Lang Lang? Peanuts. Besser: Parsifal hören.

In unmittelbarer zeitlicher Nähe zu mehreren Berliner Gastspielen des unter- ähh überschätzten Lang Lang unter Daniel Barenboim fanden die letzten beiden Vorstellungen des Parsifal in der Berliner Staatsoper statt. Just fand die letzte Vorstellung (27. Juni 2007) statt, und es wird für einige Zeit die letzte bleiben. Grund zum Trauern, da Barenboims Parsifal-Dirigat alles in allem das überzeugendste musikalische Schwergewicht der abgelaufenen zweiten Hälfte der Berliner Konzert- und Musiktheatersaison war.

Pimp my Staatsoper!

Daniel Barenboim sitzt auf seinem Schemel, weiße Locken auf dem Kopf. Er dirigiert rudernd, bevorzugt mittels kreisender Armbewegungen. Wird es laut, schlingern die Arme in die Höhe, er beugt sich weit vor, über oder besser in das Orchester hinein. Sitzt er wieder, kommt das Schweißtücherl zum Einsatz. Manchmal (22. 6.) dauert es lange, bis aus dem Dunkel des Orchestergrabens die ersten Streicher mit den ersten Noten des Vorspiels beginnen – das ist dann die Ruhe vor dem Sturm, die nervös und glücklich macht.

Das Vorspiel der Vorspiele

Das Vorspiel macht glücklich, mehr von innen heraus kann man es nicht hören, es scheint Ewigkeiten zu dauern, und doch lenkt Da. Bar. zügig und straff, wie man später des Öfteren hören kann. Die Blechbläser (mit der unspektakulären, nicht an den Außenlinien exakten, chorischen Genauigkeit, die man so selten von den Berliner Philharmonikern hört) formen Stufen und Aufstiege, dass man es nicht glauben kann.


Auffällig ist der Unterschied zu Simon Rattle. Bei Barenboim: Keine Hast, keine scharfen Akzente, kein herrischer Rhythmus, keine straff erreichten Zielpunkte. Stattdessen: ein absolut faszinierend nach innen gewendeter Klang, abgewendet ferne Streicher, lyrisches, verrätseltes Pathos. Wer die verhüllte Differenziertheit der Stimmgruppen im Vorspiel zum ersten Akt nicht gehört hat, hat Parsifal nicht gehört. Also OK, Rattle ist anderswo klasse.

No net hudle

Die dynamischen Höhepunkte sind introspektiv, verspiegelt, was weiß ich, irgendwie bekommt es Barenboim hin, dass alles mit allem zusammenhängt. Der Parsifal ist unendlich in der zeitlich-gefühlten Ausdehnung, ein morsches Holz (manchmal müssen Metaphern einfach sein), in dem die Erinnerungen sich wie Holzwürmer durchfressen. Das Orchester zieht von einer Orchesterfigur zur nächsten, riesige Mengen von Zeit hinter sich lassend. Das Wohltuendste ist das Fehlen einer äußerlichen, rein technischen Präzision im Zusammenspiel der Instrumente. Hört man genauer hin, kommt es Barenboim weder auf Farbe noch auf Linie an, noch auch auf eine Rhetorik des Orchesters, die den Hörer führen will. Man höre im 80er-Jahre Parsifal von Karajan (Kurt Moll, Hofmann…) den Chor bei „das letzte Mal, das letzte Mal“ (3. Akt, Amfortas geht es gerade sauschlecht). Bei Karajan ist alles so sauber wie im Biotech-Labor (Karajan bietet andere Vorteile, die Barenboim nicht hat), bei Barenboim hört man Brodeln und Schreien.

Hitzig ist witzig

Was für eine Zurückhaltung übt Bar. in der Zuspitzung der Orchestergesten, und wie mitreißend gelingen die heftigen Gesten des 2. Aktes dennoch. Das Vorspiel zum zweiten Akt dürfte mit das Hitzigste und Überlegendste gewesen sein, was in Berlin an hochdramatischer Musik in den letzten Jahren erklang.

Kundry, hilf!

Dies gilt alles trotz der Einschränkung, dass die Auswahl der Sänger bei weitem nicht das obere Ende der Fahnenstange bedeutet. Michaela Schusters Kundry macht eine gute Figur, sie macht jedoch nicht Waltraud Meiers rhetorische Präzision vergessen – und ebenso wenig das Meiersche „und lachte“, das einen, die Erinnerung hat es bewahrt, Fröstelschauer über den Rücken jagte. Michaela Schuster ist laut, aber sie packt einen nicht, sie hat die Wörter nicht so durchgekaut, wie es nötig wäre. Der blökende Amfortas von Roman Trekel gefiel zuerst wenig, in den Junivorstellungen wurde Trekels Amfortas jedoch zu etwas Rundem, das durchweg zu Herzen ging.

Blumenmädchen für die blaue Stunde

Hätte Wagner nicht die Blumenmädchen (6 Solo-Stückerl insgesamt) in sein Bühnenweihfestspiel integriert, würde dem Parsifal diese liebliche Auflockerung fehlen, die den Beginn des zweiten Aktes so entzückend macht. Man hört die umwerfende Stimme von Katharina Kammerloher (draußen wird es langsam Abend), die schöne Stimme von Simone Schröder. Was für ein tolles Sextett über dem in fließender Süßheit herrlich nuschelnden Barenboim-Orchester.

Fritz fischt frische Grale

Der für die Februarvorstellungen angekündigte Parsifal Domingo verkrümelte sich lange vorher, an dessen Stelle trat Burkhard Fritz‚ klassisch trockene deutsche Aussprache. Das ordentliche, eigentlich glanzpunktlose Rollenporträt Fritz‘ ist dank seiner Stabilität bis in die Schlussminuten nicht ohne Vorteile. An der Seite einer umwerfenden Waltraud Meier wollte man ihm lange zuhören. Burkhard Fritz klingt auf eine unprätentiöse Art ehrlich und lyrisch, hat auch was.

Alles Pape oder was?

Pape ist Gurnemanz und Gurnemanz ist Pape. Neben Orchester und Dirigent ist René Pape der dritte Schwer- und Weifestspielmittelpunkt, um den der Berliner Parsifal kreist. Papes Bekanntheit ist dabei, sich in Ruhm zu verwandeln, was nicht unberechtigt ist, und mithin verständlich, wenn man während der langen Minuten sowohl der Gralserzählung im ersten Akt als auch der strömenden Alterssuada des mild Vergreisten im dritten Akt, von Papescher Perfektion konsterniert, lauscht. Pape herrscht kontrolliert über fülligstes Stimmmaterial, seinen Bass passt er intuitiv (na, vielleicht übt er jeden Tag auch zehn Stunden, keine Ahnung) und unendlich geschmeidig allen musikalischen und dramatischen Anforderungen des Bühnengeschehens an. Die Phrasierung, die Stimmführung ist kontrolliert und idiomatisch bis in die letzte Fasern der Gurnemanzschen Rezitation, die Übergänge von laut zu leise, von Flüstern zu Singen sind unglaublich gemeistert.

Zum Glück wird hier die Zeit – wenn Pape Musiktheater singt

Die Wärme der Stimme macht Frösteln vor Staunen, ihr luftiges, leichtgewichtiges Volumen entzückt, ihre behutsame Führung ist unvergesslich. Matti Salminen hat mehr dramatischen Effekt, René Pape diese Treue des Ausdrucks. Mit zittrigen, vor Erwartungs-Gicht verbogenen Fingern bestellt man die Karten für die Meistersinger, in denen Pape Hans Sachs singen wird.

Substantiell daneben. Eichinger verbockt es. Wegschauen hilft

Die Regie Bernd Eichingers ist unglücklich, man könnte auch sagen, sie sei grässlich. Seine Idee: Zeitreise. Von den alten Ägyptern bis zur jetztzeitigen Rockerclicke. Ich erinnere mich an die Meistersinger, substantiell inszeniert von Hans Neuenfels, an der Stuttgarter Staatsoper, die das Operngeschehen aktweise von Zeitepoche zu Zeitepoche voranschreiten ließ. Eichinger hatte etwas Ähnliches im Sinn, bleibt jedoch bei Humbug stecken. Er projiziert Pyramiden und kollabierende Hochhaustürme, wenn das Orchester die Verwandlungsmusiken stemmt. Wegschauen hilft.

Adieu, Parsifal, adieu süßer Berliner Parsifal-Frühsommer, adieu wunderbare Liaison Barenboim – Wagners Greisenwerk. Berlin, du bist ärmer ohne Wagners letzten Streich. Warum dirigiert eigentlich Gielen keine einzige Oper in der Saison 2007/2008? Warum darf Dan Ettinger so häufig ran? Warum wird es keinen Parsifal mit Barenboim geben?

Barenboim berlinisiert den Parsifal und parsifalisiert Berlin