Barenboim-Zyklus. Einziger Auftritt Jonas Kaufmanns bei einer „ordentlichen“ Aufführung in Berlin in dieser Saison, soweit ich weiß.

So, Jonas Kaufmann. Schlank und locker und charmant. Geht er eigentlich aufs Oktoberfest? Ein sehr schöne Matinée. Ich höre großartige Momente des Liedgesangs, garniert mit einigen bekannten Kaufmannismen. Die Schöne Müllerin, schon seit Jahrtausenden nicht mehr gehört.

Zu Tenor Jonas Kaufmann.

SCHLECHT: Lassen Musik und Text Jonas Kaufmann eine noch so klitzekleine Möglichkeit, Ausdruck, Farbe oder Tempo zu ändern, Kaufmann ergreift sie sofort. Dieses bereitwillige Nachzeichnen jedes im Text angedeuteten Affektes beeinträchtigt nicht selten die Wirkung der Musik. Dann übertreibt er es. Beispiele: das nachhorchende Fragen in „Ist es der Nachklang meiner Liebespein“, die moralische Empörung in „Da steckt kein sittsam Kind den Kopf zum Fenster ’naus“ (2. Mal), der zwischen den Zähnen hervorgestoßene Grimm in „Mein Schatz hat’s Jagen so gern“. Die Vorliebe für treuherzige Putzigkeiten (heuer wars der ungenießbare kokette Ton in „Nun schlinge in die Locken dein“) war schon im Frühjahr bemerkbar.

Echt Jonas Kaufmann ist das markiert heroische Forte und ebenso im Forte der die Bedeutung verstärkende Schluchzer („Der Mai ist ko-hommen“). „Meiner Sehnsucht allerheißesten Schmerz“ klingt ein bissl nach Operette, weniger im Text, als vielmehr bei Kaufmann, grad so, als hätte Kaufmann sich schon in der Wiege vorgenommen, die schöne Müllerin zu singen. Das zutiefst Berührende des seelisch-subtilen Ausdrucks („es durchschauert mich“, „Die Heide, die heiß ich die Liebesnot„) fehlt – noch.

GUT: Kaufmanns Gestaltungswille und -kraft sind enorm. Auch wenn mir ebendas, wie gesagt, stellenweise etwas bajuwarisch-unverdrossen Schubert gegenüber vorkommt. Andern mag es anders ergehen. Hervorragend „Die liebe Farbe“ („Etwas langsam“), dank Stellen wie jene bei „Eine Heide von grünen Rosmarein“ mit der genialen, ausdrucksmäßig gar nicht fassbaren Dehnung auf dem „o“. Auch kurz vorher: da ist das komplex-grimmig-mühevoll hervorgebrachte „Zypressenhain“ bewunderungswürdig. Exzellent auch „Der Müller und der Bach“, trotz oder wegen der manierierten Behandlung der Lautstärke (feinste pp’s!). Genial, genial der unwiderstehliche heldentenorale Drive von „Ach unten, da unten“ mit dem hinreißenden Runterdrosseln von Lautstärke und Ausdruck auf den letzten beiden Silben, da passt auch Kaufmanns Heroik-Vollklatsche wie die Faust aufs Auge.

Hin und wieder segelt Kaufmann gerne mal hart am Knödeln, besonders im gepressten hohen Piano („Ein Sternlein, ein neues“).

Nach „Mein!“ Zwischenapplaus, nicht zuletzt aufgrund von Barenboims demonstrativen Schlussakkord. Barenboim und Kaufmann lassen den in halsbrecherischem Tempo genommenem „Jäger“ attacca auf „Mit dem grünen Laubenbande“ folgen – ich wartete vergeblich auf einen dem sportiven Tempo geschuldeten Verhaspler. Der Schlusszeile „Der Mai ist kommen/Der Winter ist aus“ („Trockene Blumen“) wurde publikumsseitig sofort heftig, und zwar mit zahlreichem Husten, widersprochen.

Daniel Barenboim spielt mit der ihm eigenen Forsch-, Frisch-, Freiheit. Die Verschränkung von Farbe, Klang und Ausdruck ist weitgehend und befriedigend. Ein Bekannter sagte nach dem Konzert zu mir: So richtig die Sau rauslassen konnte der Barenboim heute aber nicht. Die Veranstaltung war halb so teuer, aber doppelt so gut besucht wie die im Frühjahr von den Philharmonikern veranstaltete.