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Anne Sophie Mutter Beethoven Violinkonzert Philharmonie Berlin

Gottogott!

Ein Festtagekonzert der Schwergewichtsklasse, was Länge und Niveau der Stücke angeht. Das ist das Programm: Takemitsus immerhin mittelkurzes Nostalghia, Beethovens Violinkonzert (48 Minuten!), Debussys magistrales Meta-Stück La Mer, Bergs epochale Drei Orchesterstücke.

Ein Abend am allerobersten Qualitätslimit, was die Partituren angeht. Höher geht nicht, außer vielleicht bei Takemitsu. „Nostalghia“ (Uraufführung 1987) hätte zwei Minuten kürzer sein können.

Das Stück des Abends ist das Beethovenviolinkonzert. Deswegen reisen Konzertbesucher aus jenem gleich hinter Spandau gelegenen Berliner Vorort namens Hamburg an. Die Staatskapelle spielt Beethoven kraft- und gefühlvoll, mit seelenvoll himmelnden Streichern. Hochklassig finde ich die Staatskapelle Berlin erst im langsamen Satz.

Anne-Sophie Mutter spielt schauderhaft schön. Besonders in der Durchführung (also ungefähr von da, wo heute das Handy klingelt, bis zum nächsten Tutti-Fortissimo des Hauptgedankens). Mutter spielt da klassisch, weil objektiv und klar. Reden wir über diese „Dreiklangs- und Akkordbrechungen, Tonumspielungen, chromatisch-ansteigende(n) Sequenzketten“ (Chr. H. Mahling), aus denen die Solo-Überleitung zur Durchführung und diese selbst größtenteils besteht. Wie Mutter ihren Ton dabei bis in die verborgenste Schwingung ihres Vibratos hinein moduliert, wie sie ihre Tempomodifikationen setzt (anders, weil zu viel für meinen Geschmack zu Beginn der Solo-Exposition; möglich, dass sie erst hineinfinden muss in den Flow des Abends), aber nicht aus solistischer Willkür (Gott bewahre!), sondern um der Schaffung von Sinneinheiten willen, wie ihr das gelingt, das hat die von den Festtagen so gerne reklamierte Superextra-Klasse.

Weniger spannend dann aus unerklärtem Grund die Figurationen der Reprise. So unberechenbar ist Kunst. Auch in der Kadenz (von Kreisler) präsentiert sich Mutter launisch: mit wie aus der Zahnpastatube gequetschten „Paukenmotiv“-Zitaten, mit dem namenlos zarten letzten der Seitengedanken aus der Exposition und mit dem schräg-vibratolosen Hauptthema im Anschluss an die Coda – schön übrigens unmittelbar folgend zweimalig das Fagott Mathias Baiers.

Ein Labsal wieder das romanzenhafte Largehtto, wo Mutter die Perdendosi-Passage – über Pizzicati der Streicher – fast demonstrativ abwesend spielt. Ihr Ton ist unruhig strahlend. Das Finale fällt meines Dafürhaltens nach etwas ab.

Rein technisch ist zu sagen, dass es bei Anne-Sophie Mutter ab und an minimale Unsauberkeiten gibt. Auch eine Mutter ist bei Beethoven nur ein Mensch.

Nach der Pause geht es steil bergab mit dem Easy Listening. Hörer ohne Moderne-Fronterfahrung steigen da schnell aus – oder verlassen den Saal. Als Sättigungsbeilage zu obligaten Klassik präsentiert Barenboim nämlich frühe Moderne, die heuer besonders stachelig klingt. Dazu deutet Daniel Barenboim das Seestück La Mer extra expressionistisch um: Dunkel timbriert schaukeln die Tonwellen, der Schluss kracht prallbrachial wie der von Strauss‘ Elektra. Nicht unähnlich dann die Vorgehensweise in den Drei Orchesterstücken, deren gedrängte polyphone Energien Barenboim nachbrennerartig fokussiert und dann als hochaktive Gammastrahlung in die Philharmonie entlässt. Extrem hörenswert, aber durchaus ungewohnt-gewagt interpretiert.