Ein gestaltenreich angelegter Abend mit Tugan Sokhiev und dem DSO.
Prokofjews Leutnant Kische-Suite ist eines jener Stücke, die beim ersten Hören oft den Eindruck von Unerheblichkeit machen. Das Problem sind – besser: scheinen – motivische Dünnsuppigkeit und satztechnischer Simplizismus. Aber Vorsicht! Schon klar, die Suite ist in etwa so wenig symphonisch konzipiert wie Schumanns „Am Kamin“. Prokofjew hielt bei dem Thema der Suite – die zweifelhaften Segnungen des Bürokratismus – offenbar ein Amalgam aus Sowjet-Schneid und motivischer Klarheit für angebrachter als trotzigen Bartókismus. Die Melodik ist nun einmal von so kalkulierter Einfachheit, die auch den unmusikalischsten Komsomolzenstiefel zum Mitwippen veranlasst haben dürfte. Man muss Leutnant Kische hören wie eine Mozartklaviersonate. Kurz und gut, wer die Suite heute Abend nicht umwerfend genial fand, sollte die morgige Wiederholung des Konzerts besuchen.
Sollte ein Ergebnis des Dutilleux-Zentenariums sein, dass dessen Cellokonzert Tout un monde lointain das derzeit beliebteste Dutilleux-Werk ist? Zumindest in Berlin. Insgesamt acht Mal wird man das Konzert zwischen Januar und Mai gehört haben können. Dies sind Werte, die selbst ein gewisser Beethoven nur selten erreicht. Gautier Capuçon, Typ Mittelscheitel in der Brad-Pitt-Langhaar-Variante, (ich verlinke doch gerne auf Cosmopolitan) packt das Konzert ganz anders an als die Damen Sennu Laine (urtümlich gedrängt, mit der Staatskapelle) oder Konstanze von Gutzeit (eisern expressiv, mit dem RSB). Capuçons singendem Ton ist das zentrale Ungestüm von Laine oder Gutzeit fremd. So gewinnt Dutilleux‘ Konzert immerhin einen nicht unstatthaften Hauch eleganter Anmut. Sokhiev und sein Team steuern ein ausbalanciertes Klangdesign bei, vor allem aber eine fluoreszierende Eleganz, die zu beider Markenzeichen geworden ist.
Da schaugst. Eine Zugabe von Capuçon und DSO. Wenn das nicht mal das Andantino grazioso des Schwans von Camille Saint-Saëns ist. Capuçon zieht die Kantilene in die Länge, bis sie so lang und elegant wie vollkommene Spaghetti ist.
Bei Modest Mussorgskis Bildern einer Ausstellung sind Sokhiev und DSO in ihrem Element. Sokhiev wienert die Klangoberfläche, vernachlässigt darüber aber weder die beredten Gewaltgesten noch die filigrane Phantastik der Bilder. Die ubiquitäre Fanfare des Blechs („Promenade“) ist zuerst entspannt schlendernde Vignette, zuletzt dann heroische Formel. Боже мой! Wenn man bedenkt, dass Mussorgski den ganzen Krempel schon 1874 komponierte. 1874 war Brahms mit den wohlerzogenen Haydn-Variationen beschäftigt. Nur mal als Vergleich. Это коварный Мусоргский.
Do schaug i, und lese auch gerne hier! Der Ton (hier: Plauderton der Schreibe) gefällt mir sehr.
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Inspirierte Leser sind stets und oft willkommen. Im Übrigen lese ich bei Ihnen gerne Rückert oder Busch.
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Das Blech war nicht so sattelfest wie gewohnt
Bei den Kollegen von den Philharmonikern 2012 kam mir Lutoslawski einen Tick mehr sexy vor als Dutilleux wobei die Phillies nicht Tout un monde lointain spielten
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Ja, Blech, OK. Aber besser falsch und gut gespielt als richtig und schlecht.
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Der Schwan aus dem Karneval der Tiere als Zugabe, manche Cellisten schrecken ja vor nichts zurück…
Nächste Saison vielleicht achtmal das Cellokonzert von Lutoslawski?
Die Instrumentierung der Bilder einer Ausstellung ist für mich, bei aller Liebe zu Ravel, im Grunde eine Verhunzung dieser großartigen Klaviermusik. Meine Tochter liebt das allerdings, und die ist sechs.
Und für Sokhiev natürlich perfekt.
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