Vorhang auf für Otello. München, Staatsoper. Petrenko, Kaufmann, Harteros, Finley.

Ich sehe den Livestream der Bayerischen Staatsoper.

Die Inszenierung stammt von Amélie Niermeyer. Otello und Desdemona sind im kühlen Klassizismus gehobener Wohnkultur zu Hause, Fischgrätenparkett, Kamin. Obere Mittelklasse. Es herrscht die kalte Pracht von Bürgerräumen, leer und kathedralhoch wie Führerbunker (Bühne: Christian Schmidt). Der monumentale Innenraum als Gefäß eines erstaunlich privaten Eifersuchtsdramas. Merkwürdig gedoppelt die beiden Zimmer.

Nicht nur szenisch, auch stimmlich erinnert der Münchner Otello von Niermeyer und Petrenko an ein Kammerspiel monströser ehelicher Eifersucht.

Anja Harteros ist eine Augenweide, in der strengen Schönheit ihres Gesichts spiegeln sich die Gefühle, und doch ist sie, im weißen bodenlangen Gewand oder im schwarzen Seidenhausanzug (Akt 3), die sich still im Hintergrund hält, ein Stück Wohnkultur in Otellos Zuhause. Sie sieht den Uragano (den Sturm der 1. Szene) als inneres Bild. Apart belegt im Piano, klar im Forte, stets den Ausdruck im Klang suchend, trägt Anja Harteros die Seele auf der Zunge und singt ungeachtet kleiner Schärfen mit großer Noblesse, insbesondere das Ave Maria als Kunststück des Leisen.

Otello Anja Harteros2 2018

Jonas Kaufmann ist ein Otello in Schlips, weißem Hemd und kurzer Schulterklappenjacke (klug zwischen Militärjacke und Jil-Sander-Chic). Schon äußerlich haftet Otello etwas Streberhaftes an, innerlich ist er eine Ruine, der seinen Stolz schon lange verloren hat, wenn er denn je einen besessen hat. Abbasso le spade finde ich nach wie vor nicht gut. Già nella notte densa beginnt kratzig. Das Liebesduett wird eben nicht als eines der schönsten Duette Verdis gesungen, sondern als Flüsterszene mit ausgehöhlter Glut, in der kaum noch an die Liebe glaubt gewird. Credo che Cassio ei fosse ist schwach.

Da ist es, das unablässige Schwanken zwischen Zurücknahme (der Softie in Kaufmann) und Italo-Timbre (der Italiener im Bayer). Ora e per sempre klingt dynamisch uneben. Kaufmann (ein bisserl speckig im Gesicht, ohne Locken) leidet auf offener Bühne wie ein Hund. Die Sangue-Rufe gefallen mir jetzt gut, und auch Sì, pel ciel passt. Herrlich differenziert der Beginn von Akt 3. Den ersten Teil von Dio mi potevi bringt Kaufmann als inneren Monolog, so als würde er selbst nicht glauben, was ihm da passiert. Angestrengt sein Anima mia vor dem Fluch. Hohl dann Otellos Schwanengesang, Niun mi tema.

Unendlich unterlegen ist dieser Otello seinem Dämon Iago. Gerald Finley ist ein Sneaker-Typ, ein teuflisch intelligenter Strippenzieher, der auf Loungesesseln lungert, von außen locker, innerlich böse, und mimisch agiert Finley auf Schauspieler-Niveau, das Credo rezitiert er wie ein Schauspieler und macht das Singen zur psychologischen Disziplin.

Exzellent wie gewöhnlich in München sind die Nebenrollen besetzt. Allen voran Rodrigo Evan Leroy Johnson, ein Zöpfchenträger im Jackett, der den Cassio mit schlanker, leichter Tenorstimme singt. Galeano Salas mimt den Roderigo in Hawaihemd und Schlaghose als kompakten, schmierigen Intriganten. Als Emilia läuft Rachael Wilson (klarer Mezzo) in Rock und Bluse umher, Milan Siljanow (Montano) trägt offiziösen Zweireiher, Markus Suihkonen steht da wie ein Model eines Woll-Modelables und auch Bálint Szabó steckt in maßgeschneidertem Zwirn (Kostüme: Annelies Vanlaere). Beiden hört man gerne zu.

Kirill Petrenko durchleuchtet die Partiur kammermusikalisch, das Trinklied (Akt 1) tänzelt auf Pizzicati, das Liebesduett erhält in seiner radikalen Privatheit fast mahler’sche Züge (Geigen!). Betörend genau die kurzen Vorspiele zum zweiten und dritten Akt und präzise auch die Orchesterschläge des Hasses in Iagos Credo. Doch in der umfassenden Perfektion liegt auch Risiko. Jeder Akzent ist maximal kultiviert. Ich wünsche mir zur Abwechslung mal was Schmutziges. In einer maximal ausgehörten Schönheit, die an Fresken erinnert, erklingt die Chorszene mit Mandolinen-Pling (Akt 2). In heftigen Ausbrüchen des Orchesters schwingt durchaus Pomphaftes mit, und die Fanfaren der Gesandtenszene kommen zu wenig drohend. Das Orchester der Bayerischen Staatsoper ist jedenfalls in glänzender Verfassung.

Foto: Livestream operalive.de


Kritik der Premiere: Otello mit Kaufmann und Harteros