Nach dem Trubel um die Meistersinger-Premiere gestern geht es heute um Tristan.

Dank BR-Klassik ist man auch in Berlin der oberfränkischen Provinz nah.

Stephen Gould hat man inzwischen so oft gehört, dass man verwundert ist, Neues zu entdecken. Zuerst einmal das Offenkundige: Goulds Diktion ist nicht sehr prägnant, die Klangfarbe eine Mischung aus Helle und Männlichkeit. Es gibt – nicht live, sondern am Radio, wo das Ohr detailversessener hört und das große Ganze aus dem Blick verliert – keine Stelle, die mich auf die Knie zwingt. Das todessehnsüchtige Wohin nun Tristan scheidet gelingt faszinierend.

Schön im Ausbreiten des Sehnsuchtstons ist vieles im dritten Akt. Aber „Wie sie selig, hehr und milde“ ist wieder mehr Klangwurst als ausgewogene Wort-Ton-Phrase. Und die sprechnahen Passagen des Todgeweihten zu Beginn des dritten Akts sind spannungslos schlapp wie ein nasses Stück Brot. Gould war nie ein Sänger ausgesprochener Formzucht. Auch Thielemann scheint mir hier schwächer. Dies alles sei gesagt im Angesicht der Tatsache, dass Stephen Goulds Tristan einer der erstaunlichsten ist, die derzeit zu hören sind.

Tristan Bayreuth Petra Lang Christa Mayer
Christa Mayer und Petra Lang / Foto: Enrico Nawrath / facebook.com

Isolde Petra Lang bietet eine unausgewogene, wenn auch hochinteressante Darstellung. Die Identifikation mit der Rolle ist vorbildlich und jederzeit hörbar. In der dritten Szene scheint die tiefe Lage künstlich eingedunkelt, hörbar besonders in den Passagen uneigentlichen Singens (Das wär ein Schatz, mein Herr und Ohm). In den deklamatorischen Ausbrüchen wird die Stimme schrill. Die ständige Anstrengung führt dazu, dass die Stimme auch in der Mittellage, auch in den Lyrismen streifig klingt. Ausdrucksgesten werden durch intensive Akzente gestaltet. Manchmal ist mir das zu viel. Dabei singt sie sehr textbewusst. Petra Lang ist sehrenden Isolde-Ausdrucks fähig. Das Timbre hat in der Mittellage Glanz und dunklen Schimmer. Aufrichtigen Kummer bereitet mir ihre Intonationsunsicherheit. Hinter jedem Intervall lauert sie wie ein Gespenst. Dieses Gespenst ist ein mächtiger Feind jeden Gesangs, aber auch des Wagnergesangs.

Als sorgende Brangäne verfügt Christa Mayer über charakteristische Farbe und plastische Diktion. Das Timbre ist fraulich. Wenn sie singt, höre ich eine aufregende Mischung aus Rezitativ und Arioso-Haltung. Ihre Textverständlichkeit ist gut. Einige Ausdrucksdrücker seien verziehen. Eine fesselnde Leistung.

Die bietet auch René Pape als König Marke, den er von Vorjahres-Marke Georg Zeppenfeld übernimmt. Pape ist ein Marke der weichen Textur, des schön-betroffenen Timbres, dessen tief verborgenes Metall von einem Mantel aus Weichheit umhüllt wird, ein Marke des reich-sonoren Singens, der unendlich ausdrucksvollen Phrasierung. René Papes lyrisches Pathos stützt sich auf weiche Vokale. Die Akzente sind bewusst gesetzt, jeder ist mit spezifischem Gewicht versehen, alle sind eingebunden in die Gesangslinie. Man könnte Papes ergreifende Klage Mir dies? Dies, Tristan, mir? zehn Mal hören. Vor zehn Jahren schien mir Papes Gurnemanz, viele Male in Berlin gehört, die Höchstleistung und sein Marke um Nuancen schwächer. Heute scheint es mir andersherum zu sein.

Den treuen Kurwenal singt Iain Paterson schlank und energisch, patent und aufrichtig besorgt. Paterson gefällt mir wie vor zwei Jahren sehr gut. Das Timbre ist angenehm trocken. Der eifrige Melot ist Raimund Nolte. Tansel Akzeybek ist Seemann und Hirte.

Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele singen bzw. spielen. Ich werde nicht schlau aus Christian Thielemann. Im Sinfonischen, bei den Berliner Philharmonikern, enttäuscht er mich regelmäßig. Bruckner, Beethoven klingen halbgar, nicht Fisch und Fleisch. In Bayreuth überzeugt Thielemann mich. Thielemann treibt voran, da kommt’s zu flüssigem Vorwärtsdrängen, doch ohne Hektik, was fast ein Wunder ist, und das Anziehen des Tempos wird nicht mit einem Verlust an Klarheit und Gliederung erkauft, eher im Gegenteil. Andererseits: Die Linienführung des Vorspiels zu Akt 1 ist recht hart gefügt – erstes Manko. Ein weiteres Manko bleibt die fehlende Empathie bei Passagen, die Inwendiges darstellen. Thielemann geht über diese schnöde hinweg. Vermutlich hängen beide Mankos miteinander zusammen. Das Zusammendrängen in den Aktschlüssen 1 und 2 ist wie immer fabelhaft erhitzt und kaltschnäuzig.

Die Bayreuther Tristan-Aufführung von 2015 in der Kritik.


Weitere Kritiken von Tristan und Isolde bei den Bayreuther Festspielen 2017:

Konsequent dunkel: Bayreuths Tristan im dritten Jahr“ (Brugs Klassiker)