Der neue Bayreuther Parsifal ist üppig dekorativ, kindisch verspielt und von den meisten tieferen Einsichten frei. US-Regisseur und Bayreuth-Neuling Jay Scheib lockt das Auge mit Farben wie Zitronengelb und Barbie-Pink – und vergrault mit vielen losen Erzählansätzen.

Wie ist der neue Parsifal?

Heuer läuft Richard Wagners Titelheld (Andreas Schager) in zerrissener Patchwork-Hose und gehüllt in eine Weichgummijacke (Bauarbeiter oder Müllmann?) auf. Ganz anders der Gurnemanz (Georg Zeppenfeld). Der ist ein aufrechter Best-Ager, zerfurchten Antlitzes, in gelbem, wie eine Schürze getragenem Kampfrock und weißem Businesshemd – apart (Kostüme: Meentje Nielsen).

Alle Bilder: Livestream BR Klassik / Bayreuther Festspiele 2023

Die Gralsritter stellen eine recht harmlose Sekte in zitronengelben Gewändern dar. Sieht so die postkapitalistische Sinnsuche aus? In hinreißend dekorative Röcke kleiden sich die Knappen. Aber irgendwie bleibt dies ohne Anbindung an die Parsifalgeschichte. Lustig: Der Kittel des Amfortas gibt durch ein sauber ausgeschnittenes Loch den Blick auf das Schwären der fatalen Wunde frei.

Von der Bühne (Mimi Lien) grüßt eine Spiegel-umkleidete Stele (inspiriert von den Frankfurter EZB-Türmen?), vorne findet ein Sammelsurium gläserner Reliquienbehältnisse Platz. Die Kritik? Der erste Akt ist recht öde, außer dass zur Verwandlungsmusik ein Neonröhrenrund in die Höhe fährt, was der Zuschauer, falls er denn nach Deutung derart hehrer Zeichen verlangt, als Ufo oder als abstrahierte Dornenkrone lesen kann. Aber nicht muss.

Mehr los ist in Akt 2, wenn die Blumenmädchen als Flower-Power-Girlies eintrudeln. Räkelnde Statisterie erhöht die Anzahl weiblicher Personen auf der Bühne nochmals. Getragen wird Pink, was aussieht wie direkt aus dem Barbiefilm gejumpt. Ja, und der Zuschauer kommt um das inzwischen auf deutschsprachigen Bühnen etwas durchgenudelte Thema Live-Film nicht herum (Video: Joshua Higgason). Und Kundry? Wagners letzte Frauenfigur legt eine glaubwürdige Verführungsszene hin. In Akt I ist sie die Frau mit halb weißer, halb schwarzer Mähne – eine sinnfällige, wenn auch wenig aufregende Art, Kundrys dialektische Natur aufzuzeigen – , in Akt II ganz Grace Kelly, fein herausgeputzt mit Kopftuch und Sonnenbrille.

Die Akte übergreifende Erzählklammer gibt es allerdings nicht.

Erst der dritte Akt – „nichts als Vollzug dessen, was am Ende des zweiten Akt… vorgezeichnet war“ (Carl Dahlhaus) – öffnet eine Erzählperspektive, die Welt ist rau und rostig. Apokalyptische Baumgerippe sind zu sehen, davor monolithische Betontrümmer. Ein Seltene-Erden-Bagger steht neben einem giftgrünen Kraterloch, die heil’ge Quelle. Endzeitstimmung unterm Zeichen der Umweltzerstörung?

Der Speer, die Lanze des Heils, die Parsifal bringt, ist jämmerlich geknickt. Der Karfreitagszauber findet nur in der Musik statt – und hinter den VR-Brillen. Von Rittern in steifen Camouflage-Gewänder wird der tote Titurel im Müllsack auf die Bühne geschleift. Der Gral zerbricht. Alle stehen starr. Nichts passiert.

Die Sänger?

Andreas Schager verkörpert den reinen Toren mit Lockenpracht und Schager-Tolle in der Stirn, im Verführungsakt dann in Unterhosenshort und Herzchen-Shirt. Sein Singen ist leicht, fast burschikos, und zielt eben nicht auf den Heilshelden ab, nicht auf den Kantoren-Ernst von Vogt. Der Ton ist lyrisch, hat Wärme und Piano. Eine fabelhafte Leistung. Einspringerin Elīna Garanča besitzt als Kundry für die Herzeleide-Erzählung Edeltöne und hinreißende Marmorkühle, in der folgenden Verführung aber wenig (Tiefen-)Psychologie. In der Höhe klingt die Stimme unfrei, die Artikulation ist gut, nicht mehr.

Den Klingsor gibt Jordan Shanahan (energisch, gut) im rosa Dress eines Puffvaters, unten Pumps, oben quillt zwischen Hosenträgern die Plautze, auf der eine ganze Wiese von Blümchen-Tattoos prangt. Für den todkrank niederliegenden Titurel hat Tobias Kehrer (im ekligen Gummigewand, plus verfilzter Pennermähne) fordernde vokale Gravitas, während Derek Welton den Amfortas breit, leicht undeutlich und leiernd singt.

Fehlt noch Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, der ist ja fast die Hauptfigur, wenn auch aus dramaturgischer Perspektive nur ein zaudernder Zugucker und Kommentierer. Von Zeppenfelds nüchterner Kantabilität, die nicht samtig sonor, aber stets knorrig-wahrhaftigen Tons ist, kann man nicht genug hören. Fabelhaft die Intonation, hervorragend die Wortverständlichkeit. Wie Schager ist Zeppenfeld kein Silbenzähler, sondern ein Sinngestalter. Beider Vortrag gelingt spontan und (Wort-)genau.

Neben dem Bayreuth-üblichen Beifall gibt es laut hörbare Kritik und leidenschaftliche Buhs für Regisseur Jay Scheib.

Am Pult lässt Hügelnovize Heras-Casado die Parsifalpartitur im Geschwindschritt abrollen. Das macht Spaß, nicht nur, aber vor allem wegen des edlen Klangs des Orchesters der Bayreuther Festspiele, schimmernd, schlank und hehr rauscht das Tutti auf. Transparent leuchtet das Klangbild. Das tönet so klar, das fließet so kammermusikalisch fein. Auffällig schön gerät die Führung der musikalischen Linien. Abblendung und Vermischung der Holz- und Blechbläserfarben bei erstem und drittem Aktschluss sind tadellos.

So schallt der Parsifal wunderbar leise, nie nur so hingespielt, oft überraschend im Nuancenzauber. Freilich auch bisweilen etwas harmlos, wie im 2. Akt zu hören ist. Und es bleibt wenig haften. Wohllaut verströmt der Bayreuther Chor (angeleitet vom sehr guten Eberhard Friedrich). Die Blumenmädchenszene schallt schon fast impressionistisch leicht und locker.

Gesehen als Livestream auf BR Klassik.


Weitere Kritik Bayreuth Parsifalpremiere 2023: „Trips ins Unbewusste“ (Bernd Neuhoff), „Kosmisches Dirigat“ (Udo Badelt)