Auch ein sangesfreudiges Sängerensemble hat Mühe, die dröge Regiearbeit von Alvis Hermanis auf Betriebstemperatur zu bringen. Die Bühne: Rom-Veduten mit aufgepinselten Akteuren der Oper (Kristīne Jurjāne). Drum herum protzige Pappmaché-Zitate: San Andrea, Palazzo Farnese, Castel S. Angelo. Man füge die gängigen szenischen Leitmotive hinzu: Cavaradossis Malgerüst, Scarpias Schreibtisch, Toscas Fächer, das Betbankerl, auf dem alle außer Cavaradossi irgendwann mal knien. Nett jedoch die Butterstulle des Scharfrichters, gut der effiziente Diensteifer von Scarpias Polizisten.

Die erste Überraschung folgt auf dem Fuß. Die Staatskapelle unter Marco Armiliato malt einen selten gehörten Puccini in das DDR-barockig strahlende Saal-Halbrund: biegsam, sinnlich, lauschig, ohne jede Hetze. Ganz bisbiglio in den Holzbläsern, ganz weiche Butter in den Streichern. Das kann ich anhören. Generös spritzen die Kraftstellen auf, durchaus mit Breitenwirkung – und mit einem Schuss Genuss. Das beste Tosca-Dirigat hier seit Barenboim.
Es ist immer ein Vergnügen, wenn die gewiefte Angela Gheorghiu Tosca singt – und spielt. Kapriziös und kokett. Anrührend verführerisch in den Duetten und eifersüchtig wie ein sturer Esel. In den Duetten hat sie amore in der Stimme. Da ist ihr Sopran weich, biegsam, klangvoll die Mittellage, das Piano besitzt feinen Biss. Sie „spricht“ mit ihrer Stimme, die Bonmots – è troppo bella, ma falle gli occhi neri – bringen das Publikum zum Mitkichern. Ihre Tosca ist eine heiße Katze, aber halt auch Gheorghiu. Nebenbemerkungen: Im Rang schallt ihre Stimme bisweilen leise. Bisweilen dunkelt sie ab. Und Vissi d’arte? Ein Knüpfteppich, gewebt aus Schönheit, Emotion und unendlich viel Erfahrung (man kann es auch Disziplin nennen). Kritik? Die drei, vier Spitzen sind mehr Aperol Spritz als Brunello di Montalcino. Aber wie gesagt, es ist immer ein Vergnügen.

Der Maler an ihrer Seite, Marcelo Álvarez, wird nicht nur als indisponiert angekündigt, er ist es auch. Er hat ja eine der schönsten Puccini-Stimmen derzeit: Farbe, Ernst, Gefühl, Natürlichkeit. Álvarez trinkt auf der Bühne viele Gläser Wasser, dazu Hustensaft, den er aus einer Westentasche zieht. Gute Besserung. Scarpia will Tosca, und hieße der Preis dafür auch Cavaradossi. Ludovic Tézier gelingt das gut. Der ist nicht der heiße Wüterich des Michael Volle. Tézier ist da mehr energisch konzentrierte Männlichkeit. Die wilde Mischung aus boshaften Rezitativen und ariosen Durchbrüchen nutzt Tézier zu einer Achterbahnfahrt der Verschlagenheit – mit jener aggressiven Kantabalität, jenen genießerisch gesetzten fiesen Akzente, die Halunken auszeichnen. Gheorghius erster Dolchstoß erwischt den Scarpia nur halb.
Bei dem baumlangen Angelotti (souverän David Oštrek) frage ich mich, wie ein solcher Hüne unerkannt in Frauenkleidern durch Rom fliehen will. Im Februar schrieb ich, dass das detaillierte Spiel von Jan Martiník (Mesner, sehens-, hörenswert) irgendwie zu viel wäre. Heute spielt er weniger, und ich denke, es wäre nett, wenn er mehr Genre zeigen würde. Der Spoletta ist Florian Hoffmann, der Sciarrone Friedrich Hamel.
Die DDR-Tosca von Carl Riha (Premiere 1976) war doch eigentlich besser, oder?
Besucht: erste Vorstellung der Serie
Die Tosca ist immer wieder einen Besuch wert!
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Meine einzige Frage ist, ob sich la Georghiu diesmal von hinten hat nehmen lassen, wie es die Regie vorsieht oder nicht?
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Sagen wir es so, sie hat sich damit begnügt, es anzudeuten
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DDR-barockig : das klingt zu abfällig. So was sag ich nur, wenn ich sage : Berlin, Hauptstadt der Täterää.
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Ich habe mal in der alten DDR, in Ost-Berlin, auf der Frankfurter Allee einen Tosca-Klavierauszug gekauft, mit deutsch-italienischem Text. Das war so ca. 1989.
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Haben Sie die Riha-Tosca gesehen ?
Ich hab den Berghaus-Carlos in Basel gesehen. Abschüssige Rutsche. Nach unten geht’s immer.
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Ganz bisbiglio…… es schreibt der Spezialist!
:-)
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Definitiv macht die Carl Riha Inszenierung aus den 70ern wesentlich mehr her, als der jetzige müde und langweilige Regie-Wurf von Hermanis. Kann mich noch gut an Sherill Milnes‘ Scarpia erinnern, als er beim Mord rückwärts über den Stuhl flog. Oder die grandiose Barbara Daniels oder die zu Tränen rührende Anna Tomowa-Sintow als Tosca. Die Staatsoper wäre gut beraten, die Riha – Tosca wieder neueinzustudieren. Ging ja in Wien mit Kupfers Elektra auch.
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Den Milnes hab ich nur einmal gesehn, in Bonn, wo er ständig um einen riesigen Tisch herumrennen musste, der fast die ganze Bonner Bühne einnahm.
Aber schön war es doch.
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Super Konzert
Doller Bericht vom Uehling
https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/musik/kirill-petrenko-die-berliner-philharmoniker-spielen-korngold-unglaubwuerdiger-glanz-li.283897
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sag mir was schöneres
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Se il cantasse una sola volta il Cavaradossi qui !
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ich versteh, warum er hier nie singen kann
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Was die lang nicht aufgeführten Opern in Berlin angeht : Das Trittico wäre doch eine ideale Einleitung des unvermeidlichen Abschieds von Barenboim. Der hat das, soweit ich weiß, noch nie dirigiert, er kann die notwendige große Sängerriege zusammenbringen, und wer einen Hausbariton hat, der Wotan und Falstaff zugleich singen kann, der könnte ihm auch den Schicchi übertragen.
Nur bitte nicht Nadine Sierra als Lauretta, auch nicht wegen der Beine. Rosa Feola wär ein Traum. Die war die erste, die „O mio babbino caro“ so singen konnte, daß es nicht nach Wunschkonzert oder großer Arie klang, sondern ins Stück passte.
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Forza del Destino gab es auch eine Ewigkeit nicht, zumindest habe ich es nicht gehört (Premiere 04 oder 05) und muss ziemlich schnell verschwunden sein, mit der Norma Fantini, die ich vermutlich mal als Norma gehört habe.
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Fantini hab ich mehrmals gehört, auch als Aida.
Nicht das edelste Material, aber ich fand sie immer bewegend.
Muss so um die Zeit gewesen sein:
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Zur Forza konnte mein Wiener Freund Gschichten im Zusammenhang seiner Flucht vor den Nazis erzählen, die man nur glauben kann.
weil sie wahr sind. Hab die genauen Details vergessen.
Er floh zuerst von Wien in die Schweiz. Jemand öffnete ihm dort die Tür, die knarrte, darauf sagt er :
MELITONE
Oibò, dico ch’è pesante
la porta, e fa rumore.
Der Türöffner erwiderte : Wenn das so ist, kommen Sie nur herein.
Oder so ähnlich. Aber er hat es mir versichert.
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und da unten sitzt Placido, und denkt: ja, die können das
se fosse l’ultima, l’ultima ancor
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Besetzungsbüro.
Suor Angelica : Anja Kampe
Rinuccio und Amante im 1. Akt : Pavel Cernoch
Suor Genofieffa : Elsa Dreisig
Die Tante und Zita: Anna Samuil. Muß nur ein bißchen tiefer singen als gewohnt.
Michele : Wolfgang Koch.
Rest erfolgt später. Die Staatsoper kann ja schon mal weitermachen, falls das nicht schon längst geschehn ist.
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