TRISTAN UND ISOLDE Daniel Barenboim Harry Kupfer Waltraud Meier René Pape Ian Storey Michelle DeYoung Roman Trekel Reiner Goldberg Florian Hoffmann

Das erste Mal bei der Saisoneröffnung. Nach dem indiskutablen Tristan von Pinchas Steinberg an der DOB im Juni fühlte ich mich von Barenboim wieder ernst genommen. Die Geigen des Vorspiels sind die erste groß musizierte Musik seit Boulez/Philharmoniker, die ich nach dem Sommer höre. Im Tristan hat jeder seine Ermüdungsphasen. Für mich warens heuer Mitte und Ende des zweiten Aktes. Aber im Tristan bekommt jeder seine zweite Chance. Man sitzt und hört die Staatskapelle Wagner spielen, schlägt die Beine übereinander und denkt: alle Achtung, gar nicht schlecht, die Musik.

Der rote Samt der Galeriebrüstung stinkt noch wahrnehmbarer als letzte Saison. Liegt es an der Augusthitze? Ist es der Schweiß von Sasibeamten? Die Toiletten laufen häufiger als gewohnt über. Die Musik ist von einer Geschlossenheit und Weite, die den Atem nimmt.

Ich sitze und denke: Gibt es etwas Besseres als diesen ersten Akt? Tage später blättert man im Libretto und liest so Sachen wie „Das Schwert – ich ließ es fallen“ oder „Doch der Liebsten Hand/löschte das Licht“ und hört noch Waltraud Meier und Daniel Barenboim. Die schwebende Artikulation in „Das Schwert“, die zwei lose verbundenen „i“s in „ich ließ“, das zitternde „a“ nach dem Tonhöhenaufstieg mit unbeschreiblicher Tongebung. Wagners Musik: in ihr herrschen Logik und einsame Höhenluft eines Mozartstreichquartetts.

Auf Barenboims grell beleuchtetem Pult liegt nur das violette Handtuch. Im dritten Akt dirigiert Barenboim zwei Minuten lang mit dem Wasserglas in der linken Hand. Waltraud Meier – war sie jemals besser? Evelyn Herlitzius sang die Isolde an der DOB mit mehr Klangvolumen und -schönheit, doch sie macht aus der Isolde eine Irin, für deren verwickelte Eheanbahnung man sich so mit Ach und Krach interessiert, und man muss sich nur jenes „Das Schwert – ich ließ es fallen“ von Meier ins Gedächtnis rufen, um den Unterschied klar zu machen. Meiers Spiel verleitet dazu, sich die Isolde abwechselnd als tödlich verletzte 14-Jährige wie als 50-jährige Tragödin à la Isabelle Huppert vorzustellen. Oder: als wild gewordenen Keiler wie als snobistischen Pfau. Meier ist mit Wagners irrsinnig guter Musik quasi mit sich alleine. Sie muss es alleine mit Wagner ausfechten. Man kann’s auch so sagen: Waltraud Meiers Isolde ist die interessanteste weit und breit.

Ian Storey (Tristan) sehr ordentlich. Gambill sagte wie an der DOB im Juni ab, Strorey springt ein. Die f-Höhe ist metallisch hart, unflexibel und einige Male von schmerzender Lautheit. Interpretatorisch besteht die Möglichkeit einer Steigerung. Von René Pape (König Marke) enttäuscht. Ich muss nachdenken. Ich habe Pape seit seinem denkwürdigen Don Giovanni im Dezember 2006 tatsächlich nicht mehr gehört. Die mächtige Ausladung der Stimme ist womöglich noch gesteigert, das Material unverändert prächtig. Die Textformung zeigte Schwächen. Die Konsonanten an Wortenden werden eher aus Effekt denn aus dramatischer Notwendigkeit hervorgestoßen. Der Phrasierung, ja der Stimmfärbung gehen die hochdramatische Kraft ab. Pape findet nur die Linie der Schönheit, nicht die des Dramas. Das aber wirkt sich auf die Interpretation aus. Papes Marke hinterlässt das Gefühl der Leere. Ein herausragender Sänger, aber ein farbloser König Marke. Dennoch heftiger Applaus. Roman Trekel ist als Kurwenal ein guter Ersatz für Grochowski. Im Domingo/Meier/Barenboim-Parsifal vom März gefiel mir die enge, energische, hohl klingende Stimme Trekels überhaupt nicht. Auch Horst Köhler, dem man nicht zu viele Tristans, die er anhören muss, wünscht, klatscht.

Review/Kritik Tristan und Isolde: erhebend