Madama Butterfly, Puccinis raues Teenager-Melodram, an der Staatsoper Berlin.
Die Inszenierung von Eike Gramss hat den Nachteil, jede Nähe zu neuen Regie-Ideen zu meiden, und den Vorteil, einen Puccini ohne Firlefanz zu präsentieren.
Ermonela Jaho singt die ebenso sympathische wie leidensfähige Madama Butterfly, die weder Zeit noch Gelegenheit fürs Erwachsenwerden bekommt. Die albanische Sopranistin E. Jaho legt sich mächtig ins Zeug. Im ersten und zweiten Akt macht sie aus Butterfly eine Plaudertasche im besten Backfisch-Alter, im dritten dann die heftig leidende Tragödin. Jaho gebietet über den Schrei der Leidenschaft, ohne beim Singen schreien zu müssen. Im Gegenteil, ihre gefluteten Pianissimi sind so substantiell und irgendwie weltklassy. Ermonela Jahos Schlussszene ist aus einem Guss, kaum eine macht ihr das nach. Es fällt zwar auf, dass ihr Sopran im unteren Register underperformt. Die Mitte hat dann aber wieder ein bissl dieses Callas-Timbre (scharf, kehlig, sehr dramatisch) und ist doch ganz „Jaho“.
Stefano La Colla singt den Butterfly-Lover Pinkerton. Schon der Name, Pinkerton… Mit La Colla sind einige Nachteile verbunden. La Colla besitzt auf der Bühne die Ausstrahlung eines Tetrapaks. Man kann das so deutlich sagen. Seine Phrasierung besitzt wenig Charme, das Timbre ist sogar trocken. Seine Dankesgesten beim Schlussapplaus könnten zurückhaltender sein. Es bestehen Intonationsunsicherheiten, will sagen, La Colla trifft einige Male die Tonhöhe nicht richtig. So. Jetzt kommt die Habenseite. La Colla singt erstaunlich anstrengungslos. Das verblüfft in den ersten Minuten geradezu. Er singt sehr genau. Er hat Stilgefühl. Kann es sein, dass er während zweieinhalb Stunden keinen einzigen Schluchzer hören lässt, kein einziges Mal Töne anschleift? Das ist eine Wohltat. Stefano La Colla verfügt über einen typisch italienischen Tenor, gut fokussiert, kraftvoll, kompakt. Die Höhe sitzt wie eine Eins und ist schallstark wie ein Chinaböller. Makellos sein „beviamo ai novissimi legami“.
Die Suzuki, Butterflys Dienerin und Leidensgenossin, singt Katharina Kammerloher, die Probleme hat, stilecht japanisch zu trippeln. Es ist nicht ganz klar, was sie im dritten Akt mit dem Fernrohr macht, auf jeden Fall ist es auf einmal kaputt. Dafür klingt ihr Mezzo komplex und klangvoll, und zwar in allen Registern. Für das zweiminütige Kammerloher-Jaho-Duett „Gettiamo a mani piene“ am Ende von Akt 2 würde ich einen halben Akt Lohengrin hingeben. Alfredo Daza spielt und singt einen emotional sehr schwingungsfähigen Sharpless. Natalia Skrycka gefällt als warmstimmige Kate.
Dirigent Stefano Ranzani macht bei Puccini keine Faxen, sondern Tempo. Es entstehen Straffheit und Klarheit. Gefahr droht von anderer Seite: Manchmal klingt’s hölzern, insbesondere bei Fortissimo-Tuttis, mit denen Puccini in der Madama Butterfly so auffällig sparsam umgeht. Es macht sogar den Eindruck, als wolle sich Ranzani um allzu viel Herzschmerz herummogeln (besonders hörbar bei den melodramatisch eher indifferenten Streichern). Trotzdem, das ist gut dirigiert. Man denkt: Musikalisch ist Madama Butterfly stärker als La Bohème, auch wenn das kaum geht, und reifer als Tosca.
Vincenzo Neri singt den heiratswilligen Yamadori, Dennis Wilgenhof den sittenstrengen Bonzo, Michael Smallwood (der Kurwenal aus Frank Martins Tristan-Vertonung Le Vin herbé) das Faktotum Goro, David Oštrek den Kommissar.
Nächste Spielzeit singen Alexia Voulgaridou und Oksana Dyka die Madama. Eun Sun Kim wird dirigieren.