Premierenkritik Die Meistersinger, Bayerische Staatsoper. Live auf BR Klassik.

David Bösch inszeniert. Die lustige Inszenierung dürfte halbwegs gelungen sein. Auch wenn sie nicht über den scharfen Witz von Castorfs Bayreuth-Ring verfügt, mit dem das Bühnenbild von Patrick Bannwart im Verlauf des Abends wiederholt flirtet. Auf der Festwiese lässt Bösch seinen Regie-Böller explodieren: Der gedemütigte Sixtus Beckmesser will dem frisch gekürten Vokalhelden Jonas an Leib und Leben. Doch der Tenor, dem Liebe vor Leben geht, hat zusammen mit Evchen schon den Papst Benedikt gemacht und ward nicht mehr gesehen. Und was macht Beckmesser? Gibt sich selbst die Kugel. Okayyy… Das zielt so treffsicher auf die zugegebenermaßen ausgeprägten Buhreflexe des Münchener Publikums, dass man Bösch getrost die Absicht unterstellen darf, ebendiese vorausschauend einkalkuliert zu haben.

Doch erst einmal zum raschen Vorspiel, dem Kirill Petrenko die Stringenz einer Lustspielouvertüre gibt. Die Meistersinger-Themen sind von unangreifbarer Klarheit. Und parallel entfaltet sich die Heiterkeit der Binnenmotive. Man soll es hören, Klang und Glanz spielen heute Abend nicht die erste Geige.

Jonas Kaufmann ist Walther von Stolzing. Er trägt den Kopfhörer wie eine Halskrause. Ihn ziert ein Lederjäckchen. Dem Parlando der ersten Szenen fehlt freilich die Lockerheit. Bisweilen agiert Kaufmann vokal mit der Sensibilität einer Kampfhummel, die sich im feinen Gespinst des Wagnerischen Parlandos verheddert. Das heroische „Fanget an! So rief der Lenz in den Wald“ ist in Jonas Kaufmanns Kehle dagegen hörbar besser aufgehoben. Befremdend wirkt der bisweilen selbstherrliche Umgang mit Zeitwerten,

besonders von Vierteln und Achteln. Wie übrigens Klaus Florian Vogt in Berlin unterlaufen Kaufmann Textaussetzer. Auf jeden Fall ist das hektische Flüstern der Souffleuse zu hören. Exzellentes Sängerhandwerk ist dann sein Piano-Einsatz im Quintett des dritten Akts, wo Kaufmann zu einer überzeugenden Darstellung innerster Seelenregungen findet. Und im Preislied des dritten Akts liefert Kaufmann den Fans rassigen Tenorschmelz und süffige Piani.

Sara Jakubiak ist Eva. Das rote Haar ist so echt wie der sonnige Sopran. Jakubiak vereint als Eva den Schwung eines Backfisches mit der Zielstrebigkeit einer jungen, heiratswilligen Nürnberger Dame. Bei Evas Wutausbruch im zweiten Akt geht Jakubiaks Sopran ab wie eine Rakete. Hübsch das feine Timbre. Indes, ich habe schon Evas gehört, die den perfiden Charme von „Ich hätt‘ euch für feiner gehalten“ besser herausbekamen. Und ausgerechnet in die Spitzentöne, die ‚A’s, ‚As’s und ‚G’s, bringt Jakubiak nicht den süßen Gefühlsduft. Liegt’s an den ja kaum hörbaren, aber eben doch vorhandenen idiomatischen Schwächen der Amerikanerin? Und was macht Sara Jakubiak mit „Selig, wie die Sonne“? Hier fällt eine leise tonliche Unstetheit auf, ein unflexibler Kontur, und erneut ein sacht unidiomatisches Singen (will sagen, man hört, wie ein Durchschimmern des Amerikanischen in den Vokalen, in der Akzentuierung, in der Verbindung von Vokalen und Konsonanten die Deutung des Textes behindert). Diese Ausführungen wollen nicht die Leistung ihrer sehr guten Eva mindern, aber andeuten, wo Grenzen liegen.

Ja, der Wolfgang Koch.

Wolfgang Koch singt so, als würde ihn nichts aus der Ruhe bringen, kein pubertierender Landadel und kein liebestoller Stadtschreiber. Dieser Sachs ist ein Gefühls-Universalist. Spätestens im zweiten Akt weiß Koch, was die Stunde schlägt (in Sachen Evchen). Da ist er auf redliche Art verschlagen. Aber er hat noch ein Stück stürmischer Jugend im Leib. Wie Wolfgang Koch dies alles ohne jeden Anflug von Lustspielbehäbigkeit auf die Bretter der Bayerischen Staatsoper bringt und hörbar macht, ist fortwährend erstaunlich. Rein technisch gibt es ja Eigenarten: Dazu zählen das Anschleifen des Zieltons bei größeren Intervallen, Unempfindlichkeiten bei der Intonation, oder die wollige Attacke.

Kochs Phrasierungfreiheiten machen erstaunen. Sie sind ein Geheimnis seines Erfolges. Kochs ironisches Parlando (man höre „Wohl zu ’nem Paar recht guter Schuh'“) zählt zu den Höhepunkten des Abends. Desgleichen die hemdsärmelige Entspanntheit der Deklamation im dritten Akt, die Koch derzeit keiner nachmacht, geschweige denn vormacht. Und dann kommt Eva. Köstlich Sachs‘ „Dacht ich doch, wo sie blieb“, ob dessen Deklamationsspontaneität das Herz eines jeden Opernfreundes hüpfen muss. Unverstellt rührend dann die Dehnung in „so schön erscheinst“.

Mit Kochs Tempomodifikationen hat Petrenko so manche Mühe, aber es fällt kaum auf. Andererseits hat Koch mit Petrenkos Tempo im dritten Akt nicht das geringste Problem. Noch einmal zu Wolfgang Kochs sängerisch freier Ausdeutung des Textes. Von legerer Inkonsequenz ist das keck in die Höhe gerissene „E“ des zweiten „Eva“ in „O Eva, Eva“ bei „Die sind’s gewohnt: ’s hört keiner drauf.“ Oder im Wahn-Monolog das tollkühn akzentuierte „Lust“ in „wähnt Lust sich zu erzeigen“. Das scheint mir heute Abend noch passender realisiert als bei den Berliner Staatsopern-Meistersingern. Weitgehend ohne Ermüdung gelingt die Schlussansprache.

Christof Fischesser bringt für Veit Pogner seinen prachtvoll timbrierten, wuscheligen Bass ein. „Das schöne Fest“ gefällt durch energische Deklamation und kerniges Volumen. Dieser Pogner ist ein kraftvoller Anwalt seines Geschäfts. Den Spitzentönen wünschte ich mehr Souveränität. Sehr schön Fischessers „Zu viel auf einmal brächte Reu'“.

Markus Eiche schlüpft mit kantabler Sachkenntnis in die Rolle des goldig gewandeten Beckmesser. Wie eh und je erlebt er seine deftige Verprügelung in Akt II und muss in Akt III erfahren, wie seine charakterfeste Prinzipientreue gegenüber dem Charme der Jugend den Kürzeren zieht. Vokal verfolgt Eiche einen sachlichen Ansatz, verzichtet auf allzu theatralisches vokales Agieren. Die melismierten Sechzehntel im Ständchen („ihm glücke des Preises Gewu-u-u-u-u-u-u-u-u-unst“) weisen leider nicht die Flexibilität eines gut durchgereiften, französischen Pont-L’Evêque auf.

Benjamin Bruns ist ein hellstimmiger David, der mit rührendem Ernst für alles eintritt, was mit Tabulatur und Magdalene zu tun hat. Besonders schön klingt sein fester „O Magdalene!“-Ruf.

Okka von der Damerau singt eine Magdalene, die das Herz auf dem rechten Fleck trägt. Ihr Mezzosopran hat Volumen, Farbe, Höhe, Vibrato. Tareq Nazmi spendiert als Nachtwächter vibrierende Autorität. Bäckermeister Eike Wim Schulte singt einen engagierten, stoffeligen Fritz Kothner. Ich höre, dass „Ein jedes Meistergesanges Bar“ ein hartes Stück vokaler Arbeit ist. Meister Vogelsang ist Kevin Conners.

Womit ich wieder bei Petrenko bin. Das zügige Dirigat besticht durch Klarheit. Die Verklammerung der Szenen gelingt flüssig wie selten. Die melodischen Kurven zieht Petrenko enger als gewohnt. Beim Vorspiel zum dritten Akt dirigiert Petrenko, ohne die große Schopenhauer-Keule aus der Tasche zu holen, dafür mit seltsam nüchternem Ton und beängstigenden Forte-Akzenten.

Freilich macht das Tempo auch einiges futsch. Stellen klingen reizlos, etwa die Bläserlinien bei Pogners „Hört doch, welch‘ ganz besond’rer Fall!“ Da plaudert das Bayerische Staatsorchester doch recht neutral. Die Prügelfuge nimmt Kirill Petrenko im verschärften Galopp. So klingen Galaxien – und womöglich Staatsorchester – kurz vor dem Kollabieren. Vorm Radio durchstehe ich einige angstvolle Augenblicke. Im Vorspiel zum dritten Akt ist alles in Butter. Petrenkos exakter Zugriff schafft hier Lockerheitswunder. Indes, Wagners „Immer schneller“ – während Beckmesser misstrauisch Sachs‘ Werkstatt beäugt (Akt III, 3. Szene) – ist mir in der Petrenko-Variante irgendwann doch zu schnell.

Der musikalische Part der Neuproduktion, die dreizehnte in München inklusive der Uraufführung, erfährt kraftvolle Beklatschung. Applausumsäumt erscheint Petrenko auf der Bühne. Das Regieteam um David Bösch erfährt stürmische Bebuhung. Das Publikum spendet Petrenko und seinem Orchester auch vor den Akten II und III Bravi und Getrampel.

Fazit: Wagners Meistersinger in einer unterhaltsamen Neu-Inszenierung und einer sängerisch sehr hörenswerten Besetzung. Es gilt: Jonas Kaufmann findet in Wolfgang Koch seinen Meister.

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