Elektra ist Krach, Steinzeit-Gefühl, Krawall, Hysterie. Die Gewaltphantasien, die die Hauptperson dieser Oper entwickelt, haben ISIS-reife Dimensionen.
Die Inszenierung von Herbert Wernicke aus dem Jahre 1997 will dem entgegensteuern. Sie will kanalisieren, nicht befördern. Indes, sie leidet an einer gipsernen Stoffeligkeit. Sie erstickt. Sie setzt nicht frei. Das Auge sieht statt Anregendem bleierne Statik, dass Gehirn findet statt Aufregendem Einheitsbrei.
Ricarda Merbeth (Chrysothemis) läuft in weißem Gewand wie ein Kara Ben Nemsi über die Bühne. Elektra verbringt geschlagene 1:50 Stunden

Spielzeit auf einem drei Mal drei Meter großen Holzkarree, als wär’s das Floß der Medusa. Ich hätte 100 Euro darauf wetten können, dass Elektra die herumstreunende Klytämnestra mit einem unhöflichen Tritt auf deren Mantelschleppe abrupt zum Stehen bringt. Und so passiert’s auch. Ja mei. Das Bühnenbild, ein leerer, bühnenhoher Raum, der meist von einer um ihre Diagonalachse rotierenden Wand verdeckt wird, ist ein netter Einfall. Ja, nicht schlecht. Dass die Herren Jetztzeit tragen, die Damen Antike, ja und?
Wenn anlässlich der Wiederaufnahme wenigstens der Hausdramaturg mit dem singenden Personal anregender gearbeitet hätte. Wernicke wollte Ruhe reinbringen und die Musik den Job machen lassen. Doch so hölzern und bierernst kann er es auch nicht gemeint haben. Oder doch?
Schön, dass sängerisch heute Abend einiges zu holen war.
Iréne Theorin ist Elektra. Theorins Sopran genügt den hochdramatischen Anforderungen der Partie, berührt auch in den lyrischen Passagen. Ihr Ton ist fokussiert, ihr Sopran leuchtet, wenn auch nicht allzu farbreich. Das für eine Elektra nicht allzu starke Vibrato steigert die Markanz der Stimme. Schon ihr Agenturfoto auf https://www.staatsoper.de/biographien/detail-seite/theorin-irene.html lässt rein optisch darauf schließen, dass diese Frau nicht dazu geboren wurde, um Zerbinetta zu singen.
Ricarda Merbeth ist eine anrührende Chrysothemis, deren leuchtender, schlanker Sopran weder durch Theorins phonstarkes Organ noch durch die Lautstärke des Orchesters verdeckt wird.
Waltraud Meier ist eine wortgenaue Klytämnestra, die sich einen aufregenden Schlagabtausch mit Elektra und ausdrucksstarke Spitzentöne gönnt.
Ansprechend sind die fünf Mägde besetzt. Angela Brower, Heike Grötzinger, Hanna-Elisabeth Müller (mit herzzerreißenden Sopranbögen), Eri Nakamura und Okka von der Damerau singen die einleitende Mägdeszene genau und leidenschaftlich.
Günther Groissböck füllt die Rolle des Orest formidabel aus. Wie Groissbröck phrasiert, bindet immer, wie Groissbröck singt, nämlich mit voluminösem, wolligem und klangreichem Bass, ein. Er scheint immer noch besser zu werden.
Asher Fisch dirigiert das Bayerische Staatsorchester straff und energisch. Doch im Laufe des Abends vermisse ich analytische Schärfe. Fisch optiert für Dynamik und Klangtotoale, nicht für die überreiche Komplexität der Partitur. So bleibt der dissonante Krawall. Was zu kurz kommt, ist die herrliche Präzision der Musik. So bekommen die Elektra-Zonen schnell mal die Aggressivität eines Dobermanns.
Straussens Musik ist immer noch eine seiner problematischsten. Das liegt zum wenigsten an der notorischen Wortunverständlichkeit. Elektra ist ein einziges hysterisches Rezitativ. Schon die Konversation der Mägdeszene befindet sich auf einem Erregungsniveau, bei dem selbst Wagners Isolde mitunter wie ein Relikt aus dem gemütlichen Dampfmaschinen-Zeitalter wirkt. Die haarsträubende Plastizität der Musik verlangt dem Hörer einiges ab. So klingt Musik aus dem Zeitalter der totalen Elektrifizierung. Und als vernünftiger Mensch fragt man sich, ob das Non plus Ultra des ungefilterten Ausdrucks, dieser permanente psychische Kubismus, nicht zu einer Stilisierung des Exzesses führt.
Was mich aber nicht daran hindert, Elektra nächste Woche noch einmal anzuhören.