Die Walküre ist doch die schönste Ring-Oper – und die lebensvollste. In den tremolierenden Streicherkaskaden und Fortissimo-Holzbläsersignalen des Sturmmotivs, die Die Walküre einleiten,

werden Wälsungendrama und Göttertragödie mit einem Mal zur mitreißenden Gegenwart. Vorspiel und Vorgeplänkel des Rheingolds sind vorbei, die ganze göttlich-halbgöttliche Mannschaft – Siegmund, Sieglinde Wotan, Brünnhilde – kämpfen fortan mit allem, was sie haben, gegen ihre eigenen Untergang.

Glücklich die Walküre, die einen solchen Wotan hat. Michael Volle ist ein rastloser, herrisch aufragender Ober-Chef ohne jedes seifige Göttergetue. Der Vortrag ist voller Autorität, die Artikulation klar, die Höhe imponierend markig. Und in den Glanzstellen des Abschieds erreicht Volle eine raue, räudige, von Bitterkeit erfüllte Kantabilität, die ganz ihm gehört. Mich beschleicht der Verdacht, dass Volle der wichtigste Wotan dieser Jahre ist. Nicht einfach hat es Wotan mit Göttergattin Ekaterina Gubanowa, einer ganz und gar unnachgiebigen, hübsch frisierten Bellezza, die ihrem Gatten dessen großen Gedanken um die Ohren haut – in der Walküre ändert ein Ehezoff bekanntlich zugleich den Lauf der Weltgeschichte. Gubanowa legt voller stimmlicher Verve los. Und geizt nicht mit einer apart herbe eingetönten Farbpalette. Dazu kommt ein hochindividueller Stimmklang. 

Die Walküre Unter den Linden Barenboim

Interessant das Rollenporträt, das Simon O’Neill für den Helden Siegmund findet. O’Neills Held wirkt wie ein kultivierter, zartfühlender Kavalier und so gar nicht als rau-romantischer Herzensbrecher, der Frauen verschachernde Finsterlinge aufmischt. Stimmlich bietet O’Neill traumhafte Höhensicherheit und ein irgendwie unsinnliches, aber individuelles Timbre, das Material besteht aus extrem biegefestem Leichtmetall. Anja Kampe zeichnet die Sieglinde als angstvoll zerrissene, mit ganzem Herzen liebende Frau. Aber auch stimmlich gelingt ihr ein packendes und sinnlich vibrierendes Porträt, wenn sie farbenreiche Mezzavoce-Tönen und leuchtende Spitzen einsetzt. Falk Struckmann, böse klingend und böse aussehend, wittert als Hunding in Siegmund sofort den Brecher seiner Ehe

In Cassiers‘ Walküre-Inszenierung erwischt die Brünnhilde das unkleidsamste Outfit. Iréne Theorin steckt in einem panzerartigem Kriegerinnenkostüm. Die Hojotoho-Rufe in der 1. Szene des 2. Akts gelingen nun viel besser wie im ersten Durchgang, nur die Intonation der Spitzen wackelt ein wenig. Das ist keine Kritik, sondern Bestandsaufnahme, an einer derart gelungenen Walküre interessiert einfach alles. Theorins Sopran klingt nie ganz klar, hat aber Farben, gemischt aus tiefem, tragischem Ausdruck, und stählerne Durchsetzungskraft und – ein Dank an die Götter (oder Göttinnen) des Gesangs – ein gut kontrolliertes Vibrato.

In den großen „Duett“-Szenen Sieglinde-Siegmund, Fricka-Wotan und Brünnhilde-Wotan (2. und 3. Akt) stört die Regie Guy Cassiers‚ weniger. Die Sänger besorgen die Personenregie quasi selbst. Doch vielleicht ist es ein Vorteil der sich zurücknehmenden Regiearbeit, dass der Zuhörer und Zuschauer versucht, die unterirdischen Verbindungen zwischen den Tetralogieteilen selbst zu knüpfen. Immer mal wieder ist während des Schlussapplauses an den verschiedenen Abenden ein kurzes Buh zu hören, aber das Gros des Publikums scheint den Cassiers-Ring geschluckt zu haben.

Die Chor und Nebenfiguren – wir hören schließlich ein Musikdrama – ersetzenden Walküren tummeln sich in schwärzlich grauen Flattergewändern auf plattengeschichteter Öde. Zu nennen sind die Wotanskinder Vida Miknevičiūtė (Helmwige, trompetenhafte Höhe), Julia Rutigliano (Siegrune, hat irgendwie wenige Soli zu singen), Anja Schlosser (Waltraute, kernige Stimme), Natalia Skrycka (Schwertleite, immer kraftvoll, was sie auch singt), Christiane Kohl (Gerhilde), Anna Samuil (Ortlinde, kraftvoll, mit Vibrato in der Höhe), Anna Lapkowskaja (Grimgerde, schön groß, die erkenne ich am leichtesten) und Dshamilja Kaiser (Rossweisse, schön: nach Walhall brechen wir auf, Wotan zu bringen die Wal). Zusammen singen sie wilde Willkommen-Rufe und verteidigen sich mit achtzüngiger Verve vor dem zornigen Wotan. Ein Genuss.

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Die Staatskapelle Berlin ist ein Walküre-Orchester, oder? Vielleicht mehr als ein Rheingold- oder Siegfried-Orchester. Das Espressivo der Streicher, die unendlichen, Szenen und Akte mittragenden Spannungsbögen, das Mitatmen der Musiker bildet Humus und Sauerstoff zugleich des alles in allem großartigen Abends. Das effektvolle Anziehen des Tempos durch Barenboim in den letzten Takten der Akte 1 und 2 war in den 2012/13er Aufführungen explosiver, auch das allgemeine Tempo ist heuer breiter. Dafür sind die Pausen noch atmender, das schiere Stillstehen der Musik ist in den großen Piano-Stellen noch sprechender. Im Rheingold war mir der Anfang etwas zu getragen, auch der 1. Walküre-Akt hatte davon etwas. Dies erlaubt Barenboim aber, das Tempo über die drei Akte kontinuierlich zu steigern bis zu jenen atemlosen Bekundungen der Brünnhilde im 3. Akt, wo sie das Schicksal der Wälsungen zu wenden und ihr eigenes zu retten sucht. Da muss sich Iréne Theorin plötzlich sputen, um mit Barenboim mitzukommen. Kirill Petrenko blieb sowohl in München als auch in Bayreuth die drängende Vergegenwärtigung, den Lyrismus schuldig, blieb mitunter trocken, zu „objektiv“, Thielemann machte Wagners alles mit allem verknüpfende musikalische Grammatik nicht derart zur lebendigen Sprache wie Barenboim in Berlin und Rattle betonte die dramatisch-motorischen Einzelmomente stärker. In der Walküre ist Barenboim primus ohne pares.

Sängerisch stehen die aktuellen Aufführungen deutlich über denen von 2013.

Beim Applaus: Bei Anja Kampe löst sich die Anspannung in ausgelassener Stimmung, Iréne Theorin verzieht, innerlich noch im Bann der hehrsten Schlussszene, kaum eine Miene, Michael Volle kann schon wieder spaßen. Jedem das seine. Barenboim, schmaler und vielleicht auch kleiner als beim letzten Ring, rührt der Beifall doch jedes Mal.


Meine Kritik von Rheingold und Walküre vom ersten Zyklus: Reicher und schöner

Die Kritik von Hundert11 über die Walküre: Stets aus organisch scheinendem Strömen