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Simon Rattle dirigiert. Das Zwischenspiel vor dem ersten Akt betont das Pittoreske. Die Musiker schmettern die Hornmotive lustvoll. Rattles Götterdämmerung hat weiche Kontur, übt Stimmen-Splitting.

Diese Götterdämmerung ist hörbar weniger rhythmisch geschärft als Rattles Ring an der Deutschen Oper. Ich höre wiederholte Verspieler im Blech, wohl der Hitze geschuldet. Beeindruckend die lyrischen, zart fließenden Streicher, die sich zu Soft-Aufwallungen steigern, im Piano in der Umwandlungsmusik vor der dritten Szene des ersten Aktes. Rattles Lesart hat Wärme und Weite, Liebe zum Detail und eine ganz eigentümliche Perspektive auf Binnenstimmen. Rattle differenziert Innenräume von Streicher- und Blechbläsern. Er denkt bei Wagner Debussy mit.

Das Vorspiel zeigt Nornen im Blätterkleidchen. Die Szenerie: ein düsterer Bäumchenforst.
Monika Bohinec (etwas flüchtig), Stephanie Houtzeel (klangvoll, rhetorisch profiliert) und Ildikó Raimondi (gut fokussiert, helle Höhe)

Die Regie Sven-Eric Bechtolfs setzt auf den Symbolismus ausgesuchter Requisiten. Dabei enthält sich die Wiener Inszenierung pointierter Aussagen, leider. Verstörend wirken Retro-Tendenzen. Teile der Mannenszene sind astreine Sechziger. Das optische Pathos, das den Trauermarsch begleitet, ist reines Fünfzigerjahre.

Stephen Gould ist Siegfried. Er ist voller Spielfreude. Der Dreitagebart steht ihm sehr gut. Seine Verlässlichkeit, seine künstlerische Aufrichtigkeit, seine Höhensicherheit, der auch ein voller Terminkalender scheinbar nichts anhaben können, stellen ihn unter die ersten Siegfrieds dieses Jahrzehnts. Ob das Ausdrucksspektrum, das Gould abbildet – Naiveität und herzensguter Ausdruck, das Finstere und Heldische wird nur gestreift -,  zufriedenstellt, mag der Hörer für sich entscheiden. Aber was man auch sagen mag, es gibt nicht viele, die „In Hof und Hain, heiter vor allen sollt ihr heute mich sehn“ ohne jeden Beigeschmack von Biederkeit singen können.

Evelyn Herlitzius (Brünnhilde), Anne Sofie von Otter (Waltraute), Wien Staatsoper Götterdämmerung 2015
Wien Staatsoper Götterdämmerung 2015: Evelyn Herlitzius (Brünnhilde), Anne Sofie von Otter (Waltraute)

Evelyn Herlitzius‘ Brünnhilde: Immer noch am besten ist Herlitzius in der wortbewussten Deklamation, in den emphatisch lodernden Passagen. Hin und wieder mit störendem Vibrato. Nett, wie Herlitzius ganz scharf auf den Ring ist, den ihr Siegfried reicht. Ihre Diktion ist packend in „Du hüt‘ ihn wohl; er hört dein Wort: o bringe Grane…“ Unüberhörbare Schärfen gibt es in den Heilrufen, Vorspiel, 2.Szene. Und ebenso unkontrollierte Forte-Höhen, die Herlitzius gerne mittels Portamenti einbindet. Aber wie viel Temperament hat bei aller Unvollkommenheit das glühende „jauchzend der Reiche verschenkt“. Vorbildlich ist die Aufrichtigkeit in „Sie – wahrt mir der Reif“.

Das Duett Siegfried-Brünnhilde beweist, dass schon die alten Germanen Hegel und Kant in der Schärfe des Denkens kaum nachstanden („So wärst du Siegfried und Brünnhild‘? – Wo ich bin, bergen sich beide.“) Nett auch, wie Evelyn Herlitzius mit großen Augen und offenem Mund Waltrautes Bericht lauscht.

Ja klar, in den „Best Starke Scheite acts ever“ wird Evelyn Herlitzius garantiert nicht auftauchen, auch wenn so pathetisch-intime Sachen wie „ruhe, ruhe“ allererste Sahne waren.

Falk Struckmann (Hagen) ist rhetorisch stark und genau. Doch ohne finstere Massivität im Vokalen. Sehr gut die vokale Geste, die Struckmann aus „Ich kannte dich nur an deiner Kraft“ macht. Sehr bedacht die Phrasierung in „Hier sitz‘ ich zur Wacht“. Hörenswert ist Struckmanns Sarkasmus in der Mannenszene.

Boaz Daniel ist ein wohlklingender Gunther, der schön phrasiert („Brünnhild‘, die hehrste Frau…“). Kein Gunther hat es leicht. Es ist undenkbar, dass ein Bariton die Rolle dieses Waschlappens und Mitläufers seine Lieblingsrolle nennen könnte.

Caroline Wenborne ist Gutrune, die ihre mädelige Schüchternheit abwirft, sobald ihr dämmert, dass sie sich Siegfried angeln kann. Dann ist sie ein ziemlich scharfes Pummelchen. Als Sahnestückchen hat ihre reine Sopranhöhe zu gelten, aber auch ihr Temperament ist nicht von schlechten Eltern. Die Mittellage könnte mehr Ausdruck vertragen. Caroline Wenborne sang schon die Thielemann-Gutrune 2011.

Rheintöchter Ileana Tonca, Ulrike Helzel, Juliette Mars
Gemeinsam singt’s sich besser: die Rheintöchter Ileana Tonca (Woglinde), Ulrike Helzel (Wellgunde) und Juliette Mars (Flosshilde)

Anne Sofie von Otter ist Waltraute. Ihr Markenzeichen ist inzwischen der weiße Schopf. Immer noch (Alter: 60) verblüffend ist die klangreiche Höhe. Ja, manche Farbe ist stumpf, der Tonfluss von Haltenoten mitunter brüchig. Aber das Vibrato steht stets im Dienst des Ausdrucks und wird sorgfältig auf die Phrasierung abgestimmt. Zwei Buhs für sie, wenn ich das richtig gehört habe.

Richard Paul Fink (Alberich), optisch eine Art aufgeregt trippelnder Osmin, ist akustisch der einzige im Ensemble, dessen Wortprägung unidiomatisch sein kann. Zudem fallen Passagen auf, die Herr Fink recht leger phrasiert.

Ileana Tonca (Woglinde), Ulrike Helzel (Wellgunde) und Juliette Mars (Flosshilde) sind die badekappentragenden Rheintöchter.

Nach dem zweiten Akt einige Buhs, die wohl den wenig wählerischen Sopranspitzen von Evelyn Herlitzius gelten.

Nochmals zum Dirigat Simon Rattles: Das herzerweichende Bläsermotiv nach „Nur der sühnt deine Schmach!“ klingt nicht monolithisch wie weiland bei Thielemanns Wiener Götterdämmerung, sondern weitaus sensibler, introspektiver, fließender. Rattle zieht die Fäden bis nach Schönberg, bis nach Debussy. Thielemann verankert die Götterdämmerung im Pathos Bruckner’schen Typus. So isses nun mal. Der eine mag Pils, der andere Weizen. Der eine buht bei Thielemann, der andere bei Rattle. Und die hitzigen Schlusstakte von Akt 2 legt sowieso nur Barenboim mit der Staatskapelle in konkurrenzlos knallender Wucht hin. Vor dem dritten Akt lässt ein Thielemann-Fan mehrere Buhs vom Stapel. Das ist Wiener Schmäh.

Beim Applaus viel für Gould, viel für Herlitzius, einige Buhs für Struckmann, mehrere für Rattle.