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Philharmonie Berlin Festtage: Staatskapelle steht, Jonas Kaufmann freut sich, Daniel Barenboim klatscht / Foto: twitter.com/StaatsoperBLN
Festtage 2016 der Staatsoper Berlin.
Lieder eines fahrenden Gesellen, Jonas Kaufmann.
Die Lieder sind Volkslied und Kunstlied zugleich.
Am besten gelingt gleich „Wenn mein Schatz Hochzeit macht“. Das Lied ist charakterisiert durch seine expressiv gedehnte Langsamkeit. Hervorragend ist Kaufmanns deklamatorische Sorgfalt. Im Vibrieren der Stimme verdichtet sich Textsinn. Natürlich kann man das mehr auf Linie getrimmt singen. Aber wie Kaufmann eine Zeile wie „Hab‘ ich meinen traurigen Tag“ durch Akzente, Dynamikstufungen, Timbrewechsel und Agogik erst vielfach bereichert, um sie dann mit Hilfe der Klangkontinuität seiner Stimme und Phrasierung zu einer Einheit zusammenzufassen und so schlussendlich übervoll mit Bedeutung anzufüllen, das ist aller Sängerehren wert. Gleiches gilt für die Zeile „Alles Singen ist nun aus“. Noch extremer (noch besser) ist die Zeile „Denk ich an mein Leide!“, mit dem nachgeschobenen „ch“, mit dem zeitlupigen Auf- und Ab auf der vorletzten Silbe. Natürlich kann einem das Rallentando-Zerfasern manieriert vorkommen. Auch das Crescendo der letzten Zeile „An mein Leide!“ kann zu viel des Guten sein. Aber welch eindrucksvolle Liedkunst ist das. Wie geht das unter die Haut.
Man kann viel falsch machen bei Mahler: Bedeutungshuberei, Betroffenheitssalbaderei, Halbstimmenfistelei, um nur einige der häufigeren Missgriffe zu nennen. Einiges davon kann man womöglich in den beiden folgenden Liedern „Ging heute Morgen“ und „Ich hab‘ ein glühend Messer“ häufiger finden. Besonders für Elemente einer putzigen Subjektivität wie „Ei du, gelt?“ und „O weh!“ hegt Kaufmann eine nicht unproblematische Liebe.
Ich sehe Kaufmanns Leistungen im italienischen Fach, insbesondere als jugendlich-dramatischer Tenor, kritisch. Und seine Auftritte bei den einschlägigen Open-Air-Veranstaltungen sind für mich nur mit Petersilie im Ohr zu genießen. Einige der Unarten, die Jonas Kaufmann auf der Opernbühne zeigt – inflationärer Gebrauch der Halbstimme, unidiomatisches Pathos, unverblendete Registerunterschiede -, pulverisiert Kaufmann im Liedrepertoire durch fanatische Genauigkeit und Eindringlichkeit der Interpretation.

Jonas Kaufmann Lieder eines fahrenden Gesellen Berlin Philharmonie 2016 / Foto: instagram.com/staatsoperberlin
Das vierte Lied, „Die zwei blauen Augen“, ist wieder beispielhaft. Expressive Langsamkeit, die mit einem sexy Helldunkel aufgeladene Halbstimme, das bedeutungsvolle Stocken des Wort-Ton-Gesangs – besonders exemplarisch gelingt das in der Zeile „Da musst ich Abschied nehmen vom allerliebsten Platz!„, in die, wenn ich mich recht erinnere, sowohl die Andeutung einer Art Lohengrin-Gralserzählung-Metall (auf „nehmen“) passt wie auch die suggestive Abschattierung auf „Platz“.
Barenboim dirigiert, wo nötig, mit lodernder Lebhaftigkeit, und, wo hinreichend, mit nicht endender Geduld.
Die Zugabe Jonas Kaufmanns: Mahlers „Ich bin der Welt abhandengekommen“ aus den Rückertliedern. Zu langsam. Hier schien mir das Gleichgewicht aus großem Ganzem und Detailversessenheit zuungunsten ersterem hörbar nicht gewahrt.
Elgars Sinfonie Nr. 1: Themen wie eine Dommesse. Oder eine Ostkurve.
Die Sinfonie dauert lang genug, um zwischendurch Zeit für allerlei Beobachtungen zu lassen. Etwa zur Genese von Elgars Stil. Es gibt Durchführungen von kontrapunktischer Hektik, wie man sie in Brahmsstreichquartetten findet (Finale). Ich höre eine Klarinettenepisode wie ein Zitat aus Meistersinger (Adagio). Die lärmende Unverblümtheit mancher thematischer Zuspitzungen (Scherzo, Thema; Finale Hauptthema) kann man sowohl Strauss als auch Tschaikowsky (oder zumindest Dvorak) in die Schuhe schieben. Die Formidee einer langsamen Einleitung für beide Ecksätze riecht doch stark nach Bruckner 5. Aber dennoch ist das Ganze eine Riesengaudi. Im repräsentativen Pomp des Finales gibt Elgar Eigenstes. Ja, Elgars Themen sind geradezu mega-ben trovati. Unvergleichlich bringt sich der zauberhafte melodische Charme des zweiten Scherzothemas zur Geltung.
Barenboim befeuert als unermüdlicher Hephaistos. Es ist ein Übermaß an leuchtendem, aufblühendem Klang in dieser Staatskapelle, Balance und Durchsichtigkeit des Klangs werden bewusst hintangestellt. Der Abend ist reich an dynamischen wie expressiven Extravaganzen. Das Orchester badet in Schattierungen des Ausdrucks.
Fazit: Es gibt keinen betörenderen Mahler-Exegeten als Jonas Kaufmann und keinen luxuriöseren Elgar-Exegeten als Barenboim.
Hab mich zuerst gefragt, was eine „Dommesse“ ist, dachte einen Moment an eine besonders feine Art von Domina, dann hab ich begriffen.
Schöner Bericht, gleich hätte man das Konzert gern gehört.
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Es gibt einfach Beziehungen zwischen der katholischen Kirche und dem horizontalen Gewerbe, auf die kommt man nur durch Zufall. Die besonders feine Art wäre dann wohl die Domiesse oder Dominesse, wobei domi esse weder für Messe noch für Domina der übliche Ort wären, und übrigens auch nicht für den Konzertkritiker. Aber das führt dann wohl zu weit.
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Aha. Ihnen ist klar, dass Sie der einzige Berliner Kritiker sind, der voll und ganz auf Elgar steht? Das würde mir zu denken geben. Im Übrigen dürfte Elgar wenig bis gar nichts von Bruckner gekannt haben. Obwohl das Adagio bemerkenswerte Bruckner-Anklänge hat. Aber auch Nielsen und Schostakowitsch können verdammt nach Bruckner klingen, ohne dass man den beiden eine Nähe zu AB unterstellen dürfte. Es muss an der inneren Bereitschaft zum Pathos liegen, für das Bruckner einen sechsten Sinn besaß. Vergleichbares fehlt ja bei Prokofiev etc.
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Mein Weg zu Elgar war steinig:
Violinsonate (Nigel Kennedy), Violinkonzert (BPO, Shaham), Cellokonzert (BPO, Weilerstein), Sinfonie 2 (BPO, Petrenko), Dream of Gerontius (BPO, Barenboim), Sinfonie 1 (BPO, Runnicles), Sinfonie 2 (Staatskapelle, Barenboim), Falstaff (BPO, Barenboim), Sinfonie 2 (Staatskapelle, Barenboim). Nach Kennedy war ich gepflegt gelangweilt, nach Shaham ehrlich interessiert, nach Weilerstein energisch interessiert, nach Gerontius panisch überfordert, nach Runnicles wieder auf gutem Weg, nach der zweiten Zweiten durch Barenboim nachhaltig begeistert. Ich getraue mir kaum nachzulesen, welche Unhöflichkeiten ich damals über den tapferen Elgar ausgegossen habe. Man lernt nie aus.
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Jonas Kaufmann war großartig. Jede Faser seiner Stimme dient dem Ausdruck.
Schade, dass Sie auch zu den Kritikern gehören, die Kaufmann bei Verdi und Puccini am zeug flicken.
Was macht Barenboim im zweiten Satz Elgar? Ich habe es nicht genau gesehn – dreht er sich beim Dirigieren ins Publikum und schaut über die Schulter nach Block A?
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Ja, schien mir auch so, dass Daniel Barenboim sich umdreht. Während des Applauses hat er auch ins Publikum genau in A links gezeigt.
LG Anja
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Das beste an Kaufmann Konzerten sind doch die Kaufmann-Groupies. Gestern war sogar eine dabei die weit unter 60 war. Schickes rotes Kleid btw.
Saß G und habe stellenweise nur annähernd gehört, was JK singt. Wie mag das in K gewesen sein? Hatte den Eindruck dass jedes Bläsersolo die auffallend leise geführte Stimme sofort verdecken könnte.
Ich gebe zu dass Kaufmann sich um eine authentische Wiedergabe bemühte. Jonas lässt als Alvaro oder des Grieux manche Wünsche hinsichtlich Artikulation und Phrasierung offen. Seine harschen Ausdruckseffekte sind beleibe nicht jedermanns Sache. Doch mit den Mahler Liedern gelingt ihm ein faszinierendes Spiel beim Einsatz von Kopf- und Vollstimme – Der blökende heroische und schlecht geformte Ton fehlte beim Festtage Konzert weitgehend – eine Wohltat. Ausnahme: das auf Imponieren berechnete „ich läg auf der Schwarzen Bahr“ in Nummer 3, wo Kaufmanns Temperament den Sieg über stilistisches Finish davonträgt.
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Fabulous Jonas loved Elgar
great Festtage concert
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Top Konzert. Elgar ging durch die Decke, tadellos. Und heute Yo-Yo Ma, übermorgen 2. Teil Elgar, und am Karfreitag der geile Tcherniakov Parsifal. Lecker. Barenboim ist der Größte. Geniaaal.
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