Hagen bezirzt Gutrune // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de
Hagen bezirzt Gutrune vor Menschenteilen in Vollverglasung // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Premiere im Schillertheater.

Guy Cassirers Inszenierung beschwört die mythische Dimension des Rings. Videos bieten verrätselt-suggestive Bebilderung. Brünnhilde lagert auf gestuftem Bauhaus-Felsen. In Glaskästen in Pergamonmuseums- bzw. Ikea-Optik wurden Teile toter Mitmenschen eingeglast und liebevoll ausgeleuchtet. Hagen und Gunther kleiden sich im fiesen Junkerstil Anno 1914, mit Lederleibchen und Hosenträgern.

Einigen wir uns darauf, dass Cassirers Götterdämmerung kein großer Wurf ist. Hat auch niemand erwartet. Vielleicht ist sie auch gar kein Wurf. Aber ganz so schwarz wie der Regen aus Buhs, der auf das Regieteam am Schluss niederprasselt, es vermuten lässt, wars wohl nicht.

Ian Storey: Eine Mischung aus Hell’s Angel und Tarzan. Storey hatte ich als unspektakulären Tristan in Erinnerung. Er gefiel mir heute Abend als Siegfried sehr gut. Metallische Höhe, kann auch leise, glaubhaftes Rollenporträt, hat kaum Probleme – was will man mehr?

Gerd Grochowski: Gunther. Steiniges, körniges Timbre. Ein souverän neurosebelasteter Junker in Hosenträgern. Expressive Artikulation. Sein vibrierendes Forte ist sehr gut.

Iréne Theorin: Besser als ihre Walküren-Brünnhilde im Herbst. Sie dominiert den 2. Akt. Frau Theorin hat einen Sopran wie eine US-Drohne: sie ist am gefährlichsten in großer Höhe. „In meines Gottes Arm“ (3. Szene, 1. Akt) hatte Exuberanz und Pracht, „Zu Hohn und Jammer jagst du mich hin“ Entsetzen und Angst, „Wie Sonne lauter“ Piano-Ergriffenheit. Sie bringt das Monsterfinale gut und am Schluss immer noch sehr anständig zu Ende. Das Dekolleté bietet eine Mischung aus Weite und Enge.

Johannes Martin Kränzle: Alberich ist ein bis zur Unkenntlichkeit verzottelter Alben-Trottel, dem Kränzle seine nervös engagierte und rhetorisch genaue Kunst leiht.

Marina Poplavskaya: Gutrune. Ein mitunter ungelenk flammender oder besser gesagt ungelenk ausbrechender, doch klangüppiger, leuchtender Sopran. Die vermaledeite Aussprache dieses vermaledeiten Wagner-Deutschs macht ihr zu schaffen.

Marina Prudenskaja: Fuchtelt als Waltraute ziemlich viel herum. Gaumiges Timbre, zu laut, kantig phrasiert, kalter Stimmklang. Eine Enttäuschung.

Mikhail Petrenko: Ein schneidiger, fast höflicher Hüne, ein Fachmann für fiese Komplotte, der ohne allzu große Rüdheiten auskommt. Weniger rabenscharz als markant röhrender Bass. „Hier sitz‘ ich zur Wacht“ gelingt überreich dynamisch ausdifferenziert. Sein Hunding klang besser.

Das Rheintöchtergeschwader (Aga Mikolaj, Maria Gortsevskaya, Anna Lapkovskaja) outet sich als stimmstarkes Damentrio im Vintage-Stil.

Iréne Theorin und Marina Prudenskaja beim Pläuschchen // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de
Iréne Theorin und Marina Prudenskaja beim vertraulichen Pläuschchen // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Staatskapelle: Ein lang ausgezogenes Legato und ein leiser Lyrismus, den Barenboim aus der Partitur herausblühen lässt, geben dem Premierenabend die atmende Wärme. Überhaupt das Singen des Orchesters und der schwere, sinnliche Klangstrom. Die brachiale Klangwalze des Trauermarschs. Die Musik der Götterdämmerung meidet die melodische Prägnanz von Walküre und Siegfried zugunsten pessimistischer Komplexität und düsterer Durchschlagskraft (Chorszene von Hagens Mannen). Die Staatskapelle und Barenboim schaffen eine großartige Geschlossenheit, so als folgten sie einer geheime Logik der Abläufe. Hört man das irgendwo (auf der Welt, würde ich fast sagen) packender?

Die Bravos/Buhs: vorwiegend Bravos für Ian Storey, vorwiegend Bravos für Marina Prudenskaja (das eine Buh kam von mir), Buhs für Marina Poplavskaya (ungerechtfertigt, kann ich da nur sagen), vorwiegend Buhs für Grochowski (eines der wenigen Bravos von mir), Jubel für Barenboim (ein einziges Buh direkt hinter mir), Heftige Bravos für Iréne Theorin. Ein Monsun von Buhs geht auf das Produktionsteam um Guy Cassiers nieder.

Barenboims Götterdämmerung-Tempo: Vorspiel & 1. Akt 2:01:30 / 2. Akt 1:06 :30 / 3. Akt 1:18

Ehepaar Weizäcker und Köhler im 1. Rang. Schäuble diskutiert mit Flimm.

Kritik/Review Premiere Götterdämmerung Staatsoper Berlin: Orchester meistenteils exzellent, Solisten teilweise sehr gut, Inszenierung teilweise schwach und meistenteils sehr schwach.