Im Rahmen des hauseigenen Neue-Musik-Festivals Infektion! zeigt die Staatsoper Berlin Jakob Lenz von Wolfgang Rihm.
Georg Nigl ist der Schmerzensmann Lenz. Lenz, in Berlin Träger eines genialischen Haarwuschels, teilt seine besudelte Nacktheit mit dem Publikum, trudelt in psychisch bedenkliche Situationen, schmiert in tragische Isolation ab, krümmt sich wie eine ins Feuer geworfene Schnecke. Rihms Oper im Schillertheater: das Moritat vom Leiden und Sterben des Georg Nigl. Die Welt: ein undurchdringliches Dickicht aus Wirklichkeit und Traum. Das menschliche Elend als Opern-Rohstoff – das kam dem jungen Rihm 1977, 78 gelegen. Ein Bühnenweihtrauerspiel in einem Akt. Gut 70 Minuten und 13 Szenen lang.
Georg Nigl, der Elitesänger für Berg bis Zeitgenössisches, singt den vorrangig monologischen Part – nur sporadisch weitet Rihm den Musikraum ins Dialogische und Vielstimmige – herzzerreißend expressiv, zwischen brisanter Sprachnähe und gewagtem Diskant, wild gezackt und rau-ungefüge wie die Fels- und Eislandschaft, die sich auf der Bühne (Martin Zehetgruber) auftut. Aber auch in Lenzens Innerem öffnen sich Stimmräume, öffnet sich Kopfmusik (das Stimmsextett, in dem der Komponist Gedichte von Lenz verarbeitet), die Sinnbild für die durchlöcherte Wirklichkeit ist.
Jakob Lenz war und ist eine Ein-Mann-Show. Die weiteren Rollen bleiben Episode; den hilfsbereit hilflosen Pfarrer Oberlin singt Henry Waddington, den pragmatischen Kaufmann John Graham-Hall.

Wolfgang Rihms Jakob Lenz: Inszenierung von Andrea Breth / Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de
1979 in Hamburg erstaufgeführt, ist Jakob Lenz eine Kammeroper nach Georg Büchners Novelle über den Sturm-und-Drang-Schöpfer der Soldaten. Bis heute besticht die messerscharfe Deklamation der Hauptrolle, überzeugt der Fleckenteppich aus Atonalität und Tonalität, in den Rihm findig Choral-Melos und Ländler-Charaktere einflocht, ein Cembalo weist auf die Lenz-Zeit. Erstaunlich, wie viel Platz da bei allem Klang-Bruitismus für raffinierte Farben bleibt.
Andrea Breth inszeniert Rihms Ego-Shooter umwerfend trist. Ein Innenraum voller tintenschwarzer Beklemmung, hinten Spiegelwand oder gestreifte Salontapete, dazwischen besagte Felsklumpen, dazu rinnende Bodennässe: bürgerlicher Rahmen, ins Pathologische entgrenzt.
Die beiden Soprane singen Irma Mihelič und Olga Heikkilä, die Altstimmen Sabrina Kögel und Stine Marie Fischer, die Bässe Dominic Große sowie Eric Ander. Franck Ollu lenkt am Pult des emporgefahrenen Grabens ein elfköpfiges Kammerensemble aus Musikern der Staatskapelle Berlin. Ollu weiß, wie man Rihm anpackt, und ist heute Abend mit seiner Handvoll Musikersolisten viel mehr als nur versierter Sängerbegleiter.
Weitere Kritiken über Wolfgang Rihms Jakob Lenz an der Staatsoper Berlin:
„Wahnsinnig konsequent“ (hundert11 – Konzertgänger in Berlin)
„Stiller Schrei, leises Wummern“ (Tagesspiegel)
Sehr schön. Sie konnten sich besser auf den Rihm-Sound einlassen als ich.
Ich habe 13 Musiker gezählt, nicht 11. Mir kamen im nachhinein Zweifel, obs wirklich eine gute Idee ist, die Kammeroper auf die große Bühne zu bringen. Aribert Reimanns ebenso klein besetzte „Gespenstersonate“ war in der Werkstatt sehr schön.
LikeGefällt 1 Person
13 also, bin zu Hause extra bei Universal Edition auf der Seite gewesen und Instrumente gezählt, aber dann wars doch nicht richtig. Die Frage ist, was mit Jakob Lenz Unter den Linden wird. Für die Experimentalbühne ist das zu groß, für die große Bühne dann doch zu klein. Ich muss sagen, dass ich das Schillertheater nicht unpassend fand. Martins Vin herbé ist auch nicht größer besetzt und passte recht gut. In Gespenstersonate bin ich leider nicht reingekommen, weil es ausverkauft war, als ich mich schließlich um Karten kümmern wollte.
LikeGefällt 1 Person