Das Werk ist ein Opernsolitär. Heißgeliebt und selten gespielt, extrem fordernd zu singen und heikel, sehr heikel zu inszenieren. Und dabei so ungeniert affirmativ, dass Die Frau ohne Schatten schon immer der röhrende Hirsch unter den Strauss’schen Opern war. Claus Guth hat inszeniert
– Premiere war 2017 – mit frischer Entdeckerlust, ist aber auch souverän genug, sich auf das überdrehte Libretto und dessen naives Menschwerdungspathos einzulassen. Guth holt die Zuschauer aber auch nicht unter ihrem Reflexionsniveau ab, denn listig versteht er die Musik als Traumdeutung und deutet die Kaiserin als leidend Therapiebedürftige. Da auch Bühnenbild (Christian Schmidt) und Personenführung Eigenständigkeit wahren, ist der Weg frei für eine Frau ohne Schatten, die der verwirrenden Komplexität der Musik gewachsen ist und die Zuschauer dennoch berührt.
Die Besetzung ist vorzüglich.
Unbestrittenes Zentrum der Aufführung ist die Kaiserin von Camilla Nylund. Wie von Hofmannsthal gedacht, verhindert die Kaiserin Liebes-Aus und Gattentod, indem sie sich Einfühlung und Empathie öffnet: Identität gelingt laut Hofmannsthal erst durch Wandlung. Nylund, der Aura und Hoheit der Figur sichtbar liegen, gestaltet die Rolle instrumental und makellos. Die Höhe schimmert, ihre Wandlung berührt, der dritte Akt wird ihr persönlicher Triumph. Als gewiefte Giftspritze meistert Michaela Schuster die Amme als lauernde Intrigantin, eine ins Märchenhafte gewendete Ortrud, stimmliche Schärfen beglaubigen die dramatische Präsenz.
Michael Volle formt als Barak, der bei Regisseur Guth kein Färber, sondern ein mit blutigen Tierkadavern hantierender Gerber ist, ein überlegenes Rollenporträt, das durch das Fehlen jener wackeren Biederkeit, die man mit Bernd Weikl und Walter Berry verbindet, wertvoll ist. Elena Pankratowa fasziniert mit voller, ausdrucksstarker Stimme. Besonders der Mix aus warmem Timbre und gutturalem Ton gefällt. Ich habe schon biestigere Färberinnen gesehen, aber kaum stimmlich imponierendere gehört. Ihr dritter Akt, wenn sie die angstvoll reuige – und gebärwillige – Gattin gibt, ist der beste. Die mauschelige Artikulation ist leider der Stimmsubstanz nicht ebenbürtig. Simon O’Neill (Kaiser, mit hellem Tenor) agiert in einer der undankbarsten und schwierigsten Tenorrollen zu Beginn unsicher, schont sich wohl auch und findet im dritten Akt zu eindrucksvoller Stabilität. Den Stein der Weisen indes, nämlich die Rolle des Kaisers dramturgisch einzubinden, findet selbst Claus Guth nicht.

Boaz Daniel bietet als geflügelter Geisterbote pfundig-wuchtigen Wohlklang, während Jun-Sang Han die Attraktivität des Gigolos mit tenoraler Schlankheit beglaubigt. Slávka Zámečníková setzt ihren federleichten Sopran als flügelschlagender Falke ein. Das fröhlich mampfende Brudertrio setzt sich aus Karl-Michael Ebner (Buckliger), Adam Kutny (Einäugiger) und Bartolomeo Stasch (Einarmiger) zusammen. Evelin Novak ist der Schwellenwächter, Natalia Skrycka die charaktervolle Stimme aus der Höhe. Serena Sáenz Molinero, erneut Evelin Novak und Natalia Skrycka singen die Dienerinnen und die Stimmen der Kinderstimme. Als Wächter sind Adam Kutny, Giorgi Mtschedlischwili, Erik Rosenius zu hören.
Simone Young dirigiert mit wohltuender, kenntnisreicher Selbstverständlichkeit. Sie unterschlägt weder Elektra-Dissonanzen noch diatonischen Wohlklang, wobei ihr die klangsatte Totale mehr liegt als das kammermusikalische Auffächern der Stimmen. Wo Zubin Mehta anlässlich der Premiere mit der Staatskapelle Berlin Farben und Nuancen locker hinwarf, favorisiert Simone Young ein sattes, plastisches Klangbild, das auch grelle Zuspitzungen nicht scheut. Solofagott und Solohorn sind superb.
Die Frau ohne Schatten hat einige Macken (Überlänge, Libretto-Kitsch, eintönige Charaktere – der Kaiser). Deshalb ist sie kein Repertoireknaller. Und doch ist Berlin keine Strauss-Stadt wie Wien oder München. Anders ist nicht zu erklären, dass eine Vorstellung, deren Besetzung weltweit zumindest für die Rollen von Barak, Kaiserin und Färberin (trotz Pankratowas mümmelnder Aussprache) wenig ihresgleichen hat, bei weitem nicht ausverkauft ist. Es fehlt in Berlin womöglich das zum Hochkultur-Konservatismus neigende Bildungsbürgertum, das derlei opulente Opernschinken mit Begeisterung goutierte.
Foto: Hans Jörg Michel
Noch ne Bemerkung zu Volle, ist schon bemerkenswert, was der derzeit für ein Programm absolviert, Barak hier, Mandryka in Düsseldorf und heute in München eingesprungen als Hans Sachs, finde ich sehr bedenkenswert……
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Stimme vollkommen mit Ihnen überein. Aber der Bayerischen Staatsoper ein Einspringen abzusagen fällt womöglich selbst einem Volle schwer.
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Kann es nicht vielleicht auch sein, dass die für Berlin hohen Eintrittspreise dafür sorgen, dass die Staatsoper, mit einem Drittel an sehbehinderten Plätzen, nicht unbedingt von jedem für attraktiv gehalten wird?
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Da werden Sie wahrscheinlich recht habe. Habe keine Lust, vor allem bei dieser langen Oper, in den Rängen an der Seite zu sitzen und mir das Genick verrenken, zumal ich nicht in die Kategorie schlank falle. Wäre sonst auch gegangen, aber im Parkett Reihe 17 oder 18 ist mir dann doch zu teuer
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Ich weiß nicht. Wenn Sie in München mal auf der Galerie oder im dritten Rang gestanden oder gesessen haben, ist die Sicht auch beschränkt. Und da ist bei der Frau ohne Schatten restlos jede Karte weg. Preislich ist München auf diesen Plätzen fast identisch wie Unter den Linden. Ganz abgesehen davon, dass eine Frau ohne Schatten oder einen Ring stehend durchzustehen eine gewisse Einstellung verlangt. (Nochmal gepostet wegen komischer Formatierung)
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Hab mich nach dem 2. Akt vom Parkett Seite in den Rang Seite gesetzt, weil der Klang hallig war.
Liegt es an den geschwungenen Bühnenwänden?
Zustimmung was hier zu den Sängern gesagt wird.
War in der Wiederaufnahme am 16.
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Eeeecht? Ich war mit Parkett eigentlich immer zufrieden.
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Meinem Gefühl nach hat es einige Striche gegeben. Beim Kaiser im 2. Akt zB
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Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, aber ich vermute es. So gut kenne ich Frau ohne Schatten nicht. Ich hatte das Bauchgefühl, dass im 2. und 3. Akt einiges fehlte, aber eher aufgrund der (relativen) Kürze der Akte als aufgrund besonderer Stellen. Ich erinnere mich, dass in der Böhm-Aufnahme, die ich vor Jahren mal mit dem Libretto in der Hand gehört habe, Dutzende kleinere und größere Striche drin waren, vornehmlich bei Frau und Amme, stellenweise sogar ganze Dialoge. Es ist für die Leitung stets eine schwierige Frage. Man will dem Publikum keine Spieldauer von über 3 Stunden zumuten und andererseits möglichst viel spielen lassen.
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Die aktuelle Produktion bringt weniger Schnitte als die Böhm-Produktion aus den Siebzigern; wenn Striche da sind dann sind es vielfach die auch von Böhm vorgenommenen. In einigen Fällen aber auch neue. Die Szene des Kaisers im 2. Akt hat sowohl bei Böhm als auch bei der Staatsoper keine Striche.
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Danke für Ihren Kommentar
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Man kann nur hoffen, dass die Frau ohne Schatten weiterhin im Programm bleibt und nicht weiterverliehen wird und dass di Besetzung ähnlich hochkarätig sein wird. Die Oper ist wirklich einzigartig und von unvergleichlicher Schönheit. Nicht umsonst spricht man von Strauss Meisterwerk und Partien wie Kaiser und Kaiserin gibt es ansonsten einfach nicht. Ich habe die „Frosch“ wieder einmal sehr genossen – ich erlebe diese Produktion bereits zum dritten Mal – hoffentlich nicht zum letzten Mal. Die Staatskapelle war wieder einmal unvergleichlich. Neben den Dresdnern ist sie für mich das Strauss Orchester schlechthin.
Eine Anmerkung zu der Besprechung: Walter Berry kann nun gewiss nicht der hier zitierten „wackeren Biederkeit“ zugerechnet werden, er ähnelt sogar Volle auffallend. Für Weikl trifft der Vorwurf schon eher.
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Bezüglich Walter Berry haben Sie recht. Ich habe gerade noch mal reingehört. Bezüglich Bernd Weikl haben Sie auch recht.
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Komme gerade aus der Frau ohne Schatten. Einfach grandios. Hab zum ersten Mal auch das Finale richtig genossen. Guth macht das unheimlich klug, den ganzen Symbolismus ohne dass es aufdringlich wirkt sondern poetisch und schön. Auch die Idee die Zwischenspiele mit den Panotomimen füllen, aber nicht zu arg funktionert. Ja!! Bleibt zu hoffen dass die Oper noch ein paar Jahre in Berlin bleibt. Echt erstaunlich wie Nylund die Riesensprünge meistert. Ihr Akt ist der letzte. Auch Schuster wirklich beeindruckend, auch wenn die Stimme nicht mehr jungfräulich ist. Heute Egils Silins hat ne tolle Röhre aber singt mit wenig Gefühl bekam aber heftigen Beifall – schätze dass Volle besser war. Young kam mir recht langsam vor.
Blech fast makellos.
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