
Die Frau ohne Schatten ist das sperrigste Opernkind aus der Künstlerehe Strauss-Hofmannsthal.
Hier Kritik der Vorstellung vom September 2018 mit Simone Young lesen!
Was ist die Frau ohne Schatten nicht alles? Die Fruchtbarkeitsfestoper schlechthin. Saure Eheüberhöhungsoper. Hehres Paartherapieweihfestspiel.
Ja, die Frau ohne Schatten (Uraufführung 1919) ist von allegorischem Humbug überladen, die Handlung zäh wie kalter Honig.
Und doch liegt falsch, wer diese oft geschmähte, selten geliebte Opernzumutung nicht liebt. Vom Duo Strauss-Hofmannsthal selbst stets als Haupt- und Lieblingswerk angesehen, steht dieser Eheglücksmumpitz doch mit beiden Beinen fest in der europäischen Operntradition (Zauberflöte!) – und zuallererst auch in Strauss‘ eigener: in der „Frosch“ rumoren Rosenkavalier und Elektra, Alpensymphonie und Till Eulenspiegel.
Die Inszenierung von Claus Guth liest das Werk als Traumspiel.
Der Zuschauer sieht blendend schön anzusehende Räume (Christian Schmidt), die vage in die Entstehungszeit der Oper fallen. Zugleich ist die dezente Zeitlosigkeit von Handlung, Personen und Kostümen der geeignete Hintergrund, vor dem sich der Symbolismus der Inszenierung entfaltet. Das übergroße Fenster symbolisiert Freiheit. Schauspieler mit Tierköpfen bevölkern die Bühne: die Antilope mit weichgeschwungenem Gehörn, der den Kaiser begleitende Falke, der Hammel mit ehrfurchterregendem Geweih.
Die Kaiserin liegt fieberkrank darnieder. Dämonische Engel umschwirren sie, Steiff-Tier-süß bekopfte Antilopen repräsentieren die ungeborenen Kinder. Große Oper als Gruselzoo – und als angstvolle Fieberphantasie einer Ehefrau.

Das funktioniert, das öffnet die Tiefenschichten von Strauss‘ Oper, ohne doch ihr Märchenhaftes zu diskreditieren. Guth spürt in klar-verrätselten Bildern dem Geheimnis der Frau ohne Schatten nach, ohne doch deren Komplexität zu negieren.
Die Sänger singen extrem Forderndes.
Camilla Nylund erlebt als depressive Kaiserin einen großen Abend. Mal antilopenköpfig, mal herb rezitierend, agiert sie berührend klug, warm im Ausdruck, mit aufblühender Höhe, das hohe D der ersten Arie schimmert. Es ist Nylunds Rollendebüt, und ein gelungenes. Burkhard Fritz gibt dem Kaiser – eine typische Tenorpartie des späteren Strauss, weil sauschwierig und undankbar – durch genaue Textdeutung menschliches Format, verzichtet klug auf stählernes Tenororgeln.
Das Ehepaar der menschlichen Sphäre verkörpern Wolfgang Koch und Iréne Theorin. Koch singt den Barak, den gutmütigen Dulder, mit eichenknorrigem Bariton und menschlich-männlichem Herzlichkeitston. Darüber hinaus ist Kochs Deklamation minutiös und singgerecht, wie man überhaupt sagen muss, dass sämtliche Sänger wohltuend wortverständlich agieren. An Kochs Seite stellt Iréne Theorin die gebärverhinderte Färberin anrührend und konsequent auf die Bühne, mit tragfähigem Sopran, der sich einem keinesfalls unstatthaftem Brünnhildenton ebenso hingeben kann, wie er glaubwürdig klingt beim Reue-Piano des dritten Akts.

Beim Wiederhören des mächtigen Werks erinnert man sich, dass die Biederkeit des Barak störender wirken kann als die hochstehende Kaiserwelt, die Chöre der ungeborenen Kinder lastvoller auf die Geduld des Hörers einwirken können als die mit Blechadrenalin und Streicherecstasy vollgepumpten Kraft- und Saftstellen von Strauss‚ genialer Musik.
Michaela Schuster gibt blut- und gestenvoll eine angemessen boshafte Amme.
Evelin Novak singt den Hüter der Schwelle des Tempels, Narine Yeghiyan die Stimme des Falken, Roman Trekel den wunderbar autoritären Geisterboten, Anja Schlosser schön klangvoll die Stimme von oben. Die Brüder Baraks singen Karl-Michael Ebner (der Bucklige), Alfredo Daza (der Einäugige), Grigory Shkarupa (der Einarmige).
Guths Inszenierung ist keine Neuproduktion für Berlin. 2012 hatte die Inszenierung an der Scala Premiere, 2014 an Covent Garden. Die Staatsoper holt mit dieser Strauss-Produktion eine ähnlich faszinierende Regiearbeit nach Berlin wie schon anlässlich Claus Guths Don Giovanni geschehen, der von Salzburg nach Berlin kam. In London dirigierte Semyon Bychkov, in Berlin steht Zubin Mehta am Pult.
Mehta, seines Zeichens 80 Jahre, entlockt der Staatskapelle Berlin einen üppig strömenden Klang, kurvensüchtig schwelgerisch, cremigblühend, alpensymphonisch suggestiv, ausbalanciert zwischen Klarheit und Nuancenreichtum. Das gelingt Mehta so souverän, wie man das von einem altersweisen Feldherrn auf dem Feld der Klangschlachten nur erwarten kann. Und, nach dem gestrigen Parsifal, erneut ein großer Abend der Staatskapelle Berlin.
Bravo-Rufe für die Sänger, für das Orchester und Zubin Mehta. Freundlicher Applaus für den Regisseur Claus Guth.
Weitere Premierenkritiken zu Claus Guths Frau ohne Schatten im Berliner Schillertheater:
„Wucht und Wonne auf der Psychocouch“ (rbb-online.de)
Donnerwetter, Parsifal und Frosch an einem Wochenende. Da zieh ich nicht nur vor der Staatskapelle den Hut, sondern auch vor Hörern wie Ihnen.
Und das Ding sprengt nicht das arme, kleine Schillertheater?
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Von außen sah das Schillertheater am Sonntagabend zumindest noch heile aus. Aber einen Ring durchsitzen ist auch nicht einfach, und sei es auch in den gemütlichen Sesseln der DO. Und zumindest hat der Parsifal dem Ring voraus, dass Wagner in ersterem besser dichtet (auch wenn der Ring natürlich hübsche Stellen im Libretto hat).
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Über die Libretti mag man ja diskutieren, ich mag Ring wie Parsifal. Aber dass die Sitze der DO gemütlich wären, muss ich entschieden zurückweisen. Außerdem hatte ich vier Abende lang gewissermaßen Fafner und Fasolt direkt vor mir.
Gut, wenn das Schillertheater noch steht, es wird ja wohl über den 3.10. hinaus benötigt, wer weiß wie lange …
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Na ja, im TSP sieht die Kritik heute ganz anders aus, und entspricht dem, was mir Freunde, die drin waren, genauso schilderten. Besondere Zustimmung von denen auch zu Amlings Schlusssatz.
Ich würde gerne wieder mal eine Frau ohne Schatten erleben, aber nicht in einem kleinen Haus, wie diesem. Die Harms Inszenierung würde ich auch noch in Kauf nehmen. Denn die Vorgängerinszenierung mit den Besetzungen wird es wohl nie wieder geben.
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Meiner Frau und mir hat die Inszenierung nicht gefallen. Die Regie von Guth war alles in allem sehr beliebig. Ein paar gut ausgewählte Bilder zu präsentieren reicht nun einmal nicht, um den Kosmos dieser Oper zu ergründen. Ich hatte phasenweise den Eindruck die Oper „Der Guth ohne Strauss“ statt „Die Frau ohne Schatten“ zu hören, so sehr drängte sich der Regisseur in den Vordergrund. Dass dabei stets gerne auf die psychoanalytische Tiefe verwiesen wird, macht die Sache nicht besser. Die Personenführung war obendrein rudimentär.
Vielleicht hätte man doch eine eigene Produktion wagen können, statt eine internationale teuer einzukaufen?
Der Star des Abends war allerdings ohne Zweifel die Staatskapelle mit Maestro Mehta am Pult. Dem Altmeister liegt Strauss ohne Zweifel am Herzen. Das war ganz großes Kino, spannend und enorm lebendig bis zum letzten Takt und das will was heißen bei einer reinen Spieldauer von über dreieinhalb Stunden.
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Besten Dank für Ihren Kommentar. Stimme mit Ihnen in punkto Mehta überein. Es ist ja gut, dass es unterschiedliche Meinungen gibt. Dazu sind Inszenierungen ja auch da.
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„Vielleicht hätte man doch eine eigene Produktion wagen können, statt eine internationale teuer einzukaufen?“
Ist das Einkaufen nicht viel günstiger als selbst zu produzieren? Warum sollte man das sonst tun?
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Wie schön, dass in Berlin wieder die Frau ohne Schatten zu sehen ist. Denn leider wird dieses geheimnisvolle Stück nie Repertoire werden. Ich erinnere mich noch lebhaft an die Produktion von Kirsten Harms an der DO.
Vergleicht man beide Produktionen, ist die auf ganzer Linie geglückte Inszenierung im Schillertheater eindeutig vorzuziehen. So sicher und souverän deutet Guth das Riesenwerk, dass Überdruss an der Länge, an der relativ vielteiligen Handlung erst gar nicht aufkommt. Die Deutung der Kaiserin mit ihrem Antilopenkopf berührte mich unendlich. Die Partitur gehört zu den schönsten, die es gibt, einen solchen Reichtum an Farben gibt es kaum ein zweites Mal.
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Die Gründe für die fehlende Repertoirewürdigkeit der Oper liegen ja leider auch auf der Hand. :-)
Die kenne ich dummerweise nicht, die Harms-Inszenierung. Schaut dunkel aus auf dem Video.
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Das Publikum am ersten Festtage Wochenede war erstaunlich international (Wiener Ph. Parsifal, FroSch). Allerdings konnte man vorgestern bei Anne Sophie Mutter und gestern bei Lupu wieder viele Berliner und deutschsprachige Berlin Besucher sehen.
Die Sängerleistungen fand ich durchweg exzellent. Noch dazu die herrliche Inszenierung von Claus Guth, die uns fasziniert und bewegt hat. So menschlich habe ich die FroSch noch selten gesehen.
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Stop-Saison 17-18 kommt übrigens erst Anfang Juni raus.
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