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Quasi als Vorlauf ihrer kleinen, aber feinen Wagnerwoche im Mai packt die Deutsche Oper Berlin Rienzi aus. Zwar wird Wagners sperrig faszinierendes Frühwerk auf bekömmliche 3 Stunden netto geschrumpft, wird aus der Großen tragischen Oper also eine mittelgroße tragische Oper, doch der Verzicht auf die 5-Stunden-Fassung sorgt für mehr Auslastung.
Was von der Inszenierung von Philip Stölzl vermutlich nicht gesagt werden kann. Welthauptstadt Germania, Führerbunker, Obersalzberg, gleichgeschaltete Jubelmassen, fix serviert per Video, das ist alles etwas zu viel, selbst für diese Oper, die das doppelte Unglück hatte, zuerst Hitlers Lieblingsoper gewesen und nach dem Krieg nicht mehr gespielt worden zu sein. Für Stölzl erschöpft sich das Faszinosum Rienzi in dessen Rezeptionsgeschichte. Irgendwann hat man die Nazi-Masche raus und man kommt sich vor wie bei ZDF History, bombige Weltkrieg-Einspieler inklusive. Das optische Dauergedudel auf der Videoleinwand (fettfilm) ist ohnehin unglücklich. Aufgabe für zukünftige Regisseure: zu beweisen, dass Rienzi jenseits einer 3.-Reich-Deutung für heutige Augen und Herzen noch von Interesse ist.
Über die Musik von Wagners dritter Oper ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, trotz dröger Liebesgeschichte. Als Historienschinken vielleicht überholt, lässt der ausdrucksvolle, schwungvoll vaterländische Belcanto-Deklamationsstil ahnen, was die deutsche Oper zwischen Weber und dem bekannten Wagner für Möglichkeiten hatte.
Torsten Kerl, von der Statur her eher ein gepolsteter Mussolini als ein abgehärmter Vegetarier Hitler, singt den römischen Tribun mit dramatisch gezügelter, überaus feinliniger Tenorstimme. Von der Textur her eher weich, liefert Kerl die Spitzentöne beneidenswert verlässlich. Wohltuend ist der Verzicht auf hartes Deklamieren in den Volksansprachen und Proklamationen. Stattdessen hört man eine sinnvolle, lyrisch ausschwingende Phrasierung. Nicht von Rienzis Seite weicht die weizenblonde Irene mit BDM-Frisur, gesungen von Martina Welschenbach mit klarstimmigem Sopran. Die Hosenrolle des Nobili Adriano macht Annika Schlicht dank vibrierender Mezzo-Leidenschaft und flammenden Affekt zu einem Zentrum der Aufführung.
Wie meist in der Deutschen Oper sind die kleineren Rollen gut besetzt. Als kraftvoller Steffano Colonna lässt Andrew Harris aufhorchen, Derek Welton verbreitet als Kardinal Orvieto steinerne Autorität, Dong-Hwan Lee ist ein verlässlicher Orsini, dasselbe gilt für den Baroncelli von Clemens Bieber und den Cecco von Stephen Bronk.
Der Chor der Deutschen Oper bewährt sich als dramatische Größe, als wetterwendische und verführerische Kraft, und das nicht nur im Chor-Pomp der Finales, er richtet, zürnt und zittert und zwar durchweg so potent, dass ein Besuch schon wegen ihm lohnt.
Dazu hält Evan Rogister im Graben die Wagner-Fäden zusammen, gibt den weitgespannten Ensemble-Finales Atem und Raum. Es ist kein glanzvolles Dirigat, aber ein grundsolides, zupackendes, mit (so weit ich das bei dem selten gehörten Werk sagen kann) guter Koordination zwischen Bühne und Orchester. Die berühmte (oder vielmehr populäre, wie man will) Ouvertüre hat dennoch Längen, was bei Mariss Jansons und den Berliner Philharmonikern im Januar indes auch nicht anders war.
Foto: Bettina Stöß
Weitere Kritiken: Der Diktator und sein Double (Christine Lemke-Matwey, Premierenkritik), Chor-Bombast, Buhrufe (Klaus Geitel, ebenso)
Genauso habe ich diesen Abend auch erlebt. Die Ansage von Seuferle über Kerls Grippe habe ich dann am Ende doch nicht verstanden. Wie mag er ohne Grippefolgen dann noch singen??
Wie sich Geschmäcker im Laufe der Jahre ändern können. Ich habe die Inszenierung wohl 4 x gesehen, fand die aber bis 2016 gar nicht mal so schlecht. Freitag habe ich mich gefragt, wie mir das passieren konnte. Wahrscheinlich habe ich den Aufstieg der Rechten so nicht ernst genommen. Nach dem heutigen Wissensstand und meiner politischen Einstellung finde ich die Inszenierung größtenteils unerträglich. Selbst die bebilderte Ouvertüre…
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Apropos Indisposition: Bei mir (Reihe 14) kam die Stimme von Torsten Kerl am Anfang sehr vorsichtig an.Ih ging davon aus, dass dies aufgrund der angekündigten Indisposition zustande kam. Nicht ganz ausschließen möchte ich aber, dass der Eindruck so war weil Kerl von hinten auf die Bühne trat. Dann hat er sich schnell freigesungen. Annika Schlicht hat unheimlich sympathisch gespielt insofern das die schematische Rolle überhaupt erlaubt, aber stimmlich fehlten mir Kraft und Präsenz.
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Wie bitte??
Für mich war Fr. Schlicht die Überraschung des Abends, gerade weil sie stimmlich so hervorragend war
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„Torsten Kerl, von der Statur her eher ein gepolsteter Mussolini als ein abgehärmter Vegetarier Hitler“ – auch wegen sowas lese ich Ihre Berichte so gern, lieber Herr Schlatz; von der musikkritischen Kompetenz abgesehen.
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Och, Albrecht, da nehmen Sie sich beide aber doch nicht viel
(nicht das ich jetzt auf meiner Schleimspur ausrutsche :-))))))
Im übrigen habe ich gerade erfahren, das der Schager wohl mittlerweile alle Tenorpartien singt, böse Zungen behaupten brüllt, in Wien den Tamino und in Wiesbaden den Cavaradossi….
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