Lang ist es her. Die Inszenierung von Calixto Bieito gefiel mir bei der Streamingpremiere 2020. Jetzt verärgert sie. Es gibt gutes Regietheater (Castorfs Forza an der DO, trotz Indio-Rezitat) und schlechtes Regietheater. Dies ist schlechtes. Hat der Brug also recht gehabt.
Hier kommt tatsächlich alles zusammen, die fantasielos nackte Bühne, das blendende Neonlicht, die Requisitenläpperei (der Blumentopf), das Hochhalten von beschrifteten Plakaten (das war vor 2000 richtig geil, bei Neuenfels), die Zappelattacken des Chors, die Videos. Aber es läuft wenig zusammen. Was bei Tscherniakows Ring gewitzt wirkt, nämlich das Ignorieren von Librettoanweisungen, wirkt beim neuen Staatsopern-Lohengrin ärmlich.

Sogar bei Hochzeitsmarsch mitsamt Brautjungfern lässt man den Vorhang unten, denn Sarah Derendinger präsentiert mit toughem Selbstbewusstsein ein Video, auf dem eine Schwarze, hold frei benippelt, einen Schwan gebiert. Dafür sind die Jungfern kaum hörbar. Geradezu deplorabel erscheint die Statik der Personenführung. Der Chor steht. Ortrud sitzt. Lohengrin steht. Dass Bieito das vielschichtiger kann, bewies er im Herbst bei Aida.
Die Besetzung indes zählt zu den renommiertesten und wird durch den Wechsel von prima donna und primo uomo doppelt reizvoll. Camilla Nylund gestaltet (erste und zweite Vorstellung) die Elsa zurückhaltend mütterlich und ist weder, was Artikulation, noch, was Bühnenbeweglichkeit angeht, sonderlich spontan. Ihr instrumentales Singen wirkt heute seltsam reizlos. Vida Miknevičiūtė (dritte und vierte Vorstellung) mausert sich zur Idealbesetzung im jugendlich-dramatischen Wagnerfach, und ich denke, ihre Elsa ist attraktiver als ihre Sieglinde. Diese Elsa ist scheu und stark. Ihr Spiel ist umwerfend. Dieses Dastehen erinnert an die hinreißende Nina Hoss am Deutschen Theater… Das Vibrato packt, weil leicht unregelmäßig. Man sagt immer, die Litauerin habe wenig Ausdruck. Ich selbst hörte damals das so. Aber der Klang ist da, die Linie ist da, und Miknevičiūtė nimmt ihr Metall, die Härte, die leichte Unsinnlichkeit tutto completto mit in die Gesangslinie. Und da ist dann der Ausdruck. Die mädchenhafte Erscheinung und der alles andere als lyrische Stimmausdruck kontrastieren aufregend. Die Aussprache ist erfreulich klar.

Als weißer Held und Ritter zelebriert Klaus Florian Vogt wortgenaue Nüchternheit. Der Zuhörer erlebt die Wonnen der Textdeutlichkeit. Freilich weckt des tendenziell sinnlichkeitsfreie Singen die Sehnsucht nach Jonas Kaufmann. Und doch ist Vogt mitreißend, macht bella figura in weißem Hemd und formeller Freizeithose. Als Einspringer für Schager ist er am Mittwoch besser in Form als am Sonntag. Vertretbar auch das Fallen ins Quasi-Reden bei besonders wichtigen Momenten (wie Strauss es im Rosenkavalier wollte), wenn ich mich recht erinnere, bei Weh uns, was tatest du!
Im Übrigen suggeriert die Regie, dass Elsas Bruder nicht von Ortrud verzaubert wird, sondern im Stadtbad Mitte ertrinkt. Unglücklicherweise dauert das Ertrinken das ganze erste Vorspiel lang. Einmal hängt Gottfried schon leblos im Wasser, und man atmet auf, kurz darauf paddelt er jedoch munter weiter.
Wolfgang Koch gibt den betrogenen Betrüger (Dahlhaus) Telramund als standesbewusst erregbaren Hochadel, nicht knurrig dräuend, sondern hitzig erregt (als Bühnenfigur) und offen intelligent (als Interpret). Koch, der unübertroffene Sachs unter Barenboim, agiert deklamatorisch versiert, singt mit Freude am lebhaften, doch stets sinnvollen Akzent. Kaum einer kann das so Klang-nuancierend dem Text nachschmeckend. Und das obwohl der Telramund sicherlich die undankbarste der großen Baritonpartien Wagners ist, viel Rezitativ, kein Held, aber auch kein ganz Böser, einfach ein vermeintlich schwacher Charakter. Aller Wagner-Ehren wert auch die von Rachewut durchdrungene, giftig dunkelvokalig manipulierende Ortrud Marina Prudenskaja. Ihr Mezzo sticht wie ein Skalpell, wenn auch manches i zum ü wird und mancher Konsonant im Ausdrucksfuror verschwindet. Aber Prudenskaja weiß jeden Moment, was sie singt. Adam Kutny interpretiert den Heerrufer mit flackernd gespanntem Metallbariton und der unentbehrlichen Autorität. Kutnys Spiel ist sensationell, obwohl ich diese Joker-Ideen der Regisseure stets deplatziert finde.
Über Günther Groissböcks König am Sonntag dann mehr.

Zur frugalen Regie gesellt sich ein junger Dirigent, der Brite Alexander Soddy. Der Oxforder offeriert von allem etwas. Beflissen werden das Vorspiel musiziert, knallig die Tutti, die berühmten Mittelstimmen, besonders bei den Streichern, tönen plötzlich elegant. Der Brite ist talentiert, aber das Dirigat mittelmäßig. Somit behandelt die Opernleitung Wagners Schwanenoper, was die Leitung angeht, weiterhin schnöde: nach Pitschner jetzt Soddy. Den Chor der Staatsoper Berlin erwischts auch, da er stets in großen Abständen aufgestellt wird und entsprechend ungenau singt, bei unbestreitbar schönen Einzelstellen, und Soddys Tempo verstärkt die Probleme im dritten Akt noch.
Viel Applaus. Ein Buh für den Chor. Und eins für Groissböck – man fragt sich unwillkürlich, ob eventuell für die Verve, mit der Groissböck, der außerordentliche Ochs vom Januar, Für deutsches Land das deutsche Schwert! singt.
In der Vorstellung am 27. bekam Groissböck nach „Mein Herr und Gott…“ übereifrigen Applaus von jemandem aus dem dritten Rang – vielleicht war es auch Sarkasmus, ich weiß es nicht. Aber drollig war es. Buhs gab es keine für ihn zum Schlussapplaus, aber ich hätte sie nicht verkehrt gefunden – ich habe den Verdacht, dass die Stimme ziemlich durch ist, und zu sehen, wie der Mann sich beim Singen halb den Kiefer ausrenkt, ist geradezu schmerzhaft.
LikeGefällt 1 Person
Ich denke, Don Giovanni koennte der auch.
Nehmen wir mal Rene Pape. Den hab ich an der Met gesehn als Leporello. Sehr schón neben Hampson.Und Groissbóeck sollte das nicht hinkriegen, neben denen was lustiges zu machen? Sollte halt in Zukunft mehr Gianni und Falstaff singen. Schon als Ochs gabs keinen lustigeren. Passts?
LikeLike
Ich habe den Beifall auch gehört und empfand ihn eindeutig als Sarkasmus. Sonst war vieles von Groissböck aber gewohnt beeindruckend. Nur die Höhe funktionierte nicht.
LikeLike
BTW, ich fand ihn auch nicht grossartig vor 2 Jahren im Lohengrin. Aber wer ist die Alternative? Und wofür? Das alles so zu singen, wie man es eigentlich nur in Notzeiten kann?
Das ist Blödsinn, es sei denn, man heisst Kurt Moll oder so, der sich von äusserlichen Anforderungen ziemlich befreit hatte.
LikeLike
LikeLike
Welche Einspielungen als Referenz gelten, scheint nicht selten ein seit Jahrzehnten fortkolportierter Mythos. Die berühmte Kempe-Aufnahme von 62-63 hat den in Opernaufnahmen ohnehin meist ungenießbaren Dieskau als Telramund und einen leicht textunsensiblen Jess Thomas als Lohengrin. Und ist Grümmers 60er-Seelenton wirklich das Non plus ultra? Und für Meinungen, die die von Stimme und Temperament eher weniger dramatische Ludwig als besten Wagner-Mezzo der zweiten Jahrhunderthälfte halten, kann man durchaus pures Unverständnis übrighaben.
LikeLike
Kesting hatte lange die Attitüde, dass nur die verrauschtesten Aufnahmen von alten Sängern die „gültigen“ oder richtigen seien. Selbst Domingo hat er dafür kritisiert, er überrumple den Hörer mit seiner Stimme und das sei nicht seriös. Mittlerweile ist er davon zum Glück abgekommen.
Ich bekam mal von meinem New Yorker Opernfreund zwei Platten geschenkt mit Recitals eines Tenors namens Alfred Piccaver, der heute weitgehend vergessen ist. Der, so sagte er, sei der beste Tenor gewesen, den er in seinem Leben gehört habe. Zu dessen Beerdigung in Wien kamen Zehn- oder Hunderttausende, jedenfalls viele.
Ich habe mir die Platten angehört: ok, er hatte einen gewissen Schmelz, wie der wohl auf CD klingen würde?
Jedenfalls klang Caruso auf Schellack besser.
Alte Aufnahmen sollte man aus ihrer Zeit heraus verstehen. DIE Referenz kann es sowieso nicht geben, denn die Geschmäcker ändern sich.
Leute, die behaupten, dieser Sänger oder jene Aufnahme war nun auf ewig das beste aller Zeiten, sind beschränkt.
Auf jeden Fall stimmt eins : Waltraud Meier war die beste Brangäne und Kurt Moll der beste Sarastro meines Lebens. Aber aller Zeiten, und für alle andren? Wat’n Quatsch.
LikeLike
Bei den Goldberg-Variationen ist ja das gerade ein Problem, dass es ein oder zwei angebliche, uralte Referenzaufnahmen gibt, die der Goldstandard seien. Dabei sind sie nur das originelle Ergebnis der Kunst eines jungen, etwas neurotischen Pianisten, der das „System“ um sich herum ablehnte, und der deshalb ein weitgehend vergessenes Stück so neu interpretierte, daß das System auf ihn aufmerksam wurde. Das ist und bleibt sein Verdienst. Wer war noch Wanda Landowska?
Sein Namensvetter Gulda hat das Stück übrigens nie eingespielt und anscheinend auch nicht aufgeführt, obwohl er dieselbe Abneigung gegen „das System“ oder die „Weiheidioten“ hatte wie der Amerikaner.
Inzwischen gibt es so viele, großartige Aufnahmen des Stücks für alle möglichen Instrumente, Akkordeon, Harfe oder auch Streichtrio von Sitkovetsky, von dem manche sagen, es sei besser als das Original.
All diese Künstler, wenn sie in ihrem Instrument wirklich gut sind, spielen ihre eigene Möglichkeit dieses wunderbaren Stücks. Wenn sie schlecht sind, auch.
Auf dem großartigen, beeindruckenden Niveau gibt es kein „Besser“ oder „Schlechter“ mehr, sondern alles ist Geschmackssache.
Das sagte allerdings auch schon Madame Colette Faller zu mir, die alle ausgetrunkenen Flaschen Petrus in ihrer Küchenvitrine stehen hatte. Und die selber wusste, dass sie eine Referenz war.
LikeLike
LikeLike
Ich würde mir wünschen, das Bieito mehr Komödien inszeniert. Denn der Falstaff aus Hamburg war ein Stück, das er nicht verhunzt hat, soweit ich das am Fernseher beurteilen konnte. Sondern es gab ein paar neue, schöne Aspekte. Wenn er die böse Welt nicht weiter verteufeln kann, was bleibt ihm übrig ?
Irgendwie erinnert mich der Name immer an Boito.
LikeLike
Zum Glück war ich krank. Konnte mich nicht aufraffen – allerdings, wenn ich gewusst hätte, daß Vogt singt, hätte ich mich vielleicht dorthin geschleppt.
Übe stattdessen jetzt Var. 20. Die ist lustig, wie die Hände gegen- und miteinander spielen, und es ist die erste, wo das Thema richtig sichtbar wird, in der Basslinie. Denn in der Melodie gibt es keins.
LikeLike