
Die höllische Länge des Siegfried wurde durch eine exzellente Besetzung weitgehend erträglich gemacht. Allen voran Alberich Johannes Martin Kränzle und Mime Peter Bronder glänzten.
Peter Bronder: Sein Mime lässt nichts zu wünschen übrig. Bronders Tenor hat prägnanten Klang, Kraft, Beweglichkeit, mimetisches Vermögen.
Johannes Martin Kränzle: kantabler, klangvoller und mächtiger als Bronder. Sehr interessant durch sein kleinteiliges Vibrato. Herrlich die großartige Gespanntheit der Wanderer-Szene zu Beginn des 2. Aktes.
Juha Uusitalo: Uusitalos Wert liegt nicht in exzeptionellen Stimmdetails – die Höhe könnte voller sein, die Mitte metallischer, wenig Farbe in allen Registern, weites Vibrato -, sondern in der Verlässlichkeit und Beständigkeit, mit der die Wanderer-Partie gestaltet. Weniger runder als körniger Klangcharakter der Stimme. Gut: die energische Deklamation. Ein kleiner Stimmsprung im hohen Register im 1. Akt. Ist Juha Uusitalo krank?
Lance Ryan: trockene, schlanke Stimme; trockene Phrasierung, schlanke Gestalt. Mitunter überdeutliche Aussprache, mitunter etwas nervige Forschheit, mitunter ziemlich nerviges Quetsch-Timbre, für die „zarten“ (O-Ton Wagner) Stellen steht Ryan scheints keine Färbung zur Verfügung. Dafür wirft er Mime mit der größten Ausdauer sämtliche Wagnerschen Beleidigungen an den Kopf. Seine scheinbar ermüdungsfreien Stimmreserven sind beeindruckend, manchmal zu beeindruckend. Man versteht, dass Bayreuth ihn sich für 2013 gesichert hat. Schöne Piano-Stellen, z.B. „So starb meine Mutter an mir“.
Iréne Theorin: Gefällt mir sehr gut, trotz und wegen gutturalen Timbres (aber besser ein Timbre als kein Timbre) und trotz nicht in die Linie integrierter Spitzentöne (das finale C). Letzteres erinnerte mich an die wie mit einer Axt vom Rest abgetrennten Eva-Spitzentöne Dorotheas Röschmanns Anno 2008.
Anna Larsson: Larssons Erda – schöne Stimme, schöne Stimmführung, eindringliches Rollenporträt. Kolossal gute Spitzen (As in „Meineid“).
Siegfried beginnt als Malocher-Grisaille und wird nach hinten raus immer strahlend-schöner. Siegfried hat im Vergleich zur Walküre die interessantere Musik. Die rhythmisch schier unendliche Variabilität der Mime-Szenen, schon die Staccato-Bratschen im pp der Einleitung, die gedeckten Farben aus tiefem Blech, tiefem Holz und Pauke sind schlichtweg ein Vergnügen. Das Libretto kann über weite Strecken unter das Dümmste gezählt werden, das Wagner zusammendichtete.
Ich trank in der 1. Pause einen Sekt und in der 2. auch einen und war am Ende des dritten Aktes, als Mitternacht näher und näher kam, nur noch in der Lage, das Geschehen akustisch, aber nicht mehr psychisch zu verfolgen. Neben mir nickte ein Herr im weißen Hemd pausenlos ein.
Guy Cassiers Inszenierung bietet außer luxuriöser Kosmologie-Optik auch heute Abend kaum mehr als nichts. Eine Philharmonikerin hat scheints frei – Haitink dirigiert heute Abend – und hört zu. Daniel Barenboim befeuert glutvoll, die Staatskapelle hält ihr Niveau bis zur letzten Sekunde. Staatskapellen-Tubist Thomas Keller dürfte sich jeden einzelnen Siegfried in seinem Kalender dick angestrichen haben. Keller hat seine Aufgabe meisterhaft gelöst.
Ich empfand die „Regie“ als noch einfaltsloser, die Personenführung als noch schwächer als im Rheingold. Das Turngerüst im ersten Akt hatte offenbar bereits in den Proben den Wotan zu Fall gebracht, da er erkennbar humpelte, im übrigen war Uusitalo für mich der Ausfall des Abends. Für die nächste Aufführung wird er ersetzt. Dass Theorin am nachfolgenden Abend wegen Erkrankung nicht für die Walküre zur Verfügung stand erklärt vermutlich ihr schrillen Töne, die so nicht zu erwarten waren. Mein Favorit (neben dem Orchester!): Kränzles fulminanter Alberich – toll!
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Cassiers Regie ist ein Armutszeugnis, aber mit diesem Siegfried kann ich eventuell leben = wegschauen. Die exzessive Verwendung von Videos in der Walküre war schlichtweg ärgerlich. Ich konnte mich am 4. Oktober nicht die Bohne auf die Musik konzentrieren. Iréne Theorin gefiel mir als Isolde in Bayreuth überhaupt nicht, gestern erlebte ich sie als gar nicht so übel :-) wenngleich sie nicht meine Wunsch-Brünnhilde ist. In der 3. Szene, 3. Akt hatte sie große Momente.
Grüße
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Am 4.10. wurde Theorin durch Catherine Foster ersetzt. Das erklärt vielleicht, warum sie besser klang ;-)
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Terje Stensvold singt am 10. Oktober den Wanderer
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Na, da hat aber nicht nur eine Philharmonikerin bei Haitink gefehlt, in den Philli-Streichern wimmelte es nur so von Substituten, Orchesterakademikern, Aushilfen usw. So klangs dann auch, Dritte Beethoven als groß angelegte Etüde mit zwei verwacktelten Sflotzsch-Akkorden in Es-Dur zum Auftakt…
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Oha, gut, dass ich in Siegfried war. Der arme Haitink, mit so viel Ersatz machts auch kein Spaß…
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So, jetzt hab ichs auch in den Siegfried geschafft, wollte gestern eigentlich zum Barenboim-Protegé Omer Meir Wellber und dessen Mahler Eins, aber da war ausverkauft. Beim Meister selber war noch recht viel zu haben.
Mit Terje Stensvold dürfte man, obiger Kritik von Uusitalo nach zu urteilen, gestern den besseren Wanderer gehört haben. Bekam neben Anna Larsson den größten Schlussapplaus und das zu recht. In jeder Stimmlage ein voller, kerniger, nicht knödelnder, manchmal etwas zurückhaltend-unkontrolliert vibrierender, aber gaz überwiegend sehr ordentlicher Bass. Klasse.
Wagner scheint geahnt zu haben, was er seinen Zuhörern mit Siegfried zumutet. Genau wenn in Akt 3, Szene 3 die Aufmerksamkeit spürbar runtergeht, kommt das Siegfried-Idyll und man ist wieder voll da. Am erschöpftesten war zum Ende hin dennoch das Publikum: nach einem Vorhang war Schluss.
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>>Stensvold
Glaub ich. Ist mir von der Walküre unter Rattle im Mai noch im Ohr. Obwohl ich die z.T. harschen Urteile über Juha Uusitalo nicht nachvollziehen kann. Ja, Uusitalo war klanglich nicht auf gewohnter Höhe, womöglich krank, aber er bewies 1. meiner Meinung das beste Gespür für Barenboims Timing im ganzen Ensemble und strahlte 2. trotz fehlender Klangfülle unbedingte Autorität aus.
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