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Die traditionellen Zutaten der italienischen Oper sind Liebeschaos und Intrigenwirrwarr. Bei La Gioconda, mit der Amilchare Ponchielli 1876 seinen einzigen nachhaltigen Opernhit landete, verfeinern weitere Zutaten das Werk: echte Volkstypen etwa, regionales Liedgut oder Grand-Opéra-Einsprengsel (die berühmte Ballettszene). In Italien gehört Ponchiellis Serenissima-Oper immer noch zum eisernen Repertoire. In Deutschland hält die Deutsche Oper Berlin die transalpine Gioconda-Tradition am Köcheln. Allein schon wegen der Bühnendeko aus der Uraufführungszeit ist die Uralt-Inszenierung von Filippo Sanjust ein Must-Hear. Düstere Interieurs, goldene Sitzgondeln, gedrechselte Barocksessel – musealer, aber auch üppiger geht’s kaum. Dazu aufgepinselte Pilaster und Stuck-Supraporten, die gekonnt klassisches Venedig-Ambiente verbreiten. Das Schöne ist, dass das Ganze ohne klobig schwere Bühnenbauten auskommt. Nein, Dogenpalast, Ca‘ d’Oro und Canale Giudecca entstehen aus perspektivisch gestaffelten, luftigen Bühnenmalereien. Und dann die Chorszenen, bei denen sich die Bühne mit schmuckbehängten Bellezze in glitzerfunkelnden Barockroben füllt und Karnevalisten über die Bühne wuseln!
Solch herrlich altmodischer Opernplunder ist derart aus der Zeit gefallen, dass er schon wieder höchstes Interesse beansprucht. Ähnlich läge wohl der Fall, würde ein Tenor wieder wie Fernando de Lucia singen. Es gelingen dennoch treffende Innenansichten der Figuren. Einzelschicksale – die leidenschaftliche Gioconda, der böse Barnaba, die edle Laura, der staatsmännische Alvise, die fromme Mutter – bettet Regisseur Sanjust passgenau in große Tableaus ein. Hin und wieder macht sich die ungute Patina eines überlebten Bühnenstils doch bemerkbar, etwa bei den Matrosinnen (2. Akt), die in Buxe und Kopftuch aussehen wie Pfadfinderinnen von Anno 1950. Lustig auch, wenn Käpt’n Enzo den befeuchteten Zeigefinger wie weiland Pippi Langstrumpf in die Höhe streckt, um die Windstärke zu messen.
Musikdramaturgisches Pendant zur üppigen Ausstattungsoper ist das gute, alte, schlechte Singen an der Rampe. Doch sonderbar – Steh-Theater und Opernsänger-Posen nimmt man hier und heute niemandem krumm, weder Regisseur Sanjust und noch weniger den Sängern.
Die stimmlich bestens disponierten Sänger bürgen für den Erfolg.
Der Gioconda verleiht Hui He (scharlachrotes Schnürmieder, Puffärmel, lange Lockenpracht) mit starkem und überzeugendem Sopran Ausdruck, insbesondere in der gruseligen Lebensabschieds-Arie Suicidio, in der He zu dramatischer Kraft findet. Daniela Barcellona (Seidenrüschenkleid à la Gräfin Mariza) schenkt der unglücklich verheirateten Laura eine bewegende Interpretation voller expressiver Valeurs. Im Eifersuchts-Duett mit Hui He (2. Akt) fliegen nicht nur vokal die Fetzen. Als Edelmann Enzo Grimaldo ist der fokussiert und höhensicher singende Alfred Kim zu hören, der auch für die Arie Cielo e mar die nötige Kraft mitbringt. Kims Singen propagiert eine sensible Maskulinität, die jugendlich in der Höhe, männlich im unteren Brustregister klingt (ich fand ihn als Radamès nahezu ideal).
Dem bösartigen Verführer Barnaba (schwarzes Wams, Spitzenkragen) leiht Bariton George Gagnidze eine herrische Ausstrahlung. Giocondas Mutter La Cieca („die Blinde“) wird von der Mezzosopranistin Judit Kutasi (grässlich anzuschauen mit ihren eingedunkelten Augenhöhlen) mit dunkel girrendem Stimmtimbre ausgestattet. Den Alvise Badoero stattet Jewgjen Orlow mit großem Volumen und seriöser Bass-Würde aus. In den Nebenrollen überzeugen Byung Gil Kim (Steuermann), Philipp Jekal (Zuàne) und James Kryshak (Isèpo).
Am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin steht Pinchas Steinberg. Steinberg bringt die Partitur mit weiten Bögen zum Fließen, leitet mit Wärme, unauffälliger Eleganz und sicherem Gespür für Zusammenhang. Der Sinn des Dirigenten für unaufdringliche Legato-Bögen bleibt stets hörbar. Leider trüben Abstimmungsmängel zwischen Orchester und Sängern, aber auch bei Duetten, Terzetten und Ensembles, das Bild. Auch rhythmische Genauigkeit ist heute Abend nicht die Stärke des Orchesters.
Fazit: Aufregend altmodisches Operntheater mit Opernsänger-Posen, holdem Ballettzauber und geschmackvollen Bühnenbild-Tableaus.
Fotos: Bettina Stöß
Weitere Kritik der Wiederaufnahme von La Gioconda im Tagesspiegel.
Ich verfolge die Oper seit seiner Premiere immer wieder mit Vergnügen. Stimme der Kritik auch zu.
Vergleiche zwar eigentlich nie frühere Aufführungen, aber an Rysanek und Randova reichen die beiden nicht heran, vor allem im zweiten Bild, wenn die beiden Frauen sich bekämpfen.
Ich gehe heute nochmal in die Reise….Wenn die Hitze nicht wäre, wohl auch noch in den Faust, der musikalisch wohl nach Aussage vieler großartig sein soll. Vor allem die Car und dieser junge unbekannte ukrainische Tenor. Auch Teste und alle anderen
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Nein, zu Faust habe ich es leider nicht mehr geschafft. Rysanek? Wow. Muss ja dann schon in den 70ern gewesen sein. Randova hab ich als Student als Venus und Kundry gehört. Aber die Klimaanlage ist doch klasse in der DOB!
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Ja ja, gleich nach der Premiere, später dann in viele andere, bei den Männern, auch Domingo, als er noch wirklich Klasse war, und die unvergesslichste Aufführung, Bonisolli. Der unterbrach im Cielo und stritt sich mit dem Dirigenten auf offener Bühne. Da war der Auftritt der beiden Frauen nichts gegen :-)
Ja, die Klimaanlage ist wirklich Klasse, wieder…. Ich kann mich noch an andere Zeiten erinnern.
Ich hab jetzt auch bis 30.8. „Urlaub“ von der Live Oper. Habe gerade gestern meine Karten für die nächste Saison erhalten
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Es tut mir leid, aber ich kann überhaupt nicht zustimmen. Hui He ist kein Spinto-Sopran, sondern mogelt sich durch eine eher dramatische Partie, Barcellonas Mezzo ist fruchtlos, Kim ein Tenor, der nur laute Töne kennt und Testé als Alvise hat merkliche Probleme in der Arie im 3. Bild. Steinberg dirigiert zudem ohne Feuer, das dieses Werk so dringend braucht. Ergebnis für mich: ein langsamer, langweiliger Abend mit Solisten, die dem Werk nicht gerecht werden. Ausnahme hier: Kutasi als Cieca.
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