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Die Berliner Philharmoniker spielen im Rahmen des Musikfests Berlin Werke von John Adams. Der Komponist dirigiert.
John Adams ist bekannt für die Liebe zu drei Dingen: für die Liebe zur Minimal Music, zum Eklektizismus und zur Tonalität.
Dafür nimmt Adams manch spöttische Kritik in Kauf.
John Adams‘ Harmonielehre, komponiert 1985, beginnt in ironiefreiem e-Moll. Harmonielehre ist auf melancholische Art theatralisch. Steckt hinter den allgegenwärtigen Pattern der Minimal Music nicht der Anspruch, die Leute glücklich zu machen? Ein Hauch Esoterik hat noch keiner Musik geschadet. Und doch stehen die Strukturen aus ständig sich transformierenden, repetitiven Kleinstmotiven für mehr als für psychedelisches Easy Listening. Sie geben der Musik einen frischen Puls. Die drei Sätze von Harmonielehre werden von einer zugrundeliegenden Kraft angeschoben.
Die Berliner Philharmoniker schnurren effektiv und dezent wie eine Nähmaschine, berappeln sich aber bei Bedarf und spielen herzzerreißende Streicherbögen.
Vier Jahre ist es her, seit John Adams seine kurzweilige Oper Nixon in China mit dem BBC Symphony Orchestra aufführte – auch damals im Rahmen des Musikfests Berlin.
Das viersätzige Scheherazade.2 wird 2014/15 komponiert. Ich weiß nicht, ob Scheherazade.2 ein Fortschritt gegenüber dem 20 Jahre älteren Harmonielehre ist. Ja, das Spiel mit den repetitiven Patterns ist subtiler. Das Ohr ist geneigter, jedes „Modul“ für sich zu hören. Gleichzeitig geriert sich Adams mehr denn ja als Klassiker. Scheherazade.2 folgt dem symphonischen Schema: rasche Ecksätze, langsamer zweiter, Scherzo-artiger dritter Satz.
Einige Dinge stören. Der zweite Satz operiert, nun ja, am Rande des Kitsches. Müssen die orientalisierenden Einsprengsel des Zymbal sein? Und klingt das wohlmeinende (feministische) Programm dieser „dramatischen Sinfonie“ nicht so was von besserwisserisch? Und die Schönheit der weiträumigen Crescendo-Entwicklung zu Beginn des Finales entschließt sich mir nicht. Schlussendlich mag man sich fragen, ob ein Violinspiel, dass technisch à peu près dem Stand von 1930 entspricht, wirklich der Weisheit letzter Schluss für ein Werk Anno 2015 ist.
Leila Josefowicz spielt mit großer Identifikation. Sie ist die Uraufführungssolistin und stellt das Stück überall auf der Welt vor. Ihr Geigenton ist reich und leuchtend. Ihre Verve unterstreicht indes meine Zweifel an dem Werk. Denn ob Scheherazade.2 auch eine objektivierende Lesart eines anderen Solisten verträgt, wird sich erst erweisen müssen.
Das Publikum spendet Adams, Josefowicz und den Berliner Philharmonikern gerne Beifall.
Kritik der Uraufführung von John Adams’s Scheherazade.2 mit Leila Josefowicz: „John Adams Unveils Scheherazade.2“ (nytimes.com)
Musikfest DSO Jakub Hrůša | Musikfest Junge Deutsche Philharmonie Ligeti
Josefowicz playing „Scheherazade.2“ makes the hair stand up on the back of my neck
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Wie ich sehe, hatten wir anscheinend nicht unähnliche Eindrücke von diesem Konzert. Sie haben sie natürlich wieder prägnanter aufgeschrieben als ich.
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Pingback: 15.9.2016 – Veränderlich: John Adams bei den Berliner Philharmonikern – hundert11 – Konzertgänger in Berlin