Doch nicht Querverweise auf kluge Kollegen gefährden das Violinkonzert. Gefährlich werden dem Werk vielmehr: erstens simple Brachialo-Motivik, besonders in rhythmischer Hinsicht, zweitens der zwar zwielichtig gebrochene, auf Dauer aber fadenscheinige (Volkslied-)ton, drittens der wuchtige Naturalismus der Orchesterausbrüche, bei denen die Komponistin ihre Fühler gar bis Mussorgski ausstreckt. Reizvoll ist das Werk aber nicht zuletzt dadurch, dass es die Sphären von Solisten und Orchester virtuos vermischt und -tauscht. Dem in eigentümlicher Weise dösige Weltferne und melodische Banalität umkreisenden Werk wird Leonidas Kavakos vollauf gerecht. Der Solist, der auch die New Yorker Uraufführung gestaltete, erreicht in seinem Spiel eine staunenswerte Deutlichkeit. Das Deutsche Symphonie-Orchester scheint bestens vorbereitet.

Bruckners Riesenschlange: verführerisch schlank

Von der unter Ticciati unausgeglichenen, aber faszinierenden Siebten von Anton Bruckner bin ich erst im Trio überzeugt, aber dann sogleich ganz, und das ändert sich auch nicht mehr im Finale. Robin Ticciati, der bei Lera Auerbach ungemein klar und zart dirigierte, öffnet bei Bruckner den Klang ins Helle, dazu lässt er Holz und Streicher verführerisch schlank agieren. Durchsichtigkeit statt Aura lautet das Motto. Im Adagio tritt die wuchtige Innerlichkeit zurück zugunsten heller Bewegtheit. Ticciati ist hier wie auch im ersten Satz stets mehr Maler und Pinsler als Architektoniker. So freundlich der Welt zugewandt räkelt sich Bruckners symphonische Riesenschlange selten.

Nur wenn’s richtig laut wird, wirkt die grantelige gravitas des Blechs als Fremdkörper im lichtdurchfluteten Klangorganismus. Andererseits lebt nicht nur das wunderbar fließende Trio, sondern auch das Finale von einer Frische, die erst hier so richtig zupacken kann (Rattle machte das bei Bruckners 7. ganz ähnlich). Vor noch mehr Tempo, das gut getan hätte, bewahrte Ticciati vielleicht der Respekt vor dem rätselhaften Riesenwerk. Seine Bruckner-Sechste im vergangenen Winter geriet noch leichtfüßiger. Sonderbarerweise hapert es wiederholt an der Gruppenkoordination, meist bei anziehendem Tempo bei zweitem oder drittem Thema. Unzureichendes Proben? Wie erwartet, lässt Ticciati Takt 177ff des Adagios mit dem Nikisch’schen (und wohl auch Bruckner’schen) Becken- und Triangelschlag spielen.

Robin Ticciati Deutsches Symphonie-Orchester

Robin Ticciati und das DSO bringen das Violinkonzert Nr. 4 (UA 2017) von Lera Auerbach nach Berlin und zwar als deutsche Erstaufführung. Hinter dem modischen Titel NYx: Fractured Dreams, der von der Musik mehr ablenkt als zu ihr führt, verbirgt sich ein Werk, das sich erfrischend unsymphonisch gibt. Fortwährend mutiert sein Klang, denn es ist das federleichte, querständige und zärtlich morsche Klangdesign, das bei Auerbach aufregend wirkt. NYx ist da am spannendsten, wo die Musik in Bereiche der Unschärfe vordringt, Linien und Tonhöhen verschwimmen, Zeitabläufe löchrig werden.

Dabei entstehen Hörräume, die so seidenfein wie hypnotisch wirken. Unverkennbar nimmt Lera Auerbach – wie auch in der polystilistischen Perspektive – Linien auf, die von Schnittke und Ligeti (Spätwerk, Violinkonzert) kommen.

Zu Beginn Debussys Faun, der einmal nicht als impressionistischer Schmachtfetzen, sondern als sommerhelle Studie über das Stillstehen der Zeit erklingt und dem Kornelia Brandkamp (Flöte) gewichtlose Geschmeidigkeit schenkt. Ich bin der Meinung, dass man dem Stück zu oft begegnet. Doch die DSO-Version unter dem luftig modellierenden Taktstock von Robin Ticciati erweitert mein Debussy-Sonnensystem um mindestens zehn Lichtjahre.

Im Mai erfolgt eine Uraufführung von Lera Auerbach im Pierre Boulez Saal, es singt der RIAS Kammerchor. Hingehen! Die 7. Sinfonie in der Kombination Ticciati-DSO gibt es morgen nochmals an gleicher Stelle.


Lesenswert: die englischsprachige Kritik der New Yorker Uraufführung von NYx