Alles easy? Von wegen, der Klassikbetrieb ist voll im Corona-Modus. Und meist ist verschoben doch aufgehoben, gecancelled, abgesagt. Business as unusual eben. Man ist froh über das Wenige, das hinter geschlossenen Konzerthaustüren gespielt wird.

Zum Beispiel über das Deutsche Symphonie-Orchester. Das packt die Gelegenheit beim Schopf und macht da weiter, wo es 2020 aufgehört hat: beim Konzertfilm. Dieses Mal filmt das DSO samt Chefdirigent Robert Ticciati aus dem Club Sisyphos an der Rummelsburger Bucht. Man sieht, wie das Orchester sich zwischen Warmspielen und Großgruppentherapie unter Anleitung von Ondřej Adámek auf das, was kommt, vorbereitet. Bei 3:20 fließen Zuschauer und Zuhörer langsam zu Dusty Rusty Hush von Adámek über, das mit seinen frühindustriell verdüsterten Pulsationen durchaus als Hommage an die coole Club-Kulisse taugt.

DSO-Trompeter blasen der Club-Kultur den Marsch / Foto: Livesteram DSO

Die Kamera nimmt flink die Musiker ins Visier: Tubisten aus der Frosch-, Schlagwerker aus der Vogelperspektive. Das passt zum Flow der Musik, ist nicht aufdringlich, weil sie zeigt, dass es um Konzentration geht, um Arbeit, um Musik“machen“. Derweil geht es in Dusty Rusty Hush um Geburt, Ausschwingen, Abebben und Wiedergeburt rhythmischer Prozesse – die in bester tondichterischer Tradition immer auch als Fabrikprozesse deutbar sind. Als Stück nach dem Stück folgen daraufhin flüsterleise Improvisationen: Geige, Klarinette, Posaune. Selten sieht man so intensiv, wie Musiker Kollegen beim Musikmachen zuhören.

Mini-Ensembles im BKA, Petrenko mit Russischem

Dem Virus ein Schnippchen schlagen. Das ist genau das, was die Konzertreihe Unerhörte Musik tut. Live streamt sie aus dem BKA-Theater am Mehringdamm, und zwar jede Woche dienstags. Mit Mini-Ensembles verteidigt man klug die Freiräume, die das gestrenge Virus lässt. So erklingen im ersten Januar-Konzert Trios für die Besetzung Geige, Klavier und Gitarre (Emily Yabe, Ermis Theodorakis, Martin Steuber). Die Werke von Gabriel Iranyi (Blicke auf Hiroshima), Art-Oliver Simon (nilreB) und Michael Quell (A Blurring Cloud) sind umso reizvoller, je karger sich die äußere Klanggestalt gibt. Wer den spartanischen Live-Klang goutiert, findet hier vorzügliche Interpretationen relativ unbekannter Werke abseits ausgetrampelter Programmpfade.

Dem Virus ein Schnippchen schlagen: Konzertreihe Unerhörte Musik/ Foto: Livestream BKA-Theater

Bleiben noch die Berliner Philharmoniker, die aus der virusleeren Philharmonie ab 9,90€ in die globale Musikgemeinde streamen. Zu hören sind, selten genug, drei Symphonische Dichtungen, und das en suite. Das Programm umfasst Romeo und Julia, Toteninsel und Francesca da Rimini, und immer heißt die Botschaft: Tod. Kirill Petrenko tischt das Tondichtungs-Trio phänomenal akkurat auf, vereint kammermusikalische Tugenden mit der blendenden Präzision des Orchesterdompteurs. Der Klang ist flüssig und hell, spartanisch und schlank, auch in den gleißenden Explosionen. Es gibt bei Petrenko ein heißes Herz. Und doch klingt es bisweilen, als hätte er Angst, auch nur ein Schnipselchen eines Meisterwerks unter den Tisch fallen zu sehen. Das Ergebnis fällt für die einzelnen Werke unterschiedlich aus. Bei Romeo und Julia von Tschaikowsky bleibt etwas Unerfülltes im Klang. Mein Eindruck: die Fantasie-Ouvertüre kann sich aus dem Korsett des Tempos nie ganz befreien (war bei Karajan genauso. Dessen Romeo ist eine seiner weniger wichtigen Aufnahmen).

So klappt es auch mit dem Bizeps: philharmonische Posaunisten / Foto: Livestream Digital Concert Hall

Anders Rachmaninows Toteninsel. Das Stück verströmt live gerne einen verstaubten Symbolismus, gewinnt heuer am Kopfhörer aber ungemein. Petrenko legt Schicht um Schicht, Farbe um Farbe, Erschütterung um Erschütterung frei. Er macht das akribisch und auf diese spezielle, leidenschaftslos leidenschaftliche Art. Ich höre, wie die Musiker sich Takt um Takt vorantasten, ohne dass diese seltsam themenlose Musik stillstünde. Vielmehr hört Petrenko in jede Farbmischung hinein. Was bei Romeo und Julia fehlte, Tragik und Drama, ist dann bei Francesca da Rimini, ebenfalls von Tschaikowsky, da. Straffheit, Entfesselung, lyrische Konzentration. Ohnehin ist Francesca im Vergleich mit dem populäreren Romeo und Julia das überlegenere, weil reichere Stück. Das Konzert der Philharmoniker mit Daniele Gatti habe ich nicht gehört, teils aus Metoo-Gründen, teils aus Programmgründen.