, dass Senta mit einer Weinflasche in der Hand Amok läuft? Meiner Meinung nach nicht. Philips Stölzl hätte das in seinen Überlegungen, die er sich zum Fliegenden Holländer vermutlich gemacht hat, berücksichtigen sollen.
Viele Grüße
Christian Bermann
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Hammer-Inszenierung! Rührend und bedrängend, verständnisvoll und grausam.
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Great performance, fine singing. Mr. Volle does the best possible job.
Hugh from London
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Wenn ich die Kritik lese bin ich erstaunt, dass Michael Volle plötzlich „knorrig deklamiert und eine herrische Höhe ohne besondere Stimmschönheit“ hat. Als ich ihn zum letzten Mal hörte, liebte ich sowohl seine klare Deklamation als auch die Stimmschönheit. Einer der wertvollsten Baritone. Und wenn ich den Kommentar von Hugh Chapman lese, frage ich mich, ob da zwei Besucher die gleiche Vorstellung besucht haben….
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Das gehört zur Kunst, dass sie unterschiedlich bewertet wird (zumindest zu einer, die was wert ist) :-)
Ein Paradebeispiel purer stimmlicher Schönheit fand ich Herrn Volle nicht. Dazu ist sein Ton zu offen, sind das Vibrato mitunter zu kraftvoll und der Fokus zu sehr auf die Verdeutlichung der Wortbetonung gelegt. Außerdem setzt Volle auf eine expressive Phrasierung (das hängt ja alles miteinander zusammen). Michael Volle hat eben andere Qualitäten als, sagen wir mal, René Pape. Als ausdrucksorientierter Sängerdarsteller – und dadurch eben auch als Sänger – war er als Holländer ausgezeichnet.
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Harding war besser als DOB Lacombe und Bayreuth Thielemann.
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Diese Inszenierung ist absoluter Humbug! Wir waren sehr enttäuscht, nachdem wir zuvor diverse tendenziell positive Kritiken gelesen hatten.
Wenn Wagner gewollt hätte, dass Senta Erik ersticht, hätte er das genau so in das Textbuch geschrieben.
Und dass die Mannschaft des Holländers im 3. Aufzug die Männer Dalands tötet, ist eine Schnapsidde sondergleichen. Was bringt mir das?
Thema verfehlt.
Ein einziges Mal brachte mir diese willkürliche Inszeniernung etwas Positives, und das war das eindrucksvolle Erscheinen des Holländerschiffes.
Zu den Sängern kann man wohl sagen, dass Michael Volle mit seiner Präsenz das Ensemble dominiert hat. In der U-Bahn haben meine Frau und ich nach der Vorstellung lange mit einem Paar diskutiert, das ebenfalls die Vorstellung besucht hat. Ihnen hat der Daland von Tobias Schabel gut gefallen, was ich anders erlebt habe. Die Senta von Emma Vetter hinterließ einen zwiespältigen Eindruck ungeachtet mancher schöner Momente.
K. P. Mossenbrügger
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