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Die Komische Oper biegt mit einer turbulenten Inszenierung von Die Nase ins Saisonfinale ein. Bei diesem Geniestreich des blutjungen Schostakowitsch, der klingt wie megascharfer Borschtsch, finden Tempo und Witz treffsicher zusammen. Dagegen wirkt Alban Bergs Wozzeck, die heilige Opern-Kuh der Musikmoderne, plötzlich klassisch-gediegen. Dass Barrie Koskys feines Regienäschen sich irgendwann der kessen Nase zuwenden würde, war irgendwie abzusehen. Jetzt gastiert Schostakowitschs Eindreiviertelstunden-Oper – nach Sydney und London – an der Berliner Behrenstraße. So viel kann man sagen. Dieser Kosky hält, was Schostakowitsch versprach.
Der australische Regisseur stellt ein irrwitziges Panoptikum der Typen auf die Bühne der Komischen Oper. Nervöse Kleinbürger, heiratsgeile Damen, eingebildete höhere Beamte, staubtrockene Angestellte drehen sich ohne Unterlass umeinander – und mitten drin befindet sich Kollegienassessor Kowaljow, dessen Welt zusammenbricht, als er eines Morgens merkt, dass seine Nase weg ist.
Kosky zieht frech die Strippen, überrumpelt durch rasantes Tempo und spielt virtuos mit der tieferen Bedeutung von Nasenbesitz und Nasenverlust. So reiht Koskys Kraft eine schmucke Szene an die nächste. Besonders die Ensembleszenen sind fein gelungen. Da werden die Angestellten des Annoncenbüros als bärtige Wurzelsepps präsentiert. Deren Neo-Rauch-Wunderlichkeit zutiefst unheimlich wirkt. Die männlichen Ballett-Schnuckis sind so was von rasant fesch mit ihren grusligen Bärten, blumigen Dirndls und bösen Haartürmen (Kostüme Buki Shiff). An Alptraumhaftes rühren auch die Polizisten mit Nietzsche-Schnauzern. Und die männlichen Tanzmäuse gibts auch in der Ausführung mit farbenfrohen Babuschka-Kopftüchern.
Unvermeidlich bei Koskys Temperament, dass es den einen oder anderen Fehlgriff gibt. Müssen es schon wieder Straps-Transen sein? Seufz. Und man beginnt allen Ernstes langsam aber sicher an der Tatsache zu zweifeln, dass russische Theaterpolizisten immer und überall besoffen sind, eben weil mans schon so oft gesehen hat.
Die bühnenrahmende Revuelinse, die den Blick des Zuschauers lenkt, ist das bühnenräumliche Pendant zur Methode filmischer Schnitte und revueartiger Tanznummern. Das Bühnenbild gibt sich ansonsten wohltuend spärlich, aber sprechend: karges Eisenbett, einfacher Barbierstuhl, gekippte Bühnenscheibe (Klaus Grünberg). Dass Kowaljows Erlebnisse ein Albtraum wären, wie Kosky andeutet, das wird vom Bühnengeschehen indes kaum gestützt.
Unmöglich, alle Sänger zu nennen. Star des Abends ist Günter Papendell als Kowaljow im burgundroten Samtanzug, der sängerisch souverän und schauspielerisch bravourös agiert, beinah allerdings exponiert der Regisseur den Sänger in den Soloszenen darstellerisch zu sehr. Jens Larsen überzeugt als wuchtiger Barbier Iwan Jakowlewitsch, als prachtvoller Arzt und als markanter Chef der Annoncenabteilung – viele Sänger übernehmen mehrere Rollen. Rosie Aldridge ist die resolute, brotbackende Babiersgattin, die wie alle Hakennase trägt, nur der unbenaste Kowaljow zeigt Naturnase. Kowaljows durchgedrehter Diener (Ivan Turšić ) ist ein chaplinesker Zappelphilipp. Alexander Kravetz singt den glatzköpfigen Polizeioberhauptmeister mit fieser Nickelbrille wunderbar agil. Prächtig die vokalakrobatischen Keifduette von Tochter (Ursula Hesse von den Steinen) und der Frau Mama (Mirka Wagner, die auch das Klageweib in der Kathedralszene verkörpert) in schrägbunten Kleidern, hervorragend schlussendlich das virtuose Brief-Quartett, das einerseits besagte zwei Damen sowie andererseits Kowaljow und der pelzmützige Jarischkin (Alexander Lewis) singen. Überhaupt überzeugt das Ensemble, als da wären die Bässe Carsten Sabrowski, Samuli Taskinen, die Tenöre Emil Ławecki, Johannes Dunz, Adrian Strooper, die allesamt prägnante Rollen als rauschebärtige Polizisten oder verklemmte Herren im Spießbürger-Dress abbekommen.
Dazwischen schieben sich immer wieder die Harlekinaden der Musik. Die scharfen Polkas glühen in den Ohren, die Walzer kribbeln in der Nase, die Dissonanzen sind scharf wie eine Chilischote und das Tempo brennt wie 60%-iger Wodka. Schostakowitsch war 21, als er diese wunderliche Operngroteske komponierte. Da war er meilenweit von jenem sozialistischen Realismus entfernt, den ihm die russische Kulturbürokratie wenig später – eine Weigerung hätte Tod oder Gulag bedeutet – aufs Auge drückte. Ainārs Rubiķis lässt am Pult des Orchesters der Komischen Oper die Dinge heiß laufen, fährt die Lautstärke hoch, lässt schlank und angeschärft musizieren, fühlt sich inmitten all der holzschnittartigen Collagetechnik Schostakowitschs pudelwohl.
Viel Applaus.
Umso erstaunlicher ist es, dass die sarkastisch pralle Nase nach wie vor nur sporadisch den Weg in die Opernspielpläne findet.
Fotos: Iko Freese
Besprechungen der Inszenierung von Barrie Kosky von Hundert11, Clemens Haustein (Berliner Zeitung), Frederik Hanssen (Tagesspiegel) und Peter Pachel (NMZ).
Diese Saison nicht mehr….
Aber das hatte ich kürzlich schon im TSP geschrieben, so sympatisch wie ich Kosky finde, ständig das Gleiche.
Wäre das an der DO, dann wären die schon wieder in der Luft zerfetzt
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