Es ist eine alte Opern-Geschichte, doch bleibt sie immer neu.

Besser mit Bizet gesagt: Es ist eine alte Dreiecksgesichte, nur geht’s hier um edlen Triebverzicht und ewige Männerfreundschaft. Das Libretto von Les pêcheurs de perles erzählt von sanften Seelen. Die Liebe lässt die singenden Personen – laut Textbuch wohnhaft in Sri Lanka – wie Espenlaub erzittern. Nadir, der Fischer, und Zurga, der Clan-Chef, lieben die selbe Priesterin. Bizet gab in seiner ersten großen Oper alles: Das Melos der Liebenden erhebt sich in betörende Höhen. Dank dem vielgeschmähten Libretto (Carré & Cormon) sind die Perlenfischer eine herrlich simple Orient-Schmonzette, die sich sinnreich aus dem alten Opern-Konflikt von Religion und Liebe speist.

Cineasten-Legende Wim Wenders hat als Regisseur-Novize an der Staatsoper Berlin indes mit der Exotik des Librettos nur wenig am Hut. Er verlegt den exotischen Fischer-Plot ins unbestimmt Zeitlose. Was man sieht, muffelt freilich stark nach Wieland Wagners Neu-Bayreuth. Bitter ist, dass die Charaktere in etwa so viel Individualität wie der Heilige Geist besitzen. In Wenders‘ Produktion existieren sie lediglich als Klangparfüm-Wolke, als Sehnsuchtssymbol von Opernfetischisten. Wenders lässt Bizets Sri-Lanka-Story in Schönheit sterben. Folglich erleiden diese Pêcheurs einen zweifachen Tod. Sie erstarren im Rampensingen und ertrinken in entleerten visuellen Tableaus. Das ist Opernkitsch unterm Seriositäts-Mantel.

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Hasch mich: Olga Peretyatko, von Francesco Demuro verfolgt  / Foto: Donata Wenders

Es ist eine wasserdünne Inszenierung. Die erwartbaren Ausflüge ins filmische Genre machen die Sache wenig besser. Der Grad des Misslingens erinnert an die üble Parsifal-Panne des Filmmanns Bernd Eichinger Anno 2005. Aus Wim Wenders‘ glückloser Truppe ragt nur der Thalheimer- und Guth-erfahrene Olaf Freese heraus (luxuriöse Lichtregie). Kostüme (Montserrat Casanova, die nichtssagender, wenn auch geschmackvoller Zeitlosigkeit den Vorzug gibt) und Bühnenbild (ein ratlos machendes Remake von Wieland Wagners Neu-Bayreuth-Stil: David Regehr) kommen nicht über wohlmeinende Einfallslosigkeit hinaus. Die Dramaturgie produziert Klischeeposen am laufenden Opern-Band. Da werden Hände gerungen, Arme gestreckt, wird auf Knien um Vergebung gebettelt. Im Übrigen nimmt Herr Wenders Bizets lockeren Geniestreich schwerer, als er ist. Ihr deutschen Filmleute, warum missgönnt die Opern-Muse euch das Musiktheaterglück?

Hat die Inszenierung also viel Blei und – mit Verlaub – viel trockene Altherrenhaftigkeit im Schuh, bietet die Perlenfischer-Premiere in der Staatsoper wenigstens sängerisch französische Leichtigkeit.

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Kopf an Kopf, Herz an Herz: Nadir und Leïla / Foto: Donata Wenders

Denn Olga Peretyatko verfügt als Brahmanin Leïla über den mühelosen Perlmuttschimmer, über Nuancen und Farben, und das bei durchaus prekärer Stimmfülle, besitzt sie doch eher ein Preziosen-Stimmerl als einen Sopran von ozeanischen Dimensionen. Als Südsee-Priesterin ist die Russin eine Sängerin des Wohllauts, keine des Leids, der feingezogenen Linie, nicht des Ausdrucks. Nur Peretyatkos Triller sind schlecht (trocken und mühevoll in „Oh Dieu Brahma“), die Agilität ist ordentlich. Francesco Demuro (Nadir) meistert die hoch gelegene Partie mit heller französische Färbung. Der Stimmschmelz der lyrischen Stimme wird mitunter bedrängt vom schmalen Volumen. Unbestreitbar italienisch ist der feste, lyrisch-heroische Ton der Mittellage. In „Je crois entendre encore“ (vom Englischhorn flankiert und von anmutigen Wellen der Celli getragen) wird die hohe Mezza-voce-Stimme mit feinem Legato, bisweilen gewagtem Piano und dynamisch sehr genau geführt. Da bereichert Demuro die poetischen Tenorphrasen mit flackernden Ausdrucksfarben.

Kurz zuvor, im magischen Duett-Hit „Au fond du temple saint“ (nun Flöten-flankiert), hört man neben Francesco Demuro die flexible, frei schwingende Stimme von Gyula Orendt (Zurga), dessen jungem Bariton man staunenden Ohrs zuhört, wie er sich die raum- und rollenfüllende Sonorität Nummer um Nummer erkämpft. Im Priester Nourabad des Wolfgang Schöne kommt etwas teutonisch Bekennerhaftes in den ansonsten ganz auf musikalischen Lyrismus abgestimmten Premierenabend.

Dass er im Leisen schwelgt, ist den lyrisch veranlagten Sängern verpflichtet. Dass Daniel Barenboim langsam spielen lässt, war in dieser Saison schon in Fidelio und Parsifal zu hören. So viel Sensibilitäts-Furor war aber noch nie. Der sinnliche Zauber der Perlenfischer scheint Barenboim nur im Flüstern zugänglich, das Geheimnis der musikalischen Sprache nur im stockenden Phrasieren des Orchesters offenbar. Das Weben der Naturkräfte ertönt so als atmosphärisches Geheimnis, was immer wieder zu Gehör gebracht wird im knappen, treffenden Glanz des Kolorits (vollmundige Hörner, Piccolo, Tamburin, leichtes Holz): So lädt die Staatskapelle Berlin die drei kurzen Akte mit üppigen Klangfarbenakzenten auf. Die kurzweiligen, heiklen Chor-Tableaus singt der Staatsopernchor lebhaft, doch anfangs nicht immer synchron.

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Die Dame mit dem Perlen-Collier: Die Perlenfischer an der Staatsoper Berlin / Foto: Donata Wenders

Fazit: viel leere Opern-Luft bei Wim Wenders, musikalisch indes eine runde Sache mit betont lyrischen und jungen Stimmen und einer flauschig gestimmten Staatskapelle.