Hilfe, Castorf! Aber der Weg der Protagonisten in Macht des Schicksals an der Deutschen Oper vom Franco-Spanien über das Italien des 2. Weltkriegs bis ins glitzernde New York führt (wie das Schlussbild suggeriert), fügt sich passgenau in Verdis hinreißende, über vier vitale Akte ausgebreitete Geschichte von zwei Liebenden, die auf Erden kein Glück finden dürfen. Von wegen Castorf, das Regie-Ungeheuer – heute dürfen sogar Mönche vor einer echt südeuropäisch barocken, detailliert aufgebauten Kirchenfassade defilieren.
Castorf wäre nicht Frank Castorf, wenn er nicht ein paar Dinge anders sähe. Leonora trägt Mitschuld am tödlichen Schuss des ersten Akts, wenn sie Alvaro in den Arm fällt, wodurch sich der Schuss erst löst. Im prachtvollen Hornanchuelos-Akt misshandelt Carlo den armen Trabuco übel. Und es bleibt unklar, ob Carlo und Leonora zum Schluss überhaupt sterben. Die unterlegten Erzählschichten (filmisch, durch Rezitation, durch Zusatzdarsteller Ronni Maciel) funktionieren ganz gut, bisweilen allerdings nervenstrapazierend. Die virtuose Drehbühne agiert als dezenter Hauptdarsteller (Aleksandar Denic).
Die Leonora von Hulkar Sabirova gelingt warm und weich, dynamisch genau und farblich abgestuft, überdies mit Verve für die maledizione-Rufe. Madre, pietosa Vergine klingt schlüssiger als Pace, pace. Roman Burdenko als Rache-besessener Carlo und Jorge de León als verzweifelt liebender Alvaro bereiten das Vergnügen, das Sänger, die ihren Aufgaben gewachsen sind, immer bereiten. Es sind tadellose Leistungen, wenn auch beiden mehr Zauber der Halbstimme gut anstünde. Solenne in quest‘ ora und Le minaccie gehören zu Verdis schönsten Eingebungen für die Tenorstimme. Prickelnd meezosopränös und rhythmisch genau die Preziosilla von Jana Kurucová, kantig sonor der Guardian des Ante Jerkunica. Vielleicht hätte man den Melitone (Philipp Jekal) komödiantischer singen können. Die Dienerin Curra verkörpert Karis Tucker, den mimisch wunderbar quirligen Trabuco Ya-Chung Huang, den Chirurgen Byung Gil Kim (mochte ich sehr), den aufrechten Alkalden Padraic Rowan, den franchistische Reden schwingenden Calatrava Stephen Bronk.

Seltsamerweise lässt Castorf in Akt 3 den Chor der Wachen, die sogenannte Ronda, fallen. Verdi komponierte das kurze Stück eigens, um die schnelle Genesung des Alvaro nach der Umarbeitung Ende der 1860er wenigstens annähernd plausibel zu machen. Heute folgen Duett 1 (Alvaro schwer verletzt) und Duett 2 (Alvaro wieder gesund) direkt aufeinander. Und in Akt 4 wird auf Szene und Duett Melitone-Guardian verzichtet.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin wird immer besser, nachdem die prachtvolle Ouvertüre noch rumpelte. Dann aber leitet Paolo Carignani eine Forza aus einem Guss, ruhig, ohne unnötige Effekte, mit pastosem Tutti, natürlichen Farben, voll Ruhe und Kraft. Das ist löblich. Klasse Klarinette im dritten, himmlische Harfe im vierten Akt. Der Chor der Deutschen Oper fügt sich ebenbürtig ein, insbesondere in den Volks-Tableaus des Italien-Akts. Sonderbar hektisch die Temponahme nur beim Ne gustaré m‘ è dato des Alvaro.
Eine gelungene Wiederaufnahme von La Forza del Destino, die man auch in Zukunft an der Bismarckstraße gerne wiedersehen wird.
Wer ist der Herr mit den muskulösen Beinen und dem Federkostüm? Doch nicht Fra Melitone?
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:-) Nein, das ist Ronni Maciel, der ein Teil der Produktion, in Anlehnung an Alvaros Herkunft, als stummer Indio begleitet
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Was ist nun besser : amerikanische Panzer mit Meßdienern besetzt über die Bühne fahren zu lassen oder dies hier ? dies hier ist neuer
vielleicht waren damals beim Neuenfels die Sänger noch besser, Regina degli angeli mit Toczyska und Estes war ein Erlebnis.
Man soll sich ja nicht so auf die Vergangenheit kaprizieren : gestern in der DOB gabs ein Fest der Einspringer. Bei der Tosca, die ich eigentlich seit einem halben Jahr wegen der Sänger anschauen wollte, wurden so nach und nach alle ausgetauscht, die letzten vor etwas mehr als einer Woche. Was dann zustande kam, war eine der schönsten Toscas, die ich gesehen habe.
Freddie de Tommaso : ein 28-jähriger Tenor, halb Italiener, halb Brite. Gibt gerade an der Staatsoper den italienischen Sänger und wurde kurzerhand für eine Vorstellung an die Bismarckstraße abkommandiert. So ein tonschöner Cavaradossi ist äußerst selten, vor allem in den Duetten. Habe nie einen auf der Bühne gesehen, der die Duette mit Tosca so gefühlvoll bringen konnte. Bei den Arien kann er noch ein bißchen für den Effekt üben : auch ein Jonas Kaufmann hatte das nicht gleich drauf. Bitte keine Schluchzer mehr am Ende der Sternearie ! Die zerstören die Stimmung und sind bei dieser Stimme vollkommen unnötig. Im Mai singt er an der Staatsoper Alfredo, zu Weihnachten Rodolfo. Das werd‘ ich mir wohl ansehen.
Natalya Romaniv : eine wunderbare Tosca, die im 1. Akt nicht vor Eifersucht geifert, nicht den Scarpia brutal absticht, nachdem sie sich über die Kunst und die Welt erregt hat, sondern einfach, weil ihr vor lauter Demütigung nichts andres übrig bleibt. Und so sang sie ihre Arie, die ich eigentlich nie leiden konnte : nicht sich erregend, wie ihr sowas passieren konnte, sondern eher als beinah am Boden zerstörte Selbsterkenntnis. Kunst des Gesangs war das. Sogar der Dirigent applaudierte.
Na ja, und Erwin Schrott lieferte eine weltroutinierte, große Darstellung des Scarpia ab. Oft sang er sogar mit Nuancen, was nicht jeder Scarpia versucht. Einzige Abweichung vom gewohnten Regiekonzept : er knallte das Fenster nicht zu, sondern schloß es mit Gefühl. Das passte vollkommen zu der Aufführung.
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Nur der Dirigent (Nicholas Milton) wurde vom Publikum nicht genügend gewürdigt. Gab es zu Anfang des dritten Akts noch lautes Bravo für ihn und das Orchester überall, was ja nicht gewöhnlich ist, und großen Applaus am Ende für ihn und das Orchester, so ließ er doch auf ein Minimum nach, als das Orchester weg war und er allein vor den Vorhang trat. Was denken diese Berliner Claqueure ? Daß ihr Orchester auch ohne Dirigent so formidabel präzis und mit Jefühl spielt ??
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So toll war’s nun auch wieder nicht.
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Der Tenor ist so einer, der erst ein etwas dummes Gesicht macht, wie Piero Cappuccilli, und dann das Maul aufmacht und singt.
ganz ohne Schluchzer
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Vittoria ! Ich habe nie ein solches Vittoria gehört, das das ganze Opernhaus von vorn bis hinten resonnieren ließ. Und der Rest war auch ziemlich gut. Kommt der idealen Tosca näher.
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