Festtage 2009 Lohengrin Daniel Barenboim Stefan Herheim Dorothea Röschmann Klaus-Florian Vogt Kwangchoul Youn Gerd Grochowski Michaela Schuster Bruck
Nach dem ersten Akt denke ich: seltsam. Nach dem zweiten: hat was. Nach dem dritten: substantiell. Stefan Herheims Lohengrin schenkt Berlin ein tief- wie hochschürfendes Marionettentheater. Herheim macht die stilistischen Faux-pas des Librettos erträglich. Das Beste aber ist, dass dieser Lohengrin einen höllischen Spaß macht. Im Premierenpublikum schien die Zustimmung die wütende Abneigung zu überwiegen. Einige Buhrufer liefen, unter krebsroter Gesichtsfarbe, zu Hochform auf. Es gab prächtige Details zu bewundern. An erster Stelle der überkandidelte Firlefanz des Helm Lohengrins, den zwei Büschel aus Schwanenfedern schmückten. Bevor ich Herheims Inszenierung sah, meinte ich, so etwas gebe es nur auf Stichen aus der Mitte des vorvorigen Jahrhunderts.
Dorothea Röschmann (Elsa) – ein Prosit auf ihre 2008er Eva – singt im ersten Akt klangschön und erlesen in der Mittellage. In Nummer drei singt Röschmann hübsch, doch es fehlt der Überschuss. Enge Spitzentöne, Ausdruck und so fort. Doch da war noch mehr. Der Klamauk der Inszenierung war nicht Röschmanns Ding. So war der Eindruck. Der überdrehte Puppenstubenlack, den Klaus-Florian Vogts (und Herheims) Lohengrin ausstrahlt, hatte da schon mehr inneres Tempo. Man dachte: Röschmann verhielt sich zu Vogt wie Louis Spohrs C-Dur zum Tristanakkord. Und ob die einiges an Expansivität erfordernde Elsa für Dorothea Röschmanns Stimme ein Schritt in die richtige Richtung ist, naja.
Der in Bohnenstangenmanier aufragende Gerd Grochowski im schwarzen Rollkragenpulli (Telramund) sah auch nach dem verlorenen Holzschwerterkampf prächtig aus. Stimmlich agiert er furztrocken und hellwach. Anders Michaela Schuster (Ortrud), deren Mezzosopran einiges an Belastung aushält, aber eben nicht alles. Der kräftige Applaus war eher der Intensität ihers Bühnenspiels geschuldet. Stimmlich am makellosesten zog sich Youn (König Heinrich) aus der Affäre. Im Inszenierungsmotor war sein Bass der vokale Kraftstoff mit der höchsten Oktanzahl, unübertroffen an Kraft, präzisem Einsatz und schlankem, beherrschtem Volumen. Das reicht locker, um im dritten Akt leichthin auf die Weltspitze zu hoppeln.

Das Ereignis, wenn auch nicht der uneingeschränkte Glücklichmacher der Premiere war ohne Zweifel der Lohengrin Klaus Florian Vogts. Es fragt sich nur, ob der vorgesehene Burkhard Fritz zuerst krank und die Intendanz dann auf der Suche nach einem Ersatz war, oder ob Vogt zuerst einsprang und daraufhin Fritz nichts anders übrig blieb, als krank zu werden. Tatsache war jedoch, dass Klaus Florian Vogt das Publikum so rigoros in Vogt-Befürworter und Vogt-Verneiner spaltete, dass es während des Schlussapplauses zu einem der eindrucksvollsten Buh- und Bravo-Gefechte der letzten Jahre kam. Wie das? Wie singt Klaus-Florian Vogt?????? Als ich den ersten Ton aus Vogts Kehle hörte, dachte ich, es singe ein Vierzehnjähriger mit der Psyche eines Zwölfjährigen. Im Laufe der Aufführung musste ich zugeben, dass dem Lohengrin ein Kastraten-Timbre ganz gut steht, aber richtig warm wurde ich mit Vogt nicht.
Vogt hatte seine Momente, vor allem dann, wenn er von keinem Wölkchen getrübte Spitzentöne platzierte. Einige Momente des Atemstockens gab es während der dritten Vorstellung, als Vogts Gralserzählung von Stimmabbrüchen bedroht war – Folge der Anstrengung dreier aufeinander folgender Vorstellungen. Die erfreuliche Sorgfalt, die Vogt für die Phrasierung aufbringt, wird durch mangelndes Gefühl für natürlichen Fluss innerhalb der Phrase sowie für organische rhythmische Formung zunichte gemacht. Doch zugegebenermaßen passte das Timbre eines Cyber-Kastraten wie der Deckel auf den Topf zu dieser Inszenierung.
Es kommt Herheims Inszenierung zugute, dass der erste Effekt – eine zum Vorspiel selbstvergessen die eigene Musik dirigierende Wagner-Marionette – und der letzte Effekt – die vom Schnürboden auf die Bühne herab krachende Lohengrin-Marionette – ebenso originell wie stichhaltig sind.
Es hat sich in Berlin schnell herumgesprochen: Die Staatskapelle kann genauer spielen, der Staatsopernchor genauer singen, als jene und dieser es taten. Geprobt wurde also wenig. Dennoch ließ das Vorspiel zum ersten Akt den tastendsten, schwebendsten Streicherton hören, der seit langem in Berlin zu vernehmen war. Das zum dritten Akt besaßen Wucht und ekstatische Kürze, die an das Beste aus Barenboims Tristan erinnerte.
Das Textbuch ist gegenüber denen der Meistersinger, des Tristan, des Parsifal ungeschickter. Besonders die erste Szene des zweiten Aktes schuldet dem Zeitstil (und Wagners Redseligkeit natürlich) manches.
Der Berliner Lohengrin der diesjährigen Festtage hatte mit der Tatsache zu kämpfen, dass die Vorstellung in sängerischer Hinsicht deutlich von der kurz zuvor stattgefundenen Repertoirevorstellung des Parsifal mit Domingo, Meier und Salminen in den Schatten gestellt wurde und im Vergleich zur ebenfalls einige Tage vorher gehörten Repertoirevorstellung des Don Giovanni unter Dudamel nicht in erheblichem Maß besser war.