Strauss‘ Intermezzo inszenierte Tobias Kratzer 2023 mit Hang zu überdrehter Blödelei. In Tobias Kratzers Regiearbeit zu Arabella (Premiere 2022) ist das anders. Arabella ist ruhiger. Ernster.

Zwar stören die penetranten Videos (öde: Jonas Dahl). Doch die Figuren in Strauss‘ Lyrischer Komödie gedeihen, und durchaus nach Maßgabe von Hofmannsthals Libretto-Dichtung. Da ist Arabella, die immer menschlich strahlender wird. Da ist der alte Waldner, dem der Regisseur trotz Spielsucht Würde und Charakter belässt (klasse Pesendorfer). Da ist Mandryka, dessen derbes Rumstänkern nach dem vermeintlichen Treubruch Arabellas das arme Häuflein Mensch erst ermöglicht, das Arabella im Finale dann das Verzeihen erlaubt.

Jeder Akt hat ein eigenes Bühnenbild: die gedoppelten Hotelsalons der 1860er, der schmale Flur vor dem Tanzsaal, die leere Weiß-Bühne.

Die besten sind Thomas Mayer und Albert Pesendorfer.

Doch zuerst kommt einem Thomas J. Mayer indisponiert vor, so matt klingt Mein sind die Wälder. Ich sitze unter den Logen, setze mich in der Pause um, und ab dem 2. Akt klingt Mayer gut. Der leicht abgelebte Mandryka, den Mayer spielt – strähnige Mähne, durchfurchte Miene, beides produziert massig Aura -, findet Entsprechung in dem Mandryka, den Mayer singt: seelisch eindrucksvoll differenziert, überzeugend, was Affekt- und Wortausdeutung angeht. Mayer, dessen metallisch-rauer, doch prima konzentrierter Bariton sich nicht gerade durch harmonisch gerundeten Ton auszeichnet, kommt – doch wohl auch dank Kratzer – einer aufregend modernen Rollenauslegung so nah wir nur möglich. Cremig sopranös entledigt sich Jennifer Davis ihrer Arabella-Aufgabe. Spielen tut sie charmant. Sie singt mit Gefühl. Aber die Spitzentöne klingen laut wie Wagner, die Linien tragen auf, dem Parlando fehlt Feinheit, das Deutsch ist verwaschen. Keine gute Arabella.

Anders liegen die Dinge bei Albert Pesendorfer. Dessen Waldner ist fast ein Schweiger, groß spielt und singt Pesendorfer das, die Bühnenfigur ist voll gebrochener Autorität, zumal der Österreicher das markante Volumen seines Basses mit feiner – grad auch im Poltern – Zurückhaltung einsetzt. Darf er so. Es ist ein Porträt ohne jede Vordergründigkeit. Doris Soffel liefert für ihre Adelaide die Text- und Bühnenpräsenz einer Klytämnestra, freilich sind Material und Timbre schon lange nicht mehr jugendfrei. Kommt das „niedere Paar“ Zdenko-Matteo. Beide gefallen weniger. Heidi Stober singt den Groom doch alles in allem wenig Text-einfühlsam. Noch unbefriedigender agiert der Matteo von Daniel O’Hearn. Er bringt attraktives Timbre und bühnenwirksame Beweglichkeit mit, gebietet aber nurmehr über engen Ton und zusammengepapptes Deutsch.

Homo-Sex auf der Opernbühne wird für die 2020er einmal das sein, was Heldenbaritone in Soldatenmänteln für die 90er und Maschinenpistolen für die 00er Jahre waren: stereotype Regiebausteine.

Runnicles dirigiert seinen Strauss sicher in der Proportionierung von Detail und übergeordnetem Musikfluss. Auf denkbar unaufdringliche Art wird da eine riesige Erfahrung eingesetzt. Man hörts halt an der unaufgeregten und schlagenden Gestaltung der großen Bögen.

Zum Vorspiel zum dritten Akt gibt es auf der Leinwand Beleibten-Sex.

Arabella an der Deutschen Oper ist sehenswert. Wie bei jeder guten Inszenierung regt man sich manchmal etwas auf.