Gustavo Dudamel und das Orquesta Sinfónica Simón Bolívar beim Musikfest.

Es gibt keinen besseren Anlass, in die Philharmonie zu gehen, als um Olivier Messiaens Turangalîla-Sinfonie (komponiert 1946-48) zu hören. Die Verbindung von Komplexität und emotionaler Exaltation mag reichlich spätromantisch wirken (Messiaen schrieb schon als junger Bursche Werke von haarsträubender Klangsinnlichkeit, als alle Welt am Strawinsky-Fieber darniederlag), der Klang ist aber bis in die Po-Ritze jedes einzelnen Klangpartikels hinein modern. Das Stück ist ein Solitär. Messiaen fielen für „Turangalîla“ Klangschleifen von astraler Schönheit ein. In den „Chant d’Amour“-Sätzen (Nr. 2 und 4) klingt das, als würden die jungen Musiker die Ursuppe der Liebe mit besonders großen Löffeln auslöffeln.

Im Orquesta Sinfónica Simón Bolívar sitzen nicht nur Teens. Das Orchester hat denn auch die „Jugend“ aus seinem Namen getilgt. Man sieht ernste Barträger. Eher gediegene Mittelklasse als Ex-Hardcore-Chávisten. Das venezolanische Super-Orquesta ist immer noch ein wundersam schlagkräftiges Kollektiv, das frischen Klang und viel Temperament entfaltet. Und Dudamel findet den Weg zwischen Spontaneität und Genauigkeit.

Jean-Yves Thibaudet (in Glitzerslippern, aber hallo!) ist am Flügel im stressigen Dauereinsatz und muss seine ganze haarsträubende Grifftechnik aufbieten, um gegenüber den ekstatischen Tollheiten des Orchesters nicht ins Hintertreffen zu geraten. Cynthia Millar bedient die Ondes Martenot, die Sci-Fi-Sound erzeugen, aber beileibe kein sexy Instrument sind. Ich persönlich bin der Meinung, dass man die Turangalîla-Sinfonie in 100 Jahren ohne Ondes Martenot spielen wird.

Zuvor die lebhaften, doch nicht ganz so präzisen Bachianas Brasileiras (Nr. 2) von Heitor Villa-Lobos aus dem Jahre 1930. Hier leitet Gustavo Dudamel energisch und elastisch.

Dudamel bewahrt sich das spezifisch Jungenhafte seiner Ausstrahlung, trotz ersten Anzeichens von Grauhaar inmitten seiner Lockenpracht. Dudamels Dirigierstab wippt so hypnotisch präzise wie eh und je.

Kritik Musikfest DSO Ligeti Olga Neuwirth  |  Kritik Musikfest Ligeti Varèse