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Die neue Così fan tutte an der Deutschen Oper.
Mozarts leichtfertigstes Theatererzeugnis ist auch sein bezauberndstes. So schwer-leicht, so heiter-tragisch ist selbst die Hochzeit des Figaro nicht. „Così“ ist die klassische doppelter-Boden-Oper. Vier junge Menschen versinken in einen irren Strudel aus realen und virtuellen Gefühlen. Die Modernität dieses „Dramma giocoso“ wurde schon früh bemerkt. Der teuflische Frauentausch-Plot beginnt als Verkleidungsklamotte und wird zu einem Drama intimster Melancholie.
Jung-Regisseur und Operndebütant Robert Borgmann gefällt erst einmal das Dekorative dieser Mozart-Da-Ponte’schen Versuchsanordnung. Der Zuschauer sieht einen keimfreien Bühnenraum, in dem ein kühl-symbolistisches Bühneninventar vor sich hinrotiert. Im Hintergrund schimmern verdammt coole Videoprojektionen. Die beiden dame ferraresi werden in erlesene Faltenwürfe (Kostüme Michael Sontag) gesteckt, die amanti treten quietschbunt gekleidet auf. Doch worum geht es eigentlich nochmal in der „Così“? Natürlich fällt Borgmann in Sachen Figurensymmetrie und -entwicklung ein paar Sachen ein. So tragen die Damen irgendwann Schnurrbart und entledigen sich zur Fake-Hochzeit im zweiten Akt ihrer Haute Couture, die Herren schmückt Lippenstift. Aber Hand auf’s Herz. Im Großen und Ganzen ist diese Neuinszenierung an der Deutschen Oper eine reichlich federgewichtige Kostümparade. So viel Deko, so wenig Psychologie des Herzens. Und das bei Mozart. Und von der Bühnenseite guckt Rokoko-Statisterie zu. Jaja.
Die Sänger: Nicole Car, Stephanie Lauricella, John Chest, Paolo Fanale
Die Australierin Nicole Car präsentiert als Fiordiligi (gelbes Kostüm) ihre Standfestigkeit in der Felsenarie („Come scoglio“) mittels flammender Sopranspitzen. Nicole Cars lieblicher Klang ist etwas spitz. Sie klingt idiomatisch leicht unspezifisch. Im Adagio-Teil von „Per pietà, ben mio“ könnten Rhythmusgefühl und Phrasierung natürlicher sein.
Schwesterherz Dorabella (Stephanie Lauricella, violettes Kostüm) hat das apartere Vibrato und verguckt sich in den feschen Guglielmo. Ihre kunstvolle Sopranempörung („Smanie implacabili“) klingt vom Tempo etwas hektisch, hat aber Temperament und Temperatur.
Beide Haute-Couture-Girlies verfügen über einen frischen Klang, klingen hin und wieder aber unausgeglichen. Die Agilität ist bei beiden Ferrarerinnen in Ordnung. Manches Mal wünschte ich mir etwas mehr Differenz der Timbres, um beide schneller auseinanderhalten zu können.
Um diese beiden Luxusgeschöpfe kümmern sich also Guglielmo und Ferrando. Guglielmo John Chest singt mit echt männlichem Temperament. „Non siate ritrosi“ könnte gebundener sein. Der biegsame Tenor von Paolo Fanale gefällt mit hellem Timbre und weicher, kraftvoller Höhe. Der Vortrag ist lebendig, ja frisch. Ein Merkmal von Fanales Tenor ist das zitternde Vibrato, dadurch wird die Phrasierung zwar uneben, doch der emotionale Faktor seines Singens bedeutsam erhöht.
Noel Bouley, Alexandra Hutton, Donald Runnicles
Noel Bouley gibt den Don Alfonso mit schlagfertigem und biegsamem Bariton. Bouley gelingt ein kraftvolles Porträt. Bouley ist weniger der abgezockte Zyniker der Herzen, mehr wissender, kluger Begleiter. An seine Füße setzt der Kostümbildner safrangelbe Samtschlappen.
Despina Alexandra Hutton verkörpert ganz die kecke Frohnatur und vife Kammerzofe. Hutton hält sich aber mit Überzeichnungen wohltuend zurück, schlägt als Doktor und Rechtsanwalt („con voce nasale“) allerdings einen stark überzeichnenden Ton an. Frau Hutton als Domina im Leder-Outfit zu zeigen ist einfach ein Wahnsinns-Einfall. Da wäre niemand drauf gekommen. Hier zeigt Herr Borgmann, wie man Regisseur des Jahres wird.
Dirigent Donald Runnicles ordnet mit ruhiger Hand, ohne geradezu geniale Funken aus der Partitur zu schlagen. Es herrscht eine gedämpfte Buffo-Atmosphäre, die ein bisserl altmodisches Flair verbreitet (etwa bei „Ah, che tutta in un momento“, aber mir gefällt das). Runnicles kann auch leichtfüßig und ist dann nah am Pulsschlag der Musik. Das Tempo des Briten pendelt zwischen bewegt und gemütlich. So ist „Soave sia il vento“ unruhig und „Come scoglio“ lebhaft, wobei die Holzbläser recht rustikal agieren.
Fazit: eine fatal bedeutungsarme Inszenierung, verführerische junge Sänger sowie ein Orchester mit einem sehr spezifischen Mozart.
Weitere Premierenkritiken von Così fan tutte:
„Nachholende Lackgeilheit“ (tagesspiegel.de)
„Mesmerisierend: Così fan tutte an der Deutschen Oper“ (hundert11 – Konzertgänger in Berlin)
„Ein junges Sängerensemble rettet den Spielzeitauftakt“ (kulturradio.de)
Hm, nach einem Mozartbeben klingt das nicht, ich werde mir morgen ein eigenes Bild machen.
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Pingback: 28.9.2016 – Mesmerisierend: „Così fan tutte“ an der Deutschen Oper – hundert11 – Konzertgänger in Berlin
Am Anfang wollte ich rausgehen (Sänger im Publikum, Publikum auf der Bühne, Licht an…), aber dann fand ich es doch recht gut. Mir hat auch das Latexkostüm gefallen. Bei Gelegenheit können Sie mir mal die Adresse Ihrer Domina geben.
Bei Runnicles wird man immer schnell fündig, was das Soll angeht, aber man muss auch das Haben wertschätzen. Solide Arbeit mit emotionalem Überschuss. Das Orchester der DO klang früher viel schlimmer.
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Bei der Solidität ist Runnicles Klasse, das stimmt. Ich bin lange ungern in die DOB gegangen, weil die Dirigate so unerquicklich waren. Runnicles ist gut. Er hat nur oft genug keine Lust, sehr gut zu sein. Ich weiß genau, wie lieblos die Celli-Achtel im Vorspiel III morgen im Parsifal klingen. Oder wie trocken manche Holzbläserstelle bei einem „sehr ausdrucksvoll“. Die Musiker sind ja keine Deppen. Denen muss man nur sagen, dass sie es anders können. Die Schnitzer in den Hörnern stören mich gar nicht.
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